Das viel gelobte Rentnerdasein ist ein schlecht bezahlter Vollzeit-Job
Nach zwei Jahren Rentnerleben wollen wir hier eine Zwischenbilanz vorlegen, bevor es dafür zu spät ist. Zur Ernüchterung vorneweg: Der ersehnte Rentnerausweis ist ein unscheinbares Zettelchen im Scheckkartenformat, das schon nach dem Einsortieren in die Brieftasche so zerknittert ist, wie die Gesichtshaut seines Inhabers. Wenn man es aber dennoch mal wieder rauskramt, warten riesige Vorteile: So kostet ein Museumseintritt dann statt acht Euro nur noch 7,50!
Die Mitmenschen nehmen jedenfalls regen Anteil an unserem neuen Lebensabschnitt: "Und? Wie bekommt dir die Rente?", lautet eine häufig gestellte Frage. Gerade so, als sei der Ruhestand eine schwer verdauliche Kalorienbombe. "Gut", antworten wir dann. "Aber wir werden sie wohl trotzdem nicht überleben!"
Den Spruch "Jetzt kannst du ja den ganzen Tag machen, was du willst" können wir als verheirateter Rentner nur als naive Fehleinschätzung bezeichnen. Wer glaubt, der Ruhestand bedeute die große Freiheit, geht besser jeden Tag weiter zur Arbeit und schiebt dort seine ruhige Kugel. Erst als Rentner bekommt man einen Eindruck davon, welche Unmenge an häuslichen Verrichtungen zwischen Frühstück und Abendbrot passen.
Topfit, wie wir als heutiger Ruheständler sind, haben wir in nur zwölf Monaten Staubsaugen, Kochen, Waschen und Bügeln gelernt und können alle dazu erforderlichen technischen Geräte einwandfrei bedienen. Na ja, "einwandfrei" ist etwas übertrieben, schließlich müssen wir mit ständigen Einwänden unserer Ehefrau leben. Bis zur hausmännlichen Perfektion ist es offenbar noch ein so langer Weg, dass wir altersbedingt eigentlich gar nicht mehr am geforderten Ziel ankommen können.
Gott sei Dank ist man als Rentner nicht allein und lernt beim täglichen Einkauf im Supermarkt viele Menschen kennen, die gleichermaßen dem Berufsleben nachtrauern und trotzdem versuchen, gut gelaunt zu wirken. Wenn uns ein Leidensgenosse zuruft: "Hat man dir auch wieder den Einkaufszettel aufs Auge gedrückt?" spüren wir eine wohltuende Solidarität, wie wir sie am Arbeitsplatz nie erlebt hatten.
Ein Vorteil des Ruhestandes lässt sich nicht leugnen: Uns bleibt beim Frühstück mehr Zeit fürs Zeitunglesen. Reichte es als Berufstätiger immer nur für einen Parforce-Ritt durch die Schlagzeilen der großen Politik, so erfahren wir heute frühmorgens auch von den wirklich wichtigen Dingen. Dass die Orts-Feuerwehr in einer zweistündigen Rettungsaktion mit zwölf Einsatzkräften einer Katze vom Scheunendach geholfen hat. Ein solches Großereignis hätten wir aus Zeitmangel früher schlichtweg überlesen. Heute können wir in der Bäckerei mit anderen Ruheständlern stundenlang kompetent darüber diskutieren.
Wenn wir die Betreuung der Enkelkinder, die Pflege der Eltern und unsere zwei Ehrenämter geschickt koordiniert haben, bleibt uns jeden Tag sogar noch ein Stündchen Zeit für den Besuch im Fitness-Studio, den wir aus Kostengründen als "Rückenschule" deklarieren. Dort holen wir im Kreise gleichgesinnter Greise endlich all die wichtigen Dinge nach, die wir früher vor lauter Arbeitseifer und Lebensgenuss nie vermisst haben.
Wirklich vermissen wir Rentner nur die echt schönen Seiten des Berufslebens: freie Wochenenden, Feiertage und Urlaubszeiten. Was ist schon unsere wohlverdiente Freizeit wert, wenn alle anderen auch nicht arbeiten? Hier müsste für Rentner gerechterweise ein finanzieller Ausgleich geschaffen werden. Ebenso für die fehlende Möglichkeit, sich über Krankenscheine kleine Auszeiten zu gönnen.
Wie man sieht: Trotz einiger Vorteile ist das Rentnerdasein kein Zuckerschlecken, sondern ein schlecht bezahlter Vollzeit-Job. Versuche, das Renteneintrittsalter zu erhöhen, kann man deshalb als Ruheständler nur begrüßen, auch wenn man selbst leider nicht mehr davon profitieren kann.
Weil die Zeit schon wieder drängt, können wir hier nicht mehr ansprechen, dass wir als Rentner jetzt mit gut dem halben Netto auskommen müssen. Diese Einbuße kann man aber ohnehin locker kompensieren: Man muss eben nur oft genug ins Museum gehen.
Peter Schmidt
Peter Schmidt, 66, ist ehemaliger Bundesligaprofi des 1. FC Saarbrücken und war nach der Fußballkarriere als Journalist und Lehrer tätig. Heute betreibt er ein Pressebüro in Riegelsberg und ist als freier Autor tätig.
LEBEN
picture alliance / blickwinkel/McPHOTO
Echt kein Zuckerschlecken
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