Warum Gewalt und Aggressionen in Deutschland zunehmen
Bei unseren Gesprächen mit Freundinnen und Freunden kommt immer öfter das Thema Sicherheit auf. "Ich fühle mich von diesem Staat nicht mehr beschützt", sorgt sich eine Freundin. Dabei steht die Angst vor Terrorismus im Vordergrund. Aber da sind auch die Unsicherheiten wegen drohender Altersarmut, wegen des Verkommens der politischen Kultur.
Niemand aus diesen Gesprächsrunden ist gegen Ausländer, würde gar die AfD wählen. Allerdings ist eine Zerrissenheit zu spüren. Das wurde kürzlich bei einem Beispiel deutlich. Im Bundestag wurde über die Einführung von Staatstrojanern debattiert, wobei jeder Bürger, der über Smartphone oder Computer verfügt, ausgespäht werden kann auch wenn gar kein Tatverdacht vorliegt. Einerseits kommt eine solche Maßnahme dem Schutzbedürfnis entgegen. Andererseits wird damit das Recht auf Schutz der Privatsphäre ausgehebelt.
Irritierend sind auch verschiedene Fakten: Angstmache mit Aussagen wie die des Bundesinnenministers nach einem Terror-Einsatz in Hannover. "Ein Teil der Antworten würde die Bevölkerung verunsichern." Womit er genau das erreichte. Dann wird behauptet Deutschland gehe es gut. Muss niemand um seine Existenz bangen? Wer ist Deutschland? Die Dax-Unternehmen, Herr Maschmeyer oder die Rentner, die in Müllkörben nach Leergut suchen? Oder die vielen Kinder, die in Armut aufwachsen und in miserable Schulen müssen?
Ängste werden nicht nur geschürt, sie sind in uns permanent vorhanden. Trennungsangst, Versagensangst, Schwellenangst, Berührungsangst zum Beispiel. Ängste sind in den Wissenschaften unbestritten Grund für Aggressionen.
Es ist nicht so, dass sich jeder ängstliche Mensch zurückzieht, möglicherweise in Depression verfällt und sich nicht einmal traut, diese behandeln zu lassen. Wie sehr diese Gesellschaft verunsichert ist, lässt sich an jenen Nachrichten ablesen, die glaubwürdig sind. Permanent geschehen in deutschen Häusern Mord und Totschlag. Immer wieder werden Menschen auf offener Straße angegriffen. Um sich die eigene Angst nicht eingestehen zu müssen, werden schnell in Internet-Foren Feindbilder aufgebaut. Kaum ist ein Fall bekannt, ist ein ungeheurer Hass auf Flüchtlinge, Ausländer allgemein zu bemerken obwohl überhaupt nicht feststeht, wer der Täter war.
Dabei wird deutlich: Das Vertraute soll verteidigt werden. An einem profanen Beispiel lässt sich das erkennen und das hat nichts mit Ausländern zu tun. Die Fußballvereine Eintracht Braunschweig, München 1860, Dynamo Dresden, Borussia Dortmund sind Clubs mit großer Tradition. Im Zusammenhang mit Spielen dieser Unternehmen kam es zu kriminellen Ausschreitungen. Da entlud sich eine Wut, die kein anderes Ventil fand. Von "Plastik-Vereinen" wie VfL Wolfsburg, Bayer Leverkusen, RB Leipzig sind Ausschreitungen weniger bekannt.
Als Innenminister forderte Wolfgang Schäuble, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen. Die Polizei ist überfordert, zumal sie Tausende Überstunden leisten muss, um das Milliardengeschäft Fußball abzusichern. Die Forderung nach mehr Beamten für die Sicherheit ist indes oft fadenscheinig, denn Kriminalität lässt sich effizient mit besseren technischen Mitteln bearbeiten. Wie weit Deutschland war, ließ sich 2015 erkennen, als viele Flüchtlinge kamen. Viele Behörden waren überfordert. Wie sich im Fall Amri zeigte, war Deutschland bezüglich der Vernetzung der beteiligten Behörden eine Bananenrepublik.
Inzwischen wird hektisch nachgebessert. Souverän ist das nicht. Souverän erscheint in diesen Zeiten der Angst allein Angela Merkel. Die von "Mutti" zu "Omi" gealterte Bundeskanzlerin braucht sich wegen der Wiederwahl wohl keine Sorgen zu machen. Mit "Keine Experimente" gewann schon Konrad Adenauer 1957 eine Wahl. CDU und CSU erreichten 50,2 Prozent aller Stimmen, damit die absolute Mehrheit. Bei der diesjährigen Wahl wird sich zeigen, ob es genügend Wähler mit innerer Gelassenheit gibt, die eine solche Mehrheit verhindern. Unser Freundeskreis jedenfalls wird es versuchen der demokratischen Hygiene wegen.
Von Günther Wettlaufer
Günther Wettlaufer (72) war von 1971 bis 2005 als Journalist bei der WAZ-Gruppe, dem Axel-Springer-Verlag, Gruner & Jahr sowie der "Saarbrücker Zeitung" in verschiedenen Führungspositionen tätig, lebte dann in Berlin und seit einiger Zeit wieder im Saarland.
POLITIK
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Eine Wahl in Zeiten der Angst
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