Warum unsere Politiker gut daran täten, sich emotionaler zu positionieren
Ene Marketingweisheit lautet "Content ist King". Es sei der Inhalt, der zählt. Die US-amerikanische Präsidentschaftswahl hat jedoch gezeigt: Die passende Kommunikation gewinnt. Nicht die Inhalte. "Passend" heißt in diesem Fall vor allem zweierlei: emotional und simpel.
Wenn jemand wie Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten wird, fragt man sich als liberaler und zugegebenermaßen außenstehender Beobachter schlichtweg: "Äh, wie bitte?" Aber da wir in den vergangenen Monaten einen allgemeinen Rechtsruck in Europa erleben, mit einer stärker werdenden AfD in Deutschland, dem Orban-Regime in Ungarn, das Menschenrechte mit Füßen tritt, und der Türkei, die sich schrittweise zur Diktatur entwickelt, sollten wir lernen, gefährliche Kommunikation zu erkennen. Dazu müssen wir wissen, wie sie funktioniert.
Warum wurde Trump Präsident trotz seiner frauenverachtenden Bemerkungen, trotz seiner offensichtlichen Unfähigkeit auf Fragen zu antworten, trotz seiner kruden Aussagen über Einwanderer? Gefragt, warum er Steuern im großen Stil hinterziehe, antwortete er, "weil er schlau sei". Dreist. Vor allem in einem Land, das immer noch an den Folgen der Finanzkrise leidet. Er wurde dennoch Präsident. Verrückt. Ratio und Logik scheinen komplett ausgeschaltet.
Der Psychologe Daniel Kahneman unterscheidet zwei menschliche Denksysteme. System eins ist schnell, unbewusst, automatisch, emotional System zwei ist langsam, bewusst, anstrengend und rational. Trump fährt wie ein Bulldozer in System eins seiner Zuhörer.
Will man Menschen also kräftig und schnell packen, spricht man ihre Gefühlswelt an. Da ist ein "Ich baue eine große, große Mauer" (Trump) eine "bessere" Antwort auf die Einwanderungsfrage als ein fein säuberlich ausgearbeiteter, fast 3.000 Zeichen umfassender Neun-Punkte-Maßnahmenplan (Clinton). Neun Punkte? Bah! Da muss man ja lesen. Ziemlich unsexy. Außerdem hat man den Eindruck, ein umfangreicher Plan wird später eh nicht umgesetzt. Eine Mauer hochziehen kann man allemal.
Der klar denkende Mensch entgegnet jetzt vielleicht: "Ja, aber schwierige Situationen erfordern doch auch komplexe Lösungen." Und ich stimme gern zu. Blöd ist nur, dass Trump nicht überzeugt, obwohl er so simpel ist, sondern gerade deswegen. Einfache Nachrichten sind glaubwürdiger, weil sie, nun ja, einfach sind. In mehreren Experimenten konnten Psychologen nachweisen, dass Menschen dazu neigen, die Einfachheit von Design, von Worten, auf die Inhalte zu übertragen: Aussagen in einer gut lesbaren Schriftart werden häufiger als wahr eingeschätzt als dieselben Aussagen in einer schlecht lesbaren Schriftart. Und jetzt kommts: selbst wenn sie unwahr sind. Erschreckend. Gleiches gilt für die Einfachheit und Verständlichkeit von Aussagen. Laut Sprachforschern entsprechen Trumps Aussagen dem Niveau eines Viertklässlers. Einfach, wenige Silben pro Sekunde, repetitiv.
Von Weitem betrachtet denkt man: "So blöd kann ja keiner sein, darauf hereinzufallen." Aber Trump gelang es, die tiefsitzenden Ängste der Menschen zu erkennen, zu schüren und für seine Kampagne auszunutzen. Angst war der treibende Faktor, der diese Wahl entschieden hat nicht Kompetenz. Angst und die Wahrnehmung, wer das passendere Angstgegenmittel bietet. Und dieses Gegenmittel präsentierte der Populist Trump den Massen mittels Sprache. Sagte ich bereits "erschreckend"?
Immerhin können wir daraus lernen. Einerseits sollten wir nicht müde werden, frei nach Luther unseren Demagogen aufs Maul zu schauen. Sie zu entlarven, wenn Sie inhaltslos auf unser "System eins" einreden. Im Gegenzug täten Politiker der etablierten Parteien gut daran, sich emotionaler zu positionieren. Menschen in einer Sprache anzusprechen, die sie verstehen. Falsche Professionalität und gestelztes Gesülze sind out. Das mag man finden, wie man will. Es bringt jedenfalls nichts, einerseits "Politikverdrossenheit" zu brüllen und auf der anderen Seite nicht in der Lage zu sein, Menschen emotional zu erreichen. Bei fanatisierten AfD-Anhängern fallen mir viele Worte ein. "Politikverdrossen" ist jedoch keines davon.
Von Christian Krauß
Christian Krauß ist Texter, Lektor und Marketingliebhaber und hilft mit seiner Agentur kleinen Unternehmen dabei, weniger klein zu werden. Mit Vorliebe schreibt er über alle Facetten und Abwege der menschlichen Kommunikation.
POLITIK
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Sprache jenseits der Logik
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