Im Berliner Bezirk Lichtenberg haben sich neue attraktive Orte für zeitgenössische Kunst entwickelt internationale Maler, Bildhauer und Comiczeichner arbeiten hier in ehemaligen Fabriken und Kfz-Werkstätten.
Vom "VEB Elektrokohle" bis zum Wälzlagerwerk der Berliner Bezirk Lichtenberg war bis in die 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts industriell geprägt. Insbesondere entlang der Herzbergstraße gab es zahlreiche Fabriken darunter auch die Margarinewerke "Berolina", gegründet 1909. Wo früher Margarinesorten wie "Blauband" oder "Spreegold" vom Band liefen, arbeiten heutzutage Künstler und Kreative in der sogenannten Kunstfabrik HB55. Hinter der hellen Backsteinfassade ist viel Platz 7.000 Quadratmeter Fläche gibt es, rund 220 Räume, die meisten sind aktuell vermietet an Bildhauer oder Maler, an Musiker, Fotografen, Designer.
Einer von ihnen ist Rufus Dayglo, Comicfans bekannt als Zeichner des "Tank Girl". Er teilt sich ein Atelier mit Kollegin Claire Adams Ferguson und beide sind begeistert vom Kiez, in dem sie arbeiten. Das sei einfach eine faszinierende Ecke der Hauptstadt. Kein Wunder also, dass Rufus sich in seinem nächsten Projekt mit Berlin und vielleicht auch mit der sich in Lichtenberg entwickelnden Kreativmeile beschäftigen will.
Auch Szenografin Gwendolyn Noltes hat im HB55 ein kleines Atelier, in dem sie mit Illustratorin Luisa Orduño Cázares arbeitet. Zum Artfest 2016 hat die Niederländerin wie viele andere Künstler aus dem HB55 ihre Arbeiten ausgestellt: Bunte Fantasiewelten aus verschiedenen Materialien in 3-D, in die die Betrachter ihre eigenen Gedanken und Geschichten hineininterpretieren sollen.
Rammstein zum Lunch
Zur Kunstfabrik gehört auch die "Canteen 55", wo Kingsley Barker mit geübtem Schwung vor den Augen der Gäste seine speziellen Burger zubereitet. Die sind mittlerweile im Kiez ziemlich angesagt und aus den umliegenden Büros kommt man mittags hierher, um sich einen "Rammstein" oder einen "Keith Richards" zu bestellen. Die "Canteen 55" ist ein wichtiger Treffpunkt vor allem für die Kreativen aus den umliegenden Ateliers und Werkstätten so auch aus der benachbarten "Fahrbereitschaft" in der Herzbergstraße 40-43.
"Fahrbereitschaft" das erinnert nicht von ungefähr an die frühere Nutzung des Areals dort nämlich waren zu DDR-Zeiten die Fahrer und Fahrzeuge von SED-Funktionären stationiert. Nach der Wende kam das Sammlerehepaar Barbara und Axel Haubrok und suchte für seine private Sammlung von Konzeptkunst und Minimal Art neue Räumlichkeiten. Die fanden sie 2013 an dem Ort, wo früher Limousinen poliert und repariert wurden. Und beschlossen, den rauen Charme des Geländes so weit wie möglich zu erhalten.
Filmkulisse für TV-Produktionen
Inzwischen ist eine interessante Mischung entstanden. Autos werden hier zwar auch noch repariert, aber in den insgesamt 13 Häusern wird beispielsweise auch an Skulpturen oder Installationen gewerkelt.
Original erhalten sind die Kegelbahn und das ehemalige Kasino, sogar mit ihrem ursprünglichen Mobiliar eine beliebte Kulisse für Fotografen und Filmcrews. Teile der ARD-Erfolgsserie "Weissensee" wurden hier beispielsweise gedreht. Zwischen all den Kreativen gibt es aber auch ganz alltägliches Gewerbe einen Reifenhandel, eine Rahmenwerkstatt und ein paar Start-ups so wie "Soulbottles" etwa. Hier werden stylishe Trinkflaschen aus Glas hergestellt. Der Erlös kommt einem Trinkwasserprojekt von "Viva con Agua" zugute.
Ateliers im Grünen
Während sich in der "Fahrbereitschaft" und im HB55 das Grün durch die Betonspalten und Ziegelwände kämpfen muss, wuchert es üppig in den BLO-Ateliers am S-Bahnhof Nöldnerplatz.
Wo bis 1999 Dampfloks repariert wurden, fördert seit gut 13 Jahren der Verein Lokkunst die größte Berliner Ateliergemeinschaft mit Kreativen jeglicher Couleur mit Malern, Grafikern, Musikern, Modedesignern. Die Anfangsbuchstaben des alten Betriebs "Bahnbetriebswerk Lichtenberg Ost" lieferten auch den neuen Namen für das Areal: BLO.
Zwischen 60 und 90 Künstler arbeiten jetzt in den alten Eisenbahnerhäusern, darunter Kunstschlosser, Holzbildhauer und Designer für Beton. Eine ganz andere Art von Design findet sich dagegen auf dem hinteren Teil des Geländes. Dort hat "ozon-Bicycles Berlin" eine Werkstatt und stellt handgefertigte, individuell angepasste Fahrradrahmen aus Bambus her. Wer möchte, kann sich in einem Workshop sein eigenes Fahrrad bauen.
Die Werkstätten und Gewerberäume sind stark nachgefragt und momentan allesamt vermietet, dennoch gibt es auch immer ein temporäres Atelier, das einem Künstler für drei bis sechs Monate zur Verfügung gestellt werden kann.
In den BLO-Ateliers geht es aber auch um den Kontakt mit Publikum. An speziellen Tagen stehen die Türen für Interessierte offen, eine gute Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Aber auch darüber hinaus gibt es zahlreiche Angebote: Neben dem Fahrradbau können sich Besucher an der Entwicklung von Schwarz-Weiß-Filmen versuchen, Bumerangs basteln oder sich Kurzfilme bei den Internationalen Lichtenberger Filmnächten ansehen. Die ägyptische Künstlerin Hanaa el Degham arbeitet mit Flüchtlingskindern einen ganz besonderen bunten Schirm, einen Rückzugsort, hat sie gemeinsam mit ihnen gebaut, ein Dach, unter dem man sich fesselnde Geschichten erzählen kann.
Zum Einsatz kam der sogenannte Geschichtenschirm das erste Mal bei einem Tag der offenen Tür im Frühsommer. Jetzt soll der Schirm einen festen Platz in einer benachbarten Flüchtlingsunterkunft finden.
Regina Friedrich
INFO:
Bei der "Langen Nacht der Bilder" am Freitag, 16. September, haben in Lichtenberg zahlreiche Ateliers, Galerien und Kunstorte ihre Tore fürs interessierte Publikum geöffnet.
Weitere Informationen unter:
www.hb55.de (HB55)
www.fahrbereitschaft.org
(Fahrbereitschaft)
www.blo-ateliers.de (BLO-Ateliers)
www.berlin.de/ba-lichtenberg/
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