Der Sturm tobt. In der Kajüte lauscht Tilda dem Tosen des Unwetters. Sie findet es herrlich, wie der Wind an der Ankerkette zerrt. Noch lieber wäre sie draußen an Bord, aber das ist streng verboten. Die meisten Hausbootbesitzer am Battery Reach haben ihre Bleibe bereits verlassen. Notgedrungen, denn weg wollte keiner. Sind ihnen doch die alten Kähne auf der Themse zur Heimat geworden.
Die meisten der Hausbootbesitzer hat die Existenznot hierher getrieben. Eine kleine Wohnung in London ist für sie unerschwinglich. Und so haben sie es sich hier eingerichtet: Willis, der Marinemaler, Maurice, der Lebenskünstler, Nenna mit ihren Töchtern Martha und Tilda, Richard, der Skipper und Woody, der Direktor. Das Kommen und Gehen der Schiffe, das Heulen der Nebelhörner, das Scheppern der Boote an den Kaimauern wird zur vertrauten Kulisse.
Entbehrungen, die das Wohnen auf dem Hausboot mit sich bringen, spielen keine Rolle mehr. Ein eigenes Zuhause zu haben das zählt, die Gemeinschaft mit den anderen Hausbootbesitzern, das Teilen von Hoffnungen und Träumen, der Existenznot wieder zu entkommen. Die Alltagssorgen schweißen die Leute zusammen: Halten die Boote dicht bei der nächsten Flut? Wann wird Maurices Lager auf dem Boot entdeckt? Und wie lange geht es gut, dass Martha und Tilda der Schule fernbleiben?
Die britische Autorin Penelope Fitzgerald schreibt in dem Roman "Ein Hausboot auf der Themse" über Menschen am Rande der Gesellschaft. Ihre Situation hat nichts mit der Vorstellung von einem idyllischen Leben auf einem schwimmenden Haus gemeinsam. Es ist ein harter Existenzkampf, der jeden Tag aufs Neue ausgefochten wird. Obwohl die Geschichte in den 60er-Jahren spielt, erweist sie sich doch als erstaunlich zeitgemäß: In London können sich Menschen mit geringem Einkommen auch heute keine eigene Wohnung leisten. Das Hausboot scheint oft eine reizvolle Alternative. Ein außergewöhnlicher Roman für verregnete, stürmische Tage im Herbst.
Christine Bartholomae