Es sind zwei Hochkulturen, die sich zwar Tausende Kilometer voneinander entfernt entwickelten, aber verblüffende Parallelen aufweisen. Eine Ausstellung im Neuen Museum in Berlin zeichnet jetzt die Zivilisationsgeschichte im Alten China und im Alten Ägypten nach darunter sind auch kostbare Leihgaben aus chinesischen Museen.
Wie eine Rüstung sieht der kostbare Anzug aus, den man vor etwa 2.000 Jahren im Alten China aus dem kostbaren grünen Stein gefertigt hat. In mühseliger Feinarbeit wurden dafür rund 2.100 Jade-Plättchen mit Silberdraht verbunden und so zu einem 30 Kilogramm schweren Gewand. Dieses hatte man einem Prinzen der Westlichen Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 8 n. Chr.) angelegt, um ihn für seine letzte Reise bestmöglich auszustatten. Das Jade-Totengewand ist wohl das spektakulärste und wertvollste Exponat einer Ausstellung, die derzeit im Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel gezeigt wird.
"China und Ägypten. Wiegen der Welt", so lautet der Titel der Schau. Sie will die Entwicklung zweier Hochkulturen nachzeichnen zwischen 4500 vor bis etwa 200 nach Christi. Denn einen direkten Kulturvergleich zwischen China und Ägypten habe es "so noch nie gegeben", sagt Michael Eissenhauer, der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin. Was die Kuratoren mit der Anordnung der Objekte zeigen, sind überraschend viele Gemeinsamkeiten zwischen den kulturellen Leistungen in zwei geografisch und klimatisch völlig unterschiedlichen Regionen der Erde. Eine der augenfälligsten Parallelen ist ein nahezu identisches Schriftzeichen, ein Kreis mit einem Punkt in der Mitte, ein Symbol für die Sonne. Das wurde im Reich der Mitte ebenso ersonnen wie im Tausende Kilometer entfernten Reich der Pharaonen. Die Übereinstimmung frappiert, wenn man bedenkt, dass es zwischen China und Ägypten im betreffenden Zeitraum keinerlei direkten Kontakt gegeben hat.
Andererseits seien zivilisatorische Leistungen Antworten auf die Bedürfnisse der Menschen und die Herausforderungen, die der Alltag mit sich bringe, erklären die Kuratoren. Und was Menschen antreibe, unterscheide sich nicht grundlegend, egal ob man am Nil oder am Jangtsekiang lebe. So sei es letztlich doch gar nicht so verwunderlich, dass auch geografisch weit auseinanderliegende Kulturen zu ähnlichen oder vergleichbaren Lösungen gefunden haben, sagt Friederike Seyfried, Direktorin des Neuen Museums. In jeder Zivilisation haben Menschen Häuser gebaut, Möbel, Kleider und Gefäße gefertigt, Ackerbau und Viehzucht "erfunden" und diese Errungenschaften weiterentwickelt.
Beide Kulturen
haben vergleichbare
Lösungen gefunden
Objekte, die vom täglichen Leben im Reich der Pharaonen und im riesigen Reich der Mitte erzählen, haben die Ausstellungsmacher in den Vitrinen eines Raumes unter dem Motto "Lebenswelten" versammelt. Museumsbesucher betreten diesen Teil der Schau quasi als Auftakt. Danach geht es in weiteren Räumen um die Themen "Schrift", "Totenkult", "Glaubenswelten" und "Herrschaft und Verwaltung". Sämtliche Exponate aus dem Alten China haben die Berliner als Leihgaben aus dem Shanghai-Museum bekommen. Die altägyptischen Gegenstücke waren bereits in der deutschen Hauptstadt, sie stammen aus den Beständen der Ägypten-Abteilung der Berliner Museen, die in den nächsten Jahren im Humboldt-Forum einen neuen Standort finden wird.
Wichtiger Teil der "Lebenswelten" ist die Organisation des Handels, des Austauschs von Waren. Deshalb finden sich hier in den Vitrinen beispielsweise jahrtausendealte Maße und Gewichte, ebenso Zahlungs- und Tauschmittel aus dem Alten China und dem Alten Ägypten. Während am Nil noch Waren getauscht wurden, konnte man im riesigen Reich der Mitte bereits mit Münzen bezahlen. Chinas Münzwährung gilt als die älteste der Welt. Für heutige Betrachter muten die spatenförmigen Münzen ziemlich unpraktisch an im Alten China, vor rund 2.700 Jahren, haben sie ihren Zweck sicherlich erfüllt. Aus der gleichen Epoche der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen stammen die vergoldeten Kaurischnecken, die im Alten China ebenfalls als Zahlungsmittel im Umlauf waren.
Gegenstände des Alltags, praktische Errungenschaften einerseits kostbarer Luxus andererseits. Beiden Hochkulturen gleichermaßen war wohl der Sinn fürs Schöne immanent, die Lust an Ästhetik Triebfeder für kreatives Schaffen. Was sonst hätte die Ägypter zur Herstellung von farbigem Glas und die Chinesen zur Produktion ihres kostbaren Lackgeschirrs bewegen können? Den eigenen Körper zu schmücken auch das war und ist ein zivilisatorisches Bedürfnis. In der Berliner Ausstellung bringen das beispielsweise die vor rund 5.000 Jahren am Nil gefertigten Armreifen aus Grauwacke (ein graugrüner Sandstein) und Achat zum Ausdruck, ebenso wie der etwa gleich alte Jadearmreif und die Jadeperlenkette, beides Erzeugnisse der alt-chinesischen Liangzhu-Kultur.
Den Körper zu schmücken, war ein Bedürfnis aller Kulturen
Mit der Einführung von Ackerbau und Viehzucht entwickelten sich größere Siedlungen, in denen sich wiederum arbeitsteilige Gemeinschaften bildeten. Zwischen den wachsenden Ansiedlungen setzte allmählich ein immer intensiverer Warenaustausch ein. Handel und Warentransport waren es schließlich, die der Menschheit die ersten Schriftkulturen bescherten, weil die komplexer werdenden Wirtschaftssysteme das Bedürfnis mit sich brachten, Waren zu benennen, zu zählen und Tauschgeschäfte zu dokumentieren. So entstanden in Ägypten und China, wie auch im Vorderen Orient, ausgefeilte Schriftsysteme. Sowohl in China als auch in Ägypten entwickelten sich die Schriften über bildhafte Zeichen und abstrahierte Piktogramme. In China geschah das um 6.600 vor Christus, in Ägypten erst drei Jahrtausende später aber hier wie dort haben die Pioniere der Schrift erstaunlich ähnliche Darstellungsformen gefunden.
Wie eng die Geschichte der menschlichen Zivilisation mit der Entwicklung religiöser Ideen und Rituale verbunden ist das zeigt die Berliner Ausstellung im Schau-Raum "Glaubenswelten". Hier sind die größten Unterschiede zwischen alt-chinesischer und altägyptischer Vorstellungswelt zu verorten. Während sich die Menschen im Alten Ägypten die Götter als Wesen vorstellten, die einst eine irdische Existenz hatten, verehrten die Chinesen kosmische Mächte. Für die sie im Gegensatz zu den menschlich-tierischen Götterfiguren der Ägypter abstraktere Symbole fanden. Eng verbunden mit den "Glaubenswelten" ist der Ausstellungsbereich, der sich dem Totenkult widmet. Die Auseinandersetzung mit der Sterblichkeit und die Vorstellungen von einem "Jenseits" haben zentrale Bedeutung für jede Kultur, betont Friederike Seyfried. Der Tod sei gewissermaßen ein Generator von Kultur wie der Bestattungsarchitektur, die in den ägyptischen Pyramiden einen Höhepunkt fand. Oder sich in der Fülle kostbarer Grab-Beigaben ausdrückte, die Verstorbenen in diesen wie auch anderen Hochkulturen als Ausstattung für die Reise ins Jenseits mitgegeben wurden. Eine vergoldete Mumienmaske aus dem Alten Ägypten zeigt das genauso eindrucksvoll wie ihr Pendant aus dem Alten China: eine aus 51 Teilchen bestehende Jade-Gesichtsauflage für eine verstorbene Persönlichkeit aus der Oberschicht. Dem eingangs beschriebenen Jade-Totengewand, einer erstmals ins Ausland verliehenen Leihgabe des Xuzhou-Museums, haben die Berliner Ausstellungsmacher eine reich bemalte Mumienhülle aus dem Alten Ägypten gegenübergestellt. Beide Exponate sind Beweise dafür, dass sich keine Hochkultur, weder am Nil noch im Reich der Mitte, mit der irdisch-zeitlichen Begrenzung des menschlichen Seins abgefunden hat.
Susanne Kilimann
INFO:
China und Ägypten.
Wiegen der Welt
Bis 3. Dezember 2017
im Neuen Museum
Bodestraße,
10178 Berlin
Weitere Infos unter:
www.smb.museum.de