Der Erfolgsroman "Girl on the Train" kommt als US-Film in die Kinos. Die fantastische Emily Blunt spielt eine alkoholkranke Frau, die nicht weiß, welche Rolle sie in einem Verbrechen spielt.
Billiger Fusel am Mittag, zwei Flaschen Wein am Abend und zwischendurch ein paar Biere: Rachel macht kaum mehr große Unterschiede, wenn es ums Trinken geht. Hauptsache, sie kann beduselt die Vergangenheit vergessen. Die Mittdreißigerin weiß, dass sie Alkoholikerin ist. Wenn sie wie jeden Tag in einem Pendlerzug zur Arbeit unterwegs ist, blickt sie verkatert oder angetrunken auf die Reihenhäuser an der Bahnstrecke. Ein Haus fasziniert sie so sehr, dass sie sich für die Bewohner eine Idylle ausdenkt in Rachels Vorstellung das perfekte, sich liebende und beruflich erfolgreiche Paar. So eines, das Rachel mit ihrem Ehemann selbst war. Aber Rachels gute Zeiten sind vorbei, die Ehe zerbrochen, der Mann neu verheiratet. Und so nutzt Rachel das fremde Paar als Projektionsfläche und als Flucht vor ihren Problemen. Tag für Tag. Zug für Zug. Blick für Blick.
Die Fantasien
einer Alkoholikerin
Mit ihrem Roman "Girl on the Train" gelang Autorin Paula Hawkins im Jahr 2015 ein internationaler Erfolg. Die Fantasien einer Alkoholikerin sind auf fast 450 Seiten verknüpft mit einem Mord in einer brüchigen Vorstadtidylle. Kein Wunder, dass das Buch schnell für das Kino adaptiert wurde der Stoff ist perfekt für die Leinwand. Wie schon die Romanvorlage bildet der Film "Girl on the Train" einen Höhepunkt für Freunde guten Thrills, eine Geschichte für starke Nerven und eine Augenweide durch die großartige Hauptdarstellerin Emily Blunt.
Rachels Tagträume werden eines Tages zerstört. Vom fahrenden Zug aus erblickt sie ihre Ideal-Frau im Liebesspiel mit einem fremden Mann. Einen Tag später gilt die Frau als vermisst, bald wird ihre Leiche gefunden. Was geschehen ist, weiß Rachel nicht. Aber eine Kopfverletzung, Blut an ihren Händen und ein Alkoholvollrausch machen Rachel klar: Sie ist unmittelbar in das Verbrechen verstrickt. Nur kann sich Rachel an nichts mehr erinnern. Ist sie Zeugin oder Täterin? Es beginnt ein verschachteltes Verwirrspiel, indem weder Rachel noch der Zuschauer wissen, was Wahrheit ist, was Einbildung, was Vollrausch.
Emily Blunt ist überzeugend, obwohl sie sich von der Roman-Rachel optisch unterscheidet. Im Buch ist sie eine Frau, an der Wein, Bier und Fusel ihre Spuren hinterlassen haben: Als fett und aufgedunsen wird sie beschrieben, als unattraktiv und gar abstoßend. Auch ohne solche körperlichen Attribute fasziniert Emily Blunt als zwiegespaltene Rachel. Mal ist sie die verletzbare Frau, die an ihren Fehlern der Vergangenheit zu zerbrechen droht. Mal ist sie Säuferin, die sturzbetrunken auf den Teppich kotzt. In klaren Momenten kombiniert sie die Fakten. Dem Zuschauer wird bald klar, was Rachel ist: unzuverlässig, verbittert, voller Schuldgefühle ohne Selbstbewusstsein. Sie lügt, stiftet Verwirrung, führt auf falsche Fährten und trinkt weiter. Der Zuschauer ist kaum in der Lage, sie als Täterin auszuschließen.Obwohl Rachel und ihr lückenhaftes Wissen im Vordergrund von "Girl on the Train" stehen, wird die Geschichte aus zwei weiteren Perspektiven erzählt. Von Megan (Haley Bennett) erfahren wir, dass sie nicht die perfekte Ehefrau war, zu der sie Rachel bei ihren Blicken durch das Zugfenster stilisiert hat. Und mit der verhassten Anna (Rebecca Ferguson), der neuen Ehefrau von Rachels Ex-Mann, hat Rachel eine unerwartete Gemeinsamkeit. Dass "Girl on the Train" von drei unterschiedlichen Frauen erzählt wird, bildet im Buch ebenso wie im Film drei faszinierende Perspektiven auf ein Verbrechen.
Eine zerissene Persönlichkeit
"Girl on the Train" ist ein perfekter Thriller, der vom grundlegenden Plot her an "Das Fenster zum Hof" erinnert. Anders aber als Hitchcocks Klassiker aus dem Jahr 1954 verlässt "Girl on the Train" die Statik des einzelnen Blicks auf den Tatort. Der Film führt den Zuschauer über mehrere unerwartete Pfade bis zu einem nervenaufreibenden Finale.
Holger Lodahl
INFO: Girl on the Train
USA 2016, Thriller / Krimi
Regie: Tate Taylor
Buch: Erin Cressida Wilson
nach dem Roman "Girl on the Train" von Paula Hawkins
Komponist: Danny Elfman
Länge: 112 Minuten
Darsteller: Emily Blunt, Rebecca Ferguson, Haley Bennett, Justin Theroux, Luke Evans, Allison Janney, Edgar Ramirez, Lisa Kudrow
Bundesweiter Kinostart:
27. Oktober
Im Internet:
www.thegirlonthetrainmovie.com