Die junge New Yorkerin Ray (Elle Fanning) ist in "Alle Farben des Lebens" im falschen Körper gefangen und beschließt, sich geschlechtsumwandeln zu lassen. Das sorgt für Unverständnis bei Mutter Maggie (Naomi Watts) und Großmutter Dolly (Susan Sarandon).
Als Ramona (Elle Fanning) erblickte sie das Licht der Welt, doch schon sehr früh fühlte sie sich als ein Er. "Jedes Jahr blase ich meine Geburtstagskerzen aus und wünsche mir immer wieder dasselbe: Dass ich ein Junge bin", zweifelt das Mannmädchen. Deswegen nennt sie sich Ray. Die 16 Lenze zählende Tochter von Maggie (Naomi Watts) trägt die Haare kurz und plant den dramatischen Schritt, der wie kein anderer über ihr zukünftiges Leben entscheiden wird. Eine Hormontherapie für den Geschlechtsangleichungsprozess will Ray flugs in Angriff nehmen, und damit ein völlig anderes Leben ohne Schattendasein beginnen. In einer neuen Schule, auf der sie gleich Ray statt Ramona genannt wird, auf der sie sich mit gleichaltrigen Teenies einer "normalen" Jugend hingeben kann. Damit endlich die Alltagshürden, wie geschlechtsgetrennte Toilettenräume oder die wachsenden, mit Muskeltraining kaum zu kaschierenden Brüste, endlich ein Ende finden.
Als "ray" auf
die neue schule
Doch dafür braucht sie, beziehungsweise er, die einhellige Erlaubnis seiner Eltern. Mama Maggie hat die Entscheidung ihres Kindes inzwischen zähneknirschend akzeptiert, bleibt noch der biologische Vater Craig (Tate Donovan) als zu überzeugender Hardliner. Ihre Beziehung zu ihm glänzt eher durch langjährige Kontaktarmut, seitdem sich die Eltern einst im harschen Zwist trennten. Ray jedoch springt über alle Schatten und konfrontiert ihren Erzeuger und auch sich selbst mit der eigenen leidlichen Vergangenheit. Auch ihre sonst so coole Lesbenoma Dolly (Susan Sarandon), die mit ihrer Lebensgefährtin Frances (Linda Emond) ähnlich ewig eisigen Gegenwind aus langjähriger Erfahrung kennt, bezweifelt, dass ihre Enkelin jemals eine glückliche Zukunft als Enkel haben wird. Drei Generationen müssen nun dramatische Entscheidungen fällen, um Rays Veränderung zugunsten eines harmonischen Familienzusammenhalts zu erreichen.
Wie, das gelingt der Außenseiterfilmerin Gaby Delal ("Angels Crest") dank des brillant aufspielenden Dreiergestirns Fanning, Watts und Sarandon. Es sind dabei immer wieder jene sensiblen, rührenden Momente voller Zweifel und Selbstzweifel von Elle Fanning, die dank geschliffener Dialogregie messerscharf pointiert sind und bisweilen humorvoll oder gefühlsbetont, ohne jedoch in selbstbemitleidende Rührseligkeiten abzudriften. Sehr sensibel werden dabei Sex, Sinn und Sinnlichkeit visualisiert, ohne sich plakativer und schlüpfriger Nacktbilder zu bemächtigen. Denn es geht vorrangig um nackte Wahrheiten, weniger um barbusige und voyeuristische Wollust.
Das Resultat ist ein einfühlsames Porträt vor dem ambivalenten Hintergrund der Transgenderdebatten: Transidentität lässt sich nicht didaktisch anerziehen und schon gar nicht therapieren. Es ist völlig unsinnig zu behaupten, dass die Betroffenen schwul, schrill, laut oder tuntig sind. Sie wollen sich auch nicht ausnahmslos unbedingt umoperieren lassen. Schon stigmatisierende Bezeichnungen wie "Transe", "Tucke" oder "Transvestit" sind absolut unpässlich und stellen klischierte Allgemeinplätze dar, die von gesellschaftlicher Ignoranz zeugen.
Die exakte Definition von Transgender bezeichnet Menschen, deren körperliches Geschlecht nicht mit ihrem gefühlten Geschlecht übereinstimmt. Flapsig gesagt, wohnen sie im falschen Körper und müssen in Boulevardgazetten Häme und Hetze wie"Schock in der Hochzeitsnacht mein Mann gesteht, dass er in Wirklichkeit eine Frau ist!" über sich ergehen lassen. Umso lieber lassen wir uns aber die famos aufspielenden Hauptdarstellerinnen über uns ergehen, neben der überraschend authentischen Elle Fanning vor allem Naomi Watts und Susan Sarandon.
brillant und authentisch
Viel hatte die am 28. September 1968 im britischen Kent geborene Watts immer zu bieten. Mit 14 emigrierte sie nach Australien. In Sydney büffelte die Busenfreundin von Nicole Kidman mehrere Schauspielschulen durch, favorisierte dann aber das Modeln in Japan. Nach ersten Auftritten im Werbefernsehen bekam sie 1988 eine Rolle bei der australischen TV-Serie "Home and Away". Ihren Durchbruch in Hollywood verdankte sie 1995 dem Transkultfilm "Tank Girl". Dann übernahm sie den Hauptpart in den Publikumserfolgen "Ring" (2002) und 2005 "Ring 2". Ihre erste Oscarnominierung kassierte Watts 2004 für ihre Darstellung indes für das furiose Organspende-Drama "21 Gramm". Der Welterfolg kam für die fragile Blondine mit dem Hauptpart der Ann Darrow in Peter Jacksons Remake von "King Kong" 2005. Dafür bekam sie den London Critics Circle Film Award als beste Schauspielerin. Watts, mittlerweile im Charakterfach etabliert, wird gerne als Königin der Neuverfilmungen gelobt.
Sie ist ebenfalls eine Filmqueen: die am 10. Oktober 1946 in New York als Susan Tomaling geborene Susan Sarandon. Sie gilt als eine der wandlungsfähigsten Schauspielerinnen Hollywoods, deren Leistung 1991 in "Thelma & Louise", 1992 in "Lorenzos Öl" und 1994 für ihre Rolle in der Verfilmung des John Grisham-Bestsellers "Der Klient" mit dem British Academy Award als beste Schauspielerin gekürt wurde. 1995 wurde sie mit dem Oscar für ihre Rolle in "Dead Man Walking" geehrt. Im realen Leben das älteste von neun Kindern aus einer streng katholischen Familie italienisch-walisischer Herkunft, würzt sie diese Tragikomödie mit in die Jahre gekommener Verderbtheit. Das zelebrierte sie schon erfolgreich 1990 in "Frühstück bei ihr", als sie den jüngeren James Spader verführte.
Jean Lüdeke
INFO: Alle Farben des Lebens
USA 2015/Transgender-Dramedy
Regie: Gaby Dellal
Drehbuch: Nikole Beckwith,
Gaby Dellal (Autorin)
Kamera: David Johnson
Musik: Michael Brook
Länge: 89 Minuten
Darsteller: Elle Fanning,
Naomi Watts, Susan Sarandon, Tate Donovan, Tessa Albertson, Linda Emond
Bundesweiter Kinostart:
8. Dezember 2016
Im Internet:
www.allefarbendeslebens.de