In der Romanverfilmung "Sieben Minuten nach Mitternacht" entführt ein monströser Eiben-Baum (Liam Neeson) den 13-jährigen Conor (Lewis MacDougall) in bizarre Welten zwischen Realität und Fantasie, in der sich der Junge mit fatalen Lebensfragen und seinen eigenen bitteren Sorgen auseinandersetzen muss.
Ich bin gekommen, um dich zu holen Conor O`Malley sagte das Monster und schüttelte das Haus, so dass in Conors Zimmer die Bilder von der Wand krachten und Bücher, die Stereoanlage und ein altes Stoffnashorn zu Boden fielen", heißt es im gleichnamigen Roman von Siobhan Dowd, in dem der 13-jährige Conor O´Malley in England exakt um sieben Minuten nach Mitternacht von einem furchterregenden Monster in pittoresker Gestalt einer alten Eibe heimgesucht wird. Dabei ist das Leben des schmächtigen Buben ohnehin schon alles andere als idyllisch. Seine alleinerziehende Mutter (Felicity Jones) leidet an Krebs, in der Schule ist er überdies willkommenes Mobbing-Opfer von Harry (James Melville) und seiner Prügelgang. Die traurige Wahrheit, seine geliebte Mutter könne zu früh sterben, kompensiert er in bizarren Träumen.
Als seine Mutter zur Intensivbehandlung ins Hospital muss, soll der Sohn bei seiner ungeliebten, kaum empathischen Oma (Sigourney Weaver) bleiben. Zu schwer wiegt ihre Sorge um die Tochter. Doch im Laufe der Zeit nähern sich Enkel und Oma an, denn Hollywoods allererste weibliche Action-Ikone Sigourney Weaver täuscht nur äußerlich die allzu strenge, jedoch im Innern höchst unglückliche Großmama vor, die Conor bald beisteht, seine panische Angst vor dem baldigen Tod seiner Mutter zu bestehen, zumal sich sein aus L.A. angereister Vater (Toby Kebbell) als wenig hilfreich und tröstlich entpuppt.
Gutmonster will beim Loslassen helfen
Als sich der Zustand seiner Mutter dramatisch verschlechtert, will sich Conor nicht der Wahrheit stellen, dass sie ihn für immer verlassen könnte. Doch mit Hilfe des Gutmonsters erkennt er die Option in seiner tragischen Situation: Er muss unbedingt loslassen, so unvorstellbar peinigend diese Vorstellung auch sein mag. Dann geschieht das Unfassbare. In Connors Fantasmagorien erscheint ein haushoher Baum (Liam Neeson) mit glühenden, roten Augen. Drei Geschichten werde er dem Buben erzählen, dann soll Conor selbst eine vierte, wahre Story preisgeben. Die furchteinflößende Riesen-Eibe verängstigt ihn indes nicht, der Junge fürchtet sich vor allem vor einem schweißtreibenden Albtraum, in dem eine düstere Gestalt im Abgrund lauert, die darauf lauert, dass er loslässt, um in den Abgrund zu stürzen. Dieses wiederkehrende Kopfkino hat er bislang allen verschwiegen ...
Furios verfilmte Spannungsspezialist Juan Antonio Bayona "Sieben Minuten nach Mitternacht" (Originaltitel: "A Monster Calls") das gleichnamige Buch aus dem Jahr 2011 von Patrick Ness, das der Autor nach Idee der an Krebs verstorbenen britischen Autorin Siobhan Dowd kreierte. Die Kinderschauergeschichte wurde mit unzähligen Kritikerpreisen belohnt, die formidable Adaption des "The Impossible"- und "Das Waisenhaus"-Filmemachers allein mit neun Goyas bedacht. Während mit Sigourney Weaver, Felicity Jones und Liam Neeson mit bewährter Routine glänzt, war der Jungmime Lewis MacDougall bislang in der Neuversion von Peter Pan "Pan" 2015 zu bestaunen. Das Resultat ist eine wunderbare Pastiche aus Erwachsenmärchen und melancholischem Goth-Novel-Kino mit Schaudergarantie.
Die ist nicht zuletzt dem Kameramerlin Óscar Faura ("The Imitation Game Ein streng geheimes Leben") sowie dem Komponisten Fernando Velázquez ("Crimson Peak") zu verdanken, die mit fantasievollen Gänsehautbildern und eindringlichem Filmscore ein Leinwanderlebnis der atmosphärisch komprimiertesten Art aus ihrem Profifundus hervorzauberten. Nicht umsonst heißt es in einer Filmsequenz "Geschichten sind das Gefährlichste von der Welt, knurrte das Monster. Geschichten jagen, beißen und verfolgen dich!"
Gute Geschichten verfolgen einen
Die am 8. Oktober 1949 in New York geborene Sigourney Weaver debütierte mit einer Nebenrolle in Woody Allens "Der Stadtneurotiker". Bereits ihr zweiter Film bescherte ihr als Protagonistin den weltweiten Durchbruch, 1979 als Offizier Ripley, der Heroine in Ridley Scotts "Alien". Diese Rolle performte sie viermal mit bestechendem Einsatz und Eleganz. Es folgten 1986 "Aliens Die Rückkehr" und 1992 "Alien 3". 1997 revitalisierte sie den tragischen Part in "Alien Die Wiedergeburt".
Zu ihren bekanntesten Filmen zählen "Ghostbusters", "Gorillas im Nebel", "Die Waffen der Frauen", "Der Tod und das Mädchen". Für "Aliens Die Rückkehr" und "Gorillas im Nebel" wurde sie in der Sparte "Beste Hauptdarstellerin" für den Oscar nominiert und für "Die Waffen der Frauen" als beste Nebendarstellerin. Für die beiden letzteren kassierte sie Golden Globes.
Weaver synchronisierte 2009 den Dokumentarfilm "The Acid Test des Natural Resources Defense Council" zum Thema Versauerung der Meere. 2012 setzte sich vehement in einer Anhörung des US-Senats zum Umweltschutz ein und forderte einschneidende Änderungen der Klimaschutzgesetze, damit auch unsere Nachfahren das Überleben und die Schönheit von Bäumen genießen können. Wie auch die Zuschauer schon mal diesen grandios CGI-generierten Riesen-Retter, das Sinnbild vom neuen Leben, in dem zutiefst berührenden, bildgewaltigen Fantasy-Film genießen sollten.
Jean Lüdeke
INFO: Sieben Minuten nach Mitternacht
ES/USA 2016/ Jugend-Drama/Fantasyfilm/Literaturverfilmung
Regie: J.A. Bayona
Drehbuch: Patrick Ness
Kamera: Óscar Faura
Musik: Fernando Velázquez
Länge: 110 Minuten
Darsteller: Lewis MacDougall, Sigourney Weaver, Felicity Jones, Liam Neeson, Toby Kebbell,
Ben Moore, James Melville,
Geraldine Chaplin
FSK: ab 12 Jahren
Bundesweiter Kinostart:
4. Mai 2017
Im Internet: www.sieben-minuten-nach-mitternacht-film.de