Seit Beginn des Monats hat Berlin einen neuen Konzerttempel, den von US-Star-Architekt Frank Gehry entworfenen Pierre-Boulez-Saal. Eine bauliche Hommage an den Avantgarde-Komponisten und eine Wirklichkeit gewordene Vision.
Von außen ist er wenig spektakulär, fast "versteckt" sich der Pierre-Boulez-Saal im ehemaligen Kulissenmagazin der Berliner Staatsoper, einem Bau des seinerzeit viel beschäftigten DDR-Architekten Richard Paulick aus dem Jahr 1952. Da die Neobarockfassade unter Denkmalschutz steht, wurde das Gebäude komplett entkernt und zum Konzertsaal und Lernzentrum umgebaut. Vom Entree mit Industrie-Charme geht es in den Pierre-Boulez-Saal. Architekt Frank Gehry hat ihn mit Zedern- und Tannenholz auskleiden lassen, was fast ein wenig heimelig wirkt.
682 Plätze gibt es hier maximal und keiner ist ? das ist eine der Besonderheiten ? mehr als 14 Meter von den Künstlern entfernt. Wer hinter der Bühne sitzt, sieht den Dirigenten oder die Dirigentin von vorne und kann genau beobachten, wie die Stücke geformt und die Instrumentalisten aus dem Piano ins Fortissimo getrieben werden. Und bekommt bestens mit, dass Musizieren körperlich und mental ein Hochleistungssport ist. Das nur wenige Zentimeter hohe Podium lässt sich aber auch ganz entfernen. Dann sind die Musiker und die in den ersten Parkettreihen Sitzenden tatsächlich auf Augenhöhe.
Die ovale Form des Saals ist einmalig
Stört diese Nähe die Künstler? Nein, die sind hochzufrieden. "Dieser Saal fühlt sich irgendwie warm an", sagt Schlagzeuger Lev Loftus aus Tel Aviv. "Ich glaube, alle von uns sind sehr begeistert", fügt er hinzu und meint damit das neu geschaffene Boulez-Ensemble, gebildet aus Mitgliedern des West-Eastern Divan Orchestra und der Staatskapelle Berlin.
Der architektonische Clou des Saals ist jedoch seine ovale Form, und die ist wohl weltweit einmalig. Frank Gehry erzählt, dass er Daniel Barenboim zunächst einen konventionellen Entwurf vorgelegt habe, vorne das Orchester und hinten das Publikum. "Wo sind denn die Ovale? hat er mich gefragt!" Denn solche hatte Architekt Gehry bei einer Besprechung als Skizze gezeichnet. Barenboim bewahrte diese Skizze auf und wollte ohnehin "etwas Besonderes", einen variabel nutzbaren Raum und vor allem die Ovale. Wie sehr er seinen Freund Frank Gehry darum gebeten hat, ist auf einem Schild im Treppenhaus zu lesen: "Frank, ich will die Ovale, bitte, bitte, bitte." So ist der gesamte Entwurf ein Geschenk Gehrys an Barenboim, durch die ungewöhnliche Raumform werden die zwei gegeneinander verschobenen Rang-Ellipsen zusätzlich betont. Faszinierend sind vor allem die leicht an- und absteigenden Ränge, die dem Saal etwas Schwingendes verleihen. Wie auf einer Achterbahn können die Töne nun swingen. Für die war hier genau wie in der Elbphilharmonie der weltbekannte Akustikdesigner Yasuhisa Toyota verantwortlich.
"Frank Gehry hat sich gleich an mich gewandt", sagt er. Das Oval ist für ihn kein Problem. "Thats our job", schmunzelt er. Dass auch er hier ohne Honorar arbeitet, verschweigt er bescheiden. Und hofft, dass der Saal mit seinem ungewöhnlichen "Layout" viele Künstler inspirieren und viele Menschen genauso beeindrucken wird wie ihn selbst. Das Wichtigste sei jedoch die hier ermöglichte Kommunikation. "Die Zuhörer sitzen rund um die Musiker und können alles sehen. So entsteht eine Verbindung zwischen ihnen und den Künstlern, aber ebenso innerhalb des Publikums."
Musik für das "denkende Ohr"
Der bisherige Eindruck: Frank Gehry und Yasuhisa Toyota haben Berlin ein Meisterwerk beschert, eine kleine feine "Spreephilharmonie", die seit der Eröffnung Anfang März der da noch amtierende Bundespräsident Joachim Gauck nannte den Saal eine "Perle" begeistert und zu Superlativen hinreißt. Zukünftig will Barenboim hier "Musik für das denkende Ohr" bieten, von klassisch bis zeitgenössisch. Und er selbst wird im Pierre-Boulez-Saal als Dirigent und Pianist zu erleben sein.
Aber der neue Musikort in Berlins Mitte ist mehr als ein weiterer Klangtempel. Zusammen mit der Barenboim-Said-Akademie ist hier eine Vision umgesetzt worden, allen Hindernissen und Rückschlägen zum Trotz.
Geboren wurde die Vision 1999 in Weimar, der damaligen Kulturhauptstadt Europas. Zusammen mit dem 2003 verstorbenen amerikanisch-palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said hatte Barenboim dort das "West-Eastern Divan Orchestra" gegründet, das je zur Hälfte aus jungen israelischen und arabischen Musikern besteht. Seitdem stellen die Nachwuchskünstler mit dem gemeinsamen Musizieren unter Beweis, dass trotz unterschiedlichem kulturellen Hintergrund und konträrer Ansichten ein friedliches Miteinander möglich ist.
Was nicht Wenige anfangs für Utopie hielten, ist zum Erfolgsprojekt geworden. Schon seit vielen Jahren tourt das ungewöhnliche Jugendorchester bejubelt durch die Welt und außerordentliche Erlebnisse und nahegehende Momente gibt es dabei nicht zu knapp.
So wird Dirigent Barenboim wohl nie die Worte eines palästinensischen Mädchens am Rande eines Konzerts 2005 in Ramallah vergessen. Dies sagte zu ihm: "You are the first thing Ive seen from Israel that is not a soldier or a tank.
Jetzt also die Gründung der Barenboim-Said-Akademie ein weiterer Schritt.
Die hier studierenden Musiker die Stipendien zahlt der Bund werden ganzheitlich ausgebildet. Sie erhalten auch Unterricht in Geschichte, Philosophie, Politik und Religion um laut Barenboim einen Geist des gegenseitigen Verständnisses zu schaffen. "Botschafter des Friedens" sollen sie werden. Abgeschottet sind sie jedoch nicht. Das Café des Hauses ist täglich von 11 bis 18 Uhr für alle Besucher geöffnet.
Ursula Wiegand
Weitere Infos unter www.boulezsaal.de und https://barenboimsaid.de.