Alle 15 Minuten bekommt ein Patient in Deutschland die Diagnose Blutkrebs. Nur ein Drittel aller Blutkrebspatienten findet innerhalb der Familien einen passenden Spender. Jeder siebte Patient sucht vergeblich einen geeigneten Spender. Dabei kann fast jeder helfen.
Bis zum heutigen Tag haben von fast siebeneinhalb Millionen Registrierten gerade mal 63.974 tatsächlich Stammzellen gespendet. Ich bin eine von ihnen. Als ich mich vor Jahren bei der DKMS, ehemals Deutsche Knochenmarkspenderdatei, registrierte, habe ich zugegebenermaßen kaum über die Tragweite des Themas Blutkrebs oder Stammzellenspende nachgedacht. Ich war auf dem Stand, dass die Stammzellen aus dem Knochenmark entnommen werden und dass ich dazu bereit wäre, wenn der Fall eintritt, dass ich als Spender infrage komme. Aber wie hoch ist schon die Wahrscheinlichkeit? Recherchiert habe ich nicht. Mein Beweggrund mich zu registrieren war und ist ganz simpel: Würde jemanden aus meinem direkten Umfeld diese schlimme Krankheit treffen, würde ich spenden, ohne mit der Wimper zu zucken. Wieso also nicht für jemand Fremden? Denn der oder die ist für jemand anderen die Mutter, beste Freundin, der Onkel oder Bruder.
Die Registrierung bei DKMS ist denkbar einfach
Mit dem Gedanken mich zu registrieren hatte ich länger gespielt, es aber irgendwie vor mir hergeschoben, weil ich dachte, es könne doch nicht so einfach sein, wie damals in Zeitschriften propagiert wurde: Wattestäbchen in den Mund, Umschlag zurück und fertig. Ich dachte, eine weitere Blutanalyse oder irgendwas in die Richtung wäre nötig. Ist aber nicht so. Als das Registrierungskit kam, musste ich wirklich nur die Wattstäbchen-Probe machen und das Set zurückschicken. Besagten Umschlag online anzufordern, dauert nur wenige Minuten. Die erste Hürde hat genommen, wer gesund, zwischen 17 und 55 Jahren alt ist und mehr als 50 Kilogramm wiegt. Danach heißt es einfach warten. Ich habe ehrlich gesagt immer geglaubt, dass nichts passieren wird. Nicht, weil ich die Tatsache gescheut hätte, tatsächlich spenden zu müssen, sondern vielmehr, weil ich geglaubt habe, dass eine Menge Glück dazu gehört, auserwählt zu werden.
Bei meinem jüngsten Umzug habe ich aber sogar daran gedacht, meine Anschrift zu ändern, obwohl ich meine Spenderkarte dummerweise vor einiger Zeit verlegt habe. Wie dem auch sei vor einigen Monaten finde ich dann Post von der DKMS in meinem Briefkasten. Ich rechne mit der Bitte um eine Geldspende, doch es handelt sich um eine Aufforderung. Ich solle mich doch bitte dringend bei der DKMS melden, da ich schon auf das erste Schreiben nicht reagiert hätte. Erstes Schreiben? Ich hatte sicher kein "erstes Schreiben" in der Post. Also melde ich mich umgehend auf besagtes zweites Anschreiben, in dem mir schon angekündigt wird, dass ich eventuell als Spenderin infrage komme. Ich werde ganz aufgeregt, weiß auch nicht mehr, wann ich dort anrufe, aber es muss außerhalb der Geschäftszeiten gewesen sein. Ich hinterlasse also meine Nummer und wenige Stunden später, gegen 20 Uhr, werde ich schon zurückgerufen.
Dieser Anruf wiederum entgeht mir. Mit einem schlechten Gewissen, den Anruf verpasst zu haben, rufe ich am nächsten Morgen zurück. Ja, ich käme als Spenderin infrage, doch ich müsse erst mal einige Fragen beantworten, mündlich aber auch schriftlich mit einem Fragebogen, den ich via E-Mail zurückschicken kann. Die freundliche Dame, die mir nun ab jetzt zur Seite stehen wird und "meinen Fall" bearbeitet, erklärt mir, dass sie für mich einen Termin bei meinem Hausarzt vereinbart, die DKMS dort ein Set hinschicken wird für eine erste Blutanalyse, die dann wiederum von ihnen ausgewertet wird. Besagtes Set hatte mir die gemeinnützige Organisation auf dem Postweg zukommen lassen, aber auch dieses hatte mich ebenso wie das erste Anschreiben nicht erreicht. Den mündlichen Fragebogen gehen wir innerhalb einer Stunde am Telefon durch, während ich auf dem Weg zum Flughafen zu einem Städtetrip über ein langes Wochenende bin. Die Zeit drängt in solchen Fällen.
Zurück aus dem Kurzurlaub gehe ich zum vereinbarten Termin zu meinem Hausarzt. Alle sind ein wenig aufgeregt und wollen alles richtig machen passiert ja nicht jeden Tag, dass man hier Teil einer Stammzellspende ist. Noch ist aber aus meiner Sicht alles recht ungewiss und ich hoffe inständig, dass alles in Ordnung ist und ich spenden darf. Bis zu sechs Wochen könne es dauern, bis ein Ergebnis vorliegt und es eventuell weitergeht beim Spendenmarathon. Meines liegt nach drei Wochen vor. Bei mir ist alles in Ordnung. Nun werde ich mit allen Eventualitäten vertraut gemacht. Meine Spende würde nun doch nicht, wie zuvor angekündigt, in Köln oder Dresden stattfinden, sondern ich könne nach Frankfurt, denn das ist näher an meinem Heimatort. Zuerst muss ich zu einer Voruntersuchung, wo mir nochmals jede Menge Blut abgezapft wird, meine Milz und andere Organe mittels Ultraschall auf ihren Zustand gecheckt werden. Der Termin ist während der Woche. Mein Arbeitgeber stellt mich ohne Probleme frei, die DKMS übernimmt meine Reisekosten. Selbst wenn der Arbeitgeber nicht mitspielt, scheitert es nicht an mangelnder Kooperation die Organisation würde den Arbeitsausfall finanziell dem Unternehmen ersetzen.
Beim persönlichen Gespräch mit der Ärztin werde ich noch mal über die möglichen Verfahren und Nebenwirkungen aufgeklärt. Ich frage sie, wie hoch denn die Chancen auf Genesung bei den Patienten sind. Die ernüchternde Antwort lautet: "Fünfzig Prozent. Je nach Vorgeschichte und Krankheitsverlauf. Aber Sie müssen es so sehen für einen Patienten, der ohne Spende keine Chance mehr hätte, sind 50 Prozent ziemlich viel." Ergibt die Voruntersuchung, dass ich auserwählt bin, geht es mit den Spritzen los, die dafür sorgen, dass sich die Stammzellen in meinem Blut vermehren. Zwei Spritzen für fünf Tage bekomme ich schon jetzt mit nach Hause. Einige Tage nach meinem ersten Termin in Frankfurt klingelt das Telefon: Es geht los. Freitags solle ich morgens mit der ersten Spritze anfangen. Über die Nebenwirkungen wurde ich aufgeklärt. Sollte ich mich zum jetzigen Zeitpunkt gegen die Spende entscheiden und meine Bereitschaft zurückziehen, bedeutet dies den sicheren Tod des anonymen Empfängers. Denn er oder sie wurde bereits mit einer finalen Chemotherapie auf die Spende vorbereitet, das eigene Immunsystem lahmgelegt, um Abstoßreaktionen zu verhindern.
50 Prozent Chance auf Genesung
Freitagmorgens setzte ich mir die erste Spritze in den Bauch. Für mich gar kein Problem. Wer sich nicht überwinden kann, kann auch einen Arzt aufsuchen. Nach der zweiten Spritze am Abend merke ich die ersten Nebenwirkungen Kopfschmerzen. Die nächsten Tage halten sie an, ein leichter ziehender Schmerz im Beckenbereich, wo nun die Stammzellen produziert werden, kommt dazu. Die Beschwerden sind gut auszuhalten, wird es zu heftig, darf ich Paracetamol einnehmen. Ich kann meinen Alltag uneingeschränkt bewältigen. Am Abend vor der Spende reise ich wieder in Frankfurt an. Langsam steigt die Nervosität. Was, wenn es nicht richtig klappt, meine Stammzellen nicht ausreichen? Angst vor dem operativen Eingriff mit den Stammzellen aus dem Knochenmark als letzte Instanz habe ich nicht, dennoch wünsche ich mir, dass die Blutspende reibungslos klappt.
In der Frühe am nächsten Morgen schlage ich im Blutspendezentrum auf. Meine Erfahrung der Voruntersuchung wird bestärkt alle Mitarbeiter sind unheimlich nett und fürsorglich. Als Spender wird man regelrecht umsorgt. Ich mache es mir auf meinem Bett bequem. Zwei andere junge Spender sind auch da. Ich bekomme die Zugänge gelegt und dann gehts los. Obwohl, so richtig will das Blut in meinem Körper nicht aus mir rauslaufen. Zumindest nicht so schnell, wie es bei anderen Spenden üblich ist. Das Problem ist mir vertraut, denn so ging es mir schon mal bei einer normalen Blutspende. Hier wissen sie sich aber zu helfen, mir wird Kochsalz zugefügt, der Fluss langsam gesteigert. Nach einer halben Stunde kommt eine Ärztin, die mir sagt, dass die Blutabnahme am Morgen vor der Spende ergeben hat, dass ich einen beachtlichen Wert an Leukozyten im Blut hätte, also reichlich weiße Blutkörperchen. Doch sagt das aber noch nichts über die Konzentration der Stammzellen in meinem Blut aus. Veranschlagt sind für die Spende in der Regel zwei Tage à fünf Stunden. Nach einer weiteren halben Stunde kommt die Ärztin zurück. Der Wert meiner Stammzellen ist nun ermittelt. Sie kann meine Spende um eine Stunde verkürzen, ich hätte sehr viele Stammzellen gebildet, sagt sie. Ich fühle mich wahnsinnig erleichtert, weil alles klappt, wie es soll.
In vier Stunden und elf Minuten ist mein gesamtes Blut mehrfach aus mir raus- und wieder in mich reingepumpt worden. Daraus gefiltert wurde ein Beutelchen Stammzellen und ein weiterer Beutel Blutplasma. Um die Mittagszeit werden die Zugänge gezogen, ich bleibe kurz sitzen bis sich mein Kreislauf stabilisiert hat, dann soll ich mich mit Essen und Flüssigkeit stärken und darf nach Hause fahren, sobald ich das finale Okay der Ärztin bekomme. Mir geht es gut. Um ein Uhr bin ich entlassen und selbst die verhergesagte Müdigkeit bleibt aus.
Die Nebenwirkungen verschwinden schnell
Die ganze Prozedur hat mich gerade einmal zwei Tage meines Lebens gekostet. Zwei Tage mit vielen Annehmlichkeiten für ein anderes Menschenleben, wenn alles gut läuft? Das ist nichts. Nicht die geringste Belastung in Anbetracht dessen, dass ein totkranker Mensch neue Hoffnung haben darf. Die Gewebemerkmale eines jeden Menschen werden zwar von den Eltern auf die Kinder vererbt, dennoch findet nur ein Drittel aller Blutkrebspatienten einen Spender innerhalb der Familie. Alle anderen müssen hoffen, ihren "genetischen Zwilling" in der Datenbank zu finden.
Die Kombinationsmöglichkeit der HLA-Merkmale, von denen es mehr als 10.000 Ausprägungen gibt, sind sehr groß. Folglich ist es so, dass je mehr Menschen registriert und bereit zu spenden sind, auch helfen können Leben zu retten. Jeder siebte Patient findet keinen Fremdspender.
Nach der Spende ist vor der Spende. Zumindest physisch, für mich. Einige Tage danach "lahmte" ich in der Hüfte und im Kniebereich irgendwie noch, bin nicht so recht in Schwung gekommen, wie wenn ich längere Zeit gesessen hätte. Nach einigen Tagen waren aber alle Einschränkungen wie weggeblasen. Emotional bin ich zwiegespalten.
Die meisten Leute reagieren mit Bewunderung, wenn ich von der Spende erzähle. Ich empfinde es als selbstverständlich und habe auf diese Reaktion oft mit den Worten geantwortet: "Wie könnte ich es nicht tun? Nicht helfen, wenn ich weiß, dass jemand auf diese Chance angewiesen ist." Wer nicht spenden will, wenn sich die Möglichkeit bietet, sollte sich auch nicht anmelden.
In meinem Hinterkopf bleibt natürlich der Gedanke, ob die Stammzellen den gewünschten Erfolg bringen, ob er oder sie es schaffen wird. Ich kann nur hoffen ...
Von Katharina Ellrich
Info:
So werden Sie Stammzellenspender:
Registrieren unter www.dkms.de. Alle relevanten Fragen und Unsicherheiten werden dort auch unter den Rubrik "Häufige Fragen" beantwortet.
Was ist die DKMS? Dies ist keine Werbung für eine Organisation! Das ist Werbung für Menschenleben. Das Handeln der DKMS ist langfristig ausgerichtet auf die Erfüllung der Vision: Blutkrebs besiegen. Gegründet wurde sie im Jahr 1991 von Dr. Peter Harf, dessen Frau an einer Leukämieerkrankung starb. Im Jahr 2004 startete die internationale Arbeit der DKMS-Familie, zunächst in den USA, 2009 in Polen, 2011 in Spanien und 2013 in Großbritannien. Im Zuge der Internationalisierung hat die DKMS auch ihre Mission erweitert.
HLA-Merkmale: HLA steht für Humane Leukozyten-Antigene man spricht auch umgangssprachlich von Gewebemerkmalen. Bei den HLA-Merkmalen handelt es sich um Strukturen auf den Oberflächen der Körperzellen, anhand derer das Immunsystem zwischen eigenem und fremden Gewebe unterscheidet. Bei der Blutstammzelltransplantation ist es wichtig, dass die HLA-Merkmale zwischen Spender und Patienten möglichst identisch sind. So werden Abstoßungsreaktionen vermieden.