Kathrin Hebel ist die Tiger-Expertin des WWF Deutschland und setzt sich für den Schutz der imposanten Raubkatzen ein. Im Interview spricht die Forstwissenschaftlerin über Aufklärungsarbeit, den Horror von Tigerprodukten und die Motive für ihren Kampf.
Frau Hebel, wie kamen Sie ausgerechnet auf den Tiger?
Neben dem Waldschutzthema war ich schon immer interessiert daran, wie ein friedliches Zusammenleben von Wildtier und Mensch vor allem in besiedelten Gebieten funktionieren kann. In Thailand hatte ich schließlich erste Berührungen mit Tigerschutzprojekten des WWF und sofort eine große Affinität zu diesen wilden Schönheiten. Maßnahmen gegen Wilderei, aber auch der Schutz und Erhalt wichtiger Lebensräume sind die Cluster. Das bedeutet vor allem eine enge Zusammenarbeit mit den Dörfern und Gemeinden vor Ort. Es geht darum, die Lebensbedingungen der lokalen Bevölkerung zu verbessern, indem gemeinsam alternative Einkommensquellen geschaffen werden. Aber auch die Aufklärungsarbeit ist unglaublich wichtig den Menschen vor Ort mehr Wissen und Bewusstsein zu vermitteln, über die Lebens- und Verhaltensweisen der Tiger und über ihre Wichtigkeit für ein intaktes Ökosystem, von dem auch der Mensch profitiert.
Und mittlerweile sind Sie Tigerexpertin für WWF Deutschland?
Für Deutschland bin ich die Expertin. Für die Kollegen und Partner vor Ort bin ich aber vor allem auch die Geberland-Vertreterin. Die wahren Tiger-Experten aber sind die einheimischen WWF-Partner wie Nepal oder Myanmar. Dort sitzen sehr gut ausgebildete Biologen und Wissenschaftler, mit denen wir die Projekte konzipieren, Daten analysieren, auswerten und entsprechend die Projektinhalte festlegen. Mit viel Sensibilität, Know-how und Erfahrung arbeiten sie auch mit den lokalen Gemeinden zusammen und fördern eine gemeinsame Umsetzung der Tigerschutzprojekte vor Ort. Dabei ist es wichtig, über die Distanz hinweg in kontinuierlichem Austausch zu stehen wir arbeiten sehr eng zusammen und sprechen uns zweimal in der Woche telefonisch ab.
Wie oft sind Sie direkt vor Ort, und wie werden Sie dort wahrgenommen?
Ich bin im Jahr vier bis sechs Wochen vor Ort in Nepal, Thailand, Myanmar, Sumatra und Indien. Bei grenzübergreifenden Projekten schaffe ich es meistens, beide Länder hintereinander zu besuchen. Das heißt, wenn ich nach Thailand reise, versuche ich auf jeden Fall auch noch Zeit im Projektgebiet in Myanmar zu schaffen. Dasselbe gilt für die Grenzregion Nepal/Indien. Es ist wichtig, dass die Menschen mein Gesicht kennen, dass sie wissen, mit wem sie da eigentlich zusammenarbeiten. Das Wichtigste aber ist Zeit. Zeit für Gespräche face-to-face, Zeit, um ein Gefühl füreinander zu bekommen, Vertrauen aufzubauen.
Der Zugang zu den lokalen Gemeinden oder Dörfern im Projektgebiet läuft immer über die örtlichen WWF-Partner, die das Projekt aufbauen. Es funktioniert nicht so gut, wenn ich groß, blond und deutschsprachig dort als erste auftrete. Da ist generell immer viel Neugierde und Wohlwollen, aber die Sprachbarrieren sind einfach zu groß. Ich muss heraushören, wo es noch Probleme und Bedarf gibt und berate basierend auf Erfahrungen mit anderen Artenschutzprojekten. Die Akzeptanz als Frau habe ich bislang in allen Projekten positiv erlebt. Der Umgang mit den Kollegen und Kolleginnen und Partnern ist stets von wohlwollendem Respekt geprägt. Es gibt sehr viele Frauen in den Projekten vor Ort.
Tigerschützerin das klingt sehr abenteuerlich! Sind Sie schon mal einem Tiger begegnet?
Das muss ich gleich entschärfen. Die Tiger halten es so wie die Luchse unserer Wälder man sieht sie so gut wie nie in freier Wildbahn. Aber die schrecklichen Bilder von Wilderei und Tigerprodukten auf Wildtiermärkten sind ein erschütternder Fakt. Wie der aktuelle schreckliche Skandal um den Tigertempel in Thailand: Duzende Tigerbabys, eingelegt in Alkohol, um sie wohl als Tigerwein zu verkaufen, Hunderte Amulette aus Tigerknochen und Zähnen, Tigerfelle ... Die Liste liest sich wie das Drehbuch eines Horrorfilms und ist doch traurige Realität.
Es ist eine Ausnahme, ein Tier in der Natur zu sehen. Ich bin in Sumatra einem Ranger begegnet, der in seinen 16 Jahren Berufszeit gerade mal einen frei lebenden Tiger gesehen hat. Nur über installierte Kamerafallen haben wir die Chance, Tiger und andere Tiere zu sehen. Ganz besonders berührend sind natürlich Bilder von Tigermüttern mit ihren Jungtieren. Das gibt Hoffnung.
Ich hatte mein erhabenstes Erlebnis in Thailand, als ich abends mit dem Naturschutzleiter des WWF Thailand in einer der Lodges im Nationalpark Mae Wong saß und plötzlich ein Brüllen aus dem Dickicht hörte. Dieser Ruf des Tigers, den man so selten hört, brachte den Wald zum Schweigen. Das war eine andere Dimension, wahrhaftig und stellvertretend für alles Sein, alles, was Natur ausmacht. Und ich war stolz darauf, für dieses unfassbar Lebendige, Große zu kämpfen, das rein gar nichts mit Streichelzoo oder Bestie und auch nichts mit Zivilisation zu tun hat.
Was machen Sie, wenn Sie nicht reisen? Und wer schlägt die einzelnen Projekte eigentlich vor?
Ich habe drei Arbeitsbereiche. Der erste Bereich ist das Erstellen sogenannter Projektanträge, die dann beim Umwelt- oder Entwicklungsministerium, bei Stiftungen oder anderen Gebern eingereicht werden. Meistens reise ich dafür in die jeweilige Projektregion, um mit den Kollegen vor Ort und mit entsprechenden Partnern in einem mehrtägigen Workshop detaillierte Konzepte auszuarbeiten. Das fertige Projektkonzept mit der Handschrift der Experten vor Ort nehme ich dann mit zurück nach Deutschland, um es hier bei der entsprechenden Förderstelle einzureichen und das Vorhaben hoffentlich zu einem guten Teil finanziert zu bekommen. Bis zur Genehmigung können unter Umständen bis zu sechs Monate vergehen. Im Extremfall sogar noch länger.
Der zweite Bereich sind dann die Umsetzung und das Management des Projektes: Ich schlage hierbei vor allem die Brücke zwischen den Projektpartnern vor Ort und dem jeweiligen Geber der Mittel. Es gilt, das entsprechende Projektteam aufzustellen und auf Basis genau festgelegter Arbeits- und Finanzpläne schrittweise das Projekt zu realisieren. In regelmäßigen Abständen werden ausführliche Berichte über den Projektfortschritt und die Verwendung der finanziellen Mittel beim Geber eingereicht. Diese umfassenden Dokumente zu erstellen, das gehört ebenfalls zu dem Bereich einer verantwortungsvollen Projektumsetzung.
Den dritten Schwerpunkt bildet die Kommunikation. Der Tiger ist eine sehr öffentlichkeitswirksame Art. Viele Menschen sind sehr interessiert, wie es um den Bestand der Tiger weltweit steht, was der WWF macht, um diese majestätischen Großkatzen zu schützen, und welche Neuigkeiten es aus den Projektregionen gibt. Ich freue mich, dieses Interesse mit Updates, News und aktuellen Berichten in Zusammenarbeit mit unserer Marketing- und Kommunikationsabteilung bedienen zu dürfen. Aber natürlich ist es auch wichtig, dass unsere treuen Spender, Paten und andere Förderer regelmäßig informiert werden und somit unsere Arbeit verfolgen können. Eine transparente und kontinuierliche Information ist also sowohl nach innen (innerhalb des WWF) als auch nach außen notwendig. Dazu kommt der stete, regelmäßige Austausch auf internationaler Ebene sowohl mit den Vertretern aus den Projektregionen, als auch mit anderen Partnern, die global zum Tigerschutz arbeiten.
Was ist Ihr Resümee nach zehn Jahren?
Das Gefühl ist unbegrenzt positiv, so viel meiner Lebenszeit für diese gute Sache eingesetzt zu haben. Meine Arbeit für den Arterhalt der Tiger ist umgeben von einer großen Wahrheit, für die es sich zu kämpfen lohnt und einem großen Glauben, auch auf dem politischen Parkett etwas bewirkt zu haben und weiter bewirken zu können, ja, zu müssen. Wir haben es geschafft, dass sich sehr unterschiedliche Regierungen zusammensetzen, um kriminellen Machenschaften wie dem illegalen Wildtierhandel das Handwerk zu legen. Gerade kleine Staaten wie Nepal oder Bhutan gehen vorbildlich voran. In Indien ist die Zahl der Tiger in den letzten vier Jahren von 1.700 auf 2.226 gestiegen. Das sind über 500 Tiger mehr! Die Regierung Myanmars hat kürzlich bekanntgegeben, den berüchtigten Wildtiermarkt Mong La an der Grenze zu China schließen zu wollen. Und auch das rigorose Vorgehen Thailands gegen die Verbrechen, die in dem Tigertempel stattgefunden haben, ist ein riesiger Fortschritt und großer Erfolg im weltweiten Kampf gegen Wilderei und illegalen Wildtierhandel.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Reisen Sie als Mutter eines Kleinkindes immer noch so oft ins Tigerland?
Unser nächster großer Meilenstein ist das Chinesische Jahr des Tigers 2022. Aber es sieht danach aus, dass wir mit gebündelter Kraft dem Tiger wieder seinen Ehrenplatz zurückgeben und seine Zahl verdoppeln können. Gemeinsame Verantwortung und vertrauensbildende Maßnahmen schaffen den besten Nährboden für einen Bewusstseinswandel und interkulturelle Beziehungen. Aber man darf weder die Tiger noch den Menschen vor Ort allein lassen. Und zu ihrer zweiten Frage: Mein Sohn ist ja quasi ein WWF-Kind. Und, nein: Ich reise öfter, aber dafür wesentlich kürzer im Schnitt nur noch zehn Tage am Stück statt mehrerer Wochen. Wir überlegen sogar, solange unser Kind noch nicht in die Schule geht, noch mal ein oder mehrere Jahre in einem der Länder zu leben, um dort einfach authentischer bei den Tigern und den Menschen zu sein. Alles hängt zusammen und wir sind ein Teil dieser Welt. Dieses Bewusstsein muss Grundlage unseres täglichen Handelns werden, und das ist auch in Zukunft die Basis meiner Arbeit.
Interview: Anke Sademann
Kathrin Hebel hat in München Forstwissenschaft studiert. Seit 2012 koordiniert sie für den WWF Deutschland Schutzprojekte in Südasien.
Info:
Neben dem Einsatz von Wildhütern vor Ort stehen die Wildtiermärkte Asiens im Fokus. Der WWF Deutschland finanziert die Ausbildung und Ausstattung von Anti-Wilderer-Einheiten im fernen Osten Russlands, in Thailand sowie auf Sumatra und hilft mit, die Bestände von Amur-, Indochinesischem und Sumatra-Tiger wiederaufzubauen. Zusammen mit Partnern wie Traffic und Interpol bekämpft der WWF seit Jahren den Schmuggel mit Tigerprodukten.
Erfolgszahlen seit Aktionsbeginn 2009
Der Tiger (Panthera tigris) besiedelte einst fast ganz Asien. Vor 100 Jahren streiften vermutlich noch über 100.000 der Großkatzen durch die Wälder. 2009 hingegen lebten wahrscheinlich weltweit nur noch etwa 3.200 Tiger. Auf dem großen Tigergipfel 2010 in St. Petersburg hat sich der WWF zum Ziel gesetzt, die Anzahl der Tiger bis 2022 zu verdoppeln. Die betroffenen Regierungen haben sich zu mehr Engagement verpflichtet.
Ein Schlüsselland für das Überleben der Art ist Indien. Hier leben wohl noch mehr als 2.200 Tiger. Offiziell gibt es 13 Länder, die als ihre Heimat gelten. Vorzeigeländer sind: Nepal, Bhutan, Thailand, Myanmar und Sumatra. In Russlands Taiga und an der Grenze zu China, in Laos und Vietnam leben jeweils weniger als ein Dutzend Tiere. Kambodscha plant die Wiedereingliederung von Tigern im Osten des Landes.
2016: Die Zahl wilder Tiger ist erstmals seit Jahrzehnten in Indien, Nepal, Bhutan und Russland wieder gestiegen um etwa 700 Tiere. Aktuell sollen laut WWF wieder rund 3.900 Tiger durch die Wälder Asiens schleichen.
Auflagen bis 2022: Alle Tigerstaaten müssen verbindliche Aktionspläne zum Tigerschutz verabschieden. Tigerschutzbemühungen müssen weiter forciert werden vor allem in Südostasien. Die Regierungen müssen zusätzliches Geld für den Tigerschutz bereitstellen. Der Kampf gegen Wilderei ist global noch härter und bedingungsloser zu führen.
LEBEN
Getty Images / Vetta
Im Dienste Ihrer Majestät
MEHR AUS DIESEM RESSORT
Macht Fernsehen dumm?
Warum eine waghalsige These der Uniklinik Jena dagegen spricht ...
12.04.2024
Vermischte Nachrichten vom 12. April 2024
Facelift macht Taycan zum stärksten Serien-Porsche ...
12.04.2024
Bestes an neuem Standort
Kenner schätzen die „Fruchteria“ im Nauwieser Viertel in Saarb ...
12.04.2024
Allein unter Männern
Christina Stürmer ist Österreichs größter Exportschlager seit ...
12.04.2024
Handwerk mit frivolem Touch
Handwerk erfindet sich öfter mal neu. Eine Sattlerin macht vor ...
12.04.2024
Verschmuster Riese
Balou ist ein zentralasiatischer Owtscharka und ein ganz liebe ...
12.04.2024
Mein Büro
Peter Demmer (64) ...
12.04.2024
Zum Dahinschmelzen
Bei der „Gelato Week Germany 2024“ kommen Eisliebhaber voll un ...
12.04.2024