Dr. Herbert Kappauf war einer der ersten Mediziner, die sich mit der Spontanheilung bei Krebs beschäftigten. Im Interview erzählt er, wie häufig und bei welchen Tumorarten Spontanheilungen auftreten können, welche Faktoren sie begünstigen können und berichtet von Fällen, die er selbst erlebt hat.
Herr Dr. Kappauf, wie kamen Sie dazu, sich näher mit dem Thema Spontanheilung zu befassen?
Vor über 30 Jahren hatte ich mit einem 60-jährigen Mann, bei dem drei Monate nach der operativen Entfernung eines Nierenkrebses bei einer Röntgenuntersuchung mehrere Metastasen in den Lungen aufgefallen waren, offen die unheilbare Krankheitssituation besprochen. Ich hatte vorerst lediglich eine Befundkontrolle in einigen Monaten vorgeschlagen, da die damals verfügbare, kaum Erfolg versprechende Behandlung sein gutes Befinden durch Nebenwirkungen verschlechtern würde. Dieses Vorgehen kam dem Patienten entgegen. "Ich möchte mein Haus bestellen", hatte er mir erklärt, eine Zeit ohne Beschwerden sei ihm für seine derzeitige Arbeit wichtig. Vier Monate später kam der Patient zur Kontrolluntersuchung. Während einer eben abgeschlossenen "Nachsorgekur" war eine eindeutige Größenzunahme der Lungenmetastasen dokumentiert worden. Bei dem nach wie vor beschwerdefreien Patienten habe ich nach eingehender Untersuchung weiter noch zu keiner medikamentösen Tumortherapie geraten. Schon beim Verabschieden fragte der Patient resigniert, ob er wirklich seine Berufstätigkeit aufgeben müsse, wie ihm der Reha-Arzt erklärt habe? Ich fragte zurück: "Was hält Sie am Leben?" "Meine Arbeit!" "Nun, Sie fühlen sich leistungsfähig und ich würde, wenn ich leben möchte, nicht das aufgeben, was mich am Leben hält." Der Patient brach in Tränen aus, verabschiedete sich sehr dankbar. Fünf Monate später kommt er erneut zu einer Kontrolle. Er habe weiterhin keine Beschwerden, nehme keinerlei Medikamente. Er habe "täglich starke Gefühlswallungen" angesichts der Erfahrung, beruflich und familiär gebraucht und geschätzt zu werden. Außerdem, er habe damit in seinem Alter nicht mehr gerechnet, sei "eine Frau in sein Leben getreten". Auf den angefertigten Röntgenaufnahmen zeigte sich eine vollständige Rückbildung der Lungenmetastasen.
Mir war damals das Phänomen von Spontanremissionen bei Krebserkrankungen nicht geläufig. Ich ging aber davon aus, dass ich kaum der erste Arzt wäre, der eine solche Beobachtung gemacht habe. Beim Recherchieren überraschten und beschämten mich ein wenig viele Berichte in der medizinischen Fachliteratur.
Als Sie den ersten Vortrag zu diesem Thema halten wollten, wurden Sie zunächst nicht ernst genommen. Ab wann beschäftigte sich schließlich die Forschung damit?
Damals galten Einzelfallberichte wissenschaftlich als wenig erkenntnisrelevant, sondern als Anekdoten. Der eben aufkommende Forschungsbereich der Psychoneuroimmunologie war vielen Onkologen noch suspekt. Mit Spontanremissionen hatten sich jedoch bereits die damals weltweit führenden deutschen Pioniere der Onkologie auseinandergesetzt, auch auf dem 1. Internationalen Krebskongress überhaupt, der 1906 in Heidelberg und Frankfurt organisiert worden war. In den folgenden beiden Jahrzehnten wurde dann erkannt, dass Krebs durch Mutationen aus einer sich unkontrolliert teilenden Zelle entsteht. Diese "monoklonale Proliferation" glich analog einem Schneeball, der sich zu einer zerstörerischen Lawine entwickelt. Nachdem noch nie beobachtet worden ist, dass sich eine Lawine wieder bergaufwärts rückbilden kann, wurden nun Spontanremissionen von Krebserkrankungen von den onkologischen Meinungsmachern recht dogmatisch meist als "Fehldiagnosen" aus dem wissenschaftlichen Blickfeld geschoben. Mit unserem heutigen Wissen bildet das Schneeball-Lawinen-Modell das Krebswachstum nur bedingt ab, da es regulatorische Abläufe ignoriert. Auf einen Schneeball wirken eben nicht nur die Schwerkraft, sondern auch andere Kräfte. Ein Schneeball kann auch schmelzen!
Man unterscheidet zwischen Spontanheilung und Spontanremission. Worin besteht der Unterschied?
Eine Spontanheilung ist eine vollständige Spontanremission, die auf Dauer anhält. Häufiger sind Spontanremissionen, bei denen Tumorknoten ohne Therapie zwar deutlich kleiner werden, aber nicht vollständig verschwinden und / oder im Verlauf von Monaten oder wenigen Jahren erneut wachsen. So sind beispielsweise auch bei einem Mann mit Spontanremission von Lungenmetastasen vier Monate später Hirnmetastasen aufgetreten, an denen der Kranke schließlich verstorben ist.
Wie kann man Spontanheilung bei Krebs medizinisch erklären?
Wenn Krebszellen verschwinden, geschieht dies nur über zwei biologische Abläufe: Entweder die Krebszellen "heilen", das heißt, sie "differenzieren" zu Zellen, die von gesunden Körperzellen nicht mehr unterscheidbar sind. Oder die Krebszellen sterben ab. Letzteres geschieht auch im gesunden Körper täglich milliardenfach durch einen komplex gesteuerten "programmierten Zelltod" (Apoptose), der quasi als "Qualitätskontrolle" defekte oder alte Zellen aussondert. Krebszellen mit ihren Defekten unterlaufen dieses Apoptoseprogramm, werden also unsterblich. Bei Spontanremissionen kann diese Apoptose offensichtlich wieder aktiviert werden. Dies ist verschieden möglich: etwa wenn die Versorgung mit Nährstoffen und Wachstumsfaktoren eingeschränkt ist, aber auch durch hormonelle oder Stoffwechselveränderungen, immunologische Abläufe oder Hemmung der Telomerase in Krebszellen, einem Enzym, das deren unkontrollierte Teilungsfähigkeit erst gewährleistet.
Inwieweit auch psychische, psychosoziale oder spirituelle Faktoren diese biologischen Abläufe gelegentlich so modifizieren können, dass Spontanremissionen möglich werden, wird kontrovers diskutiert. Die heute ausgefeilten Methoden und innovativen Ansätze der psychoneuroimmunologischen Forschung liefern da manche spannenden Hinweise.
Welche Faktoren können sie in Gang setzen?
Etwa zwei von drei Mammakarzinomen sind "hormonrezeptorpositiv". Sie können also durch weibliche Sexualhormone im Wachstum stimuliert werden. Spontanremissionen von Brustkrebs in Zusammenhang mit hormonellen Änderungen im Wochenbett oder beim Eintritt in die Wechseljahre sind oft beschrieben worden. Sie haben entscheidend die heute so wichtige Behandlung von Brustkrebs mit antihormonellen Medikamenten angestoßen.
Kann man in etwa abschätzen, wie häufig Spontanheilungen vorkommen?
Krebs ist nicht eine Krankheit, sondern umfasst etwa 200 sehr verschiedene Krankheitsbilder. Deshalb muss man sehr differenzieren. Bei einigen sehr häufigen Krebserkrankungen, zum Beispiel Darmkrebs, manifestem Lungenkrebs oder Bauchspeicheldrüsenkrebs sind Spontanremissionen sehr selten: Eher seltener als 1:1.000.000. Bei Metastasen von Nierenkrebs oder niedrig malignem Lymphknotenkrebs sind in Untersuchungen dagegen Spontanremissionen häufiger als 1:100 dokumentiert. Bei Neuroblastomen im Stadium IVS, einer seltenen Tumorart bei Säuglingen, sind Spontanremissionen mit 80 Prozent sogar die Regel.
Kann Spontanheilung nur bei einer bestimmten Krebsart auftreten oder prinzipiell bei allen Arten?
Spontanremissionen sind sporadisch praktisch bei allen Tumorarten beschrieben. Die meisten Fallberichte beziehen sich jedoch auf relativ wenige Krebsarten: Maligne Melanome (Schwarzer Hautkrebs), Metastasen bei Nierenkrebs, Maligne Lymphome (Lymphknotenkrebs) und kindliche Neuroblastome. Biologische Besonderheiten dieser Tumore begünstigen offensichtlich eine Spontanremission.
Inwiefern kann die Onkologische Therapie von dem Wissen um Spontanheilung profitieren?
Die Entwicklung der modernen medikamentösen Tumortherapie hat ja wesentliche Impulse von beobachteten Spontanremissionen erhalten. Das gilt für die gesamte Immuntherapie, die antihormonelle Therapie, die Therapie mit Medikamenten, die verhindern, dass Tumorknoten über Blutgefäße mit Nährstoffen versorgt werden (Antiangiogenese) und selbst für einige Medikamente der klassischen Chemotherapie. Wenn wir die biologischen Abläufe noch genauer kennen, die unter seltenen Voraussetzungen selbst große Krebsknoten spontan verschwinden lassen, so können diese Abläufe auch zum Segen für Krebskranke für neue zielgerichtete onkologische Therapiestrategien genutzt werden. Anders als vor 30 Jahren sind etwa Regulationsabläufe des Immunsystems viel genauer bekannt. So schützen gewisse Zellen des Immunsystems Krebszellen vor der Zerstörung durch andere Immunzellen. Ein häufiger pauschaler Appel an Krebskranke, sie müssten "das Immunsystem stärken", ist deshalb zwar gut gemeint aber etwas kurzsichtig. Sorgfältige Untersuchungen von Krebskranken, die eine Spontanremission ihrer Tumorerkrankung erleben, fordert eine engere Zusammenarbeit von Klinikern und Grundlagenforschern. Heute mögliche molekularbiologische und raffinierte immunologische Analysen von Tumorgewebsproben versprechen ein erweitertes Verständnis der dem Krebswachstum, aber auch der Tumorrückbildung zugrundeliegenden biologischen Steuerungsvorgänge.
Gibt es neue Forschungsrichtungen und Erkenntnisse in Sachen Krebstherapie?
Derzeit noch experimentelle Formen der Bekämpfung von Krebszellen mit Viren basieren auf beobachteten Spontanremissionen nach Virusinfektionen. Die immensen wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahre, welche molekularen Defekte aus gesunden Zellen Krebszellen entstehen lassen, welche ihre Vermehrung stimulieren und wie sich diese defekten Zellen der an sich fälligen Apoptose entziehen, hat zu vielen innovativen Medikamenten der zielgerichteten Krebstherapie (Target-Therapie) geführt. Als ich vor knapp 40 Jahren mit meiner onkologischen Ausbildung begann, verfügte die Krebsheilkunde über kaum zehn Medikamente. Heute kann sie dagegen bei der Behandlung Krebskranker bereits etwa 200 Heilmittel differenziert und individualisiert einsetzen.
Interview: Kristina Scherer-Siegwarth
Mehr Infos zur Spontanheilung:
www.salutogenese-bei-krebs.de
Buchtipp:
"Wunder sind möglich Spontanheilung bei Krebs"
Von Herbert Kappauf
Kreuz Verlag
Taschenbuch 16,99 Euro
Info:
Dr. Herbert Kappauf: "Die eindrucksvollste Spontanheilung durfte ich bei einem Mann erleben, bei dem wenige Monate nach erfolgreicher Operation eines rechtsseitigen Lungenkrebses große Metastasen im Bauchraum zweifelsfrei diagnostiziert worden waren. Eineinhalb Jahre später waren keine Krebsknoten mehr vorhanden. Ein Chirurg, der den Patienten zu diesem Zeitpunkt wegen eines Leistenbruches operierte, formulierte in seinem Befundbericht, dass er keinerlei Tumorgewebe mehr habe finden können, die frühere Operation offensichtlich sehr erfolgreich gewesen sei. Bei dem Patienten waren aber nur Gewebeproben zur Klärung der Tumorart entnommen worden und nach diesem kleinen Eingriff war wohl fast ein Kilogramm an "Tumormasse" im Körper verblieben. Eine onkologische Therapie dieser Metastasen war nie erfolgt! Als der Mann zehn Jahre später an einer Lungenembolie verstarb, ließ sich auch bei der sorgfältigen Obduktion durch den Pathologen, der den Tumor der Lunge und das Metastasengewebe untersucht hatte, keinerlei Tumorgewebe mehr auffinden."
LEBEN
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