Trump zündelt und stärkt die radikalen Kräfte in Saudi-Arabien und im Iran
Experten sagen schon lange: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) aus Syrien und dem Irak weitgehend vertrieben ist. Zu sehr stehen die Dschihadisten unter Beschuss der Kurden, der syrischen Regierungstruppen oder der Kampf-Jets der internationalen Anti-IS-Koalition. Das schrumpfende Kalifat der Islamisten bringt jedoch neue Bedrohungen. Denn je stärker den Extremisten das Wasser bis zum Hals steht, desto mehr holen sie zu Terroranschlägen außerhalb ihres Kern-Territoriums im Nahen Osten aus. Nach Paris, Brüssel, Nizza, Berlin, St. Petersburg, Bagdad, Kabul und London trifft es nun Teheran.
Die Attentäter vom Mittwoch vergangener Woche hatten sich mit voller Absicht das iranische Parlament und das Mausoleum des verstorbenen Revolutionsführers Ajatollah Chomeini ausgesucht: Sie wollten durch ihren Doppelanschlag das politische und das religiöse Herz des Irans treffen. Die sunnitischen IS-Kämpfer verachten die Schiiten als muslimische Ketzer. Es herrscht der blanke Hass auf das Mullah-Regime, das sich als Vormacht der Schiiten begreift.
In politischer Hinsicht zahlt Teheran nun einen Preis für seine massive Einmischung in Syrien und im Irak. Der Iran dirigiert in beiden Ländern schiitische Milizen, die den IS zum Rückzug zwingen. Hinzu kommen die Revolutionsgarden, die vehement in den syrischen Bürgerkrieg eingreifen. Dass diese nun ihrerseits den Vorwurf erheben, Saudi-Arabien und die USA seien in die Doppel-Attacke verwickelt, darf getrost unter der Rubrik Propaganda verbucht werden. Die Terrorgefahr durch den IS würde für Unruhe in der iranischen Bevölkerung sorgen und das System möglicherweise destabilisieren. Der Erzfeind Amerika und Saudi-Arabien, der machtpolitische Gegenspieler in der Region, taugen am besten für Ablenkungsmanöver.
Dennoch gilt: Alles, was den Iran schwächt, nutzt Riad. Das Königreich sieht sich als Schutzmacht der Sunniten. Saudi-Arabien hat das Atomabkommen mit dem Iran im Juli 2015 argwöhnisch verfolgt und US-Präsident Barack Obama dafür insgeheim scharf kritisiert. Mit der Rede von dessen Nachfolger Donald Trump in der saudischen Hauptstadt Ende Mai kam die Wende. Die Scheichs sahen in Trumps rhetorischem Sturmlauf gegen den "Terror-Unterstützer" Iran einen Freibrief für außenpolitische Konfrontation und innenpolitische Repression.
Die Reaktion der Saudis und einiger anderer arabischer Staaten kam prompt. Die diplomatische und wirtschaftliche Isolierung des Golfstaats Katar soll in Wahrheit den Iran treffen. Das kleine Emirat betreibt seit Jahren eine unabhängige Außenpolitik und unterhält gute Beziehungen zu Teheran. Zudem verfügt es über einen eigenen Fernsehsender (Al Dschasira), der sich gelegentlich auch kritisch über die Regime der arabischen Nachbarländer äußert. Und Katar hilft islamistischen Gruppen wie den Muslimbrüdern oder der Hamas. All dies wurmt die Scheichs in Riad.
Dafür wird der Zwergstaat am Golf gewissermaßen in Geiselhaft genommen. Der von Riad und anderswo vorgetragene Vorwurf, dass Katar islamistische Gruppen finanziere, ist allerdings scheinheilig. Laut OECD haben Privatleute und religiöse Stiftungen aus Saudi-Arabien, Katar und Kuwait über mitunter verschlungene Wege Geld an Extremisten überwiesen. Alle drei Staaten nehmen eine stockkonservative Auslegung des sunnitischen Islams für sich in Anspruch. Kritiker werfen einigen Predigern eine ideologische Nähe zum IS vor.
Trump hat mit seiner einseitigen Parteinahme für Saudi-Arabien weiteres Öl ins Feuer gegossen. Es steht zu befürchten, dass dies die radikalen Kräfte in Riad und Teheran anstachelt. Alles ist denkbar, bis hin zu einem Krieg zwischen den beiden großen Regionalmächten. Damit würden jedoch automatisch deren Verbündete Amerika und Russland in den Konflikt hineingezogen. Dieses Albtraum-Szenario ist genau das, was der bereits von vielen Spannungen aufgeladene Nahe Osten nicht braucht. So mühsam es ist: Deutschland und die EU tun gut daran, darauf zu pochen, die Streithähne an den Verhandlungstisch zu bringen. Das wichtigste strategische Ziel besteht darin, die internationale Koalition gegen den islamistischen Terror zu stärken. Alles andere bedeutet eine neue Stufe auf der nach oben offenen Eskalations-Skala.
Von Michael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.
POLITIK
Foto: stock.adobe.com / fedorovekb
Gefährliche Eskalation
MEHR AUS DIESEM RESSORT
Nachrichten aus Wirtschaft und Politik (5.04.2024)
In eigener Sache: unser Papier ...
05.04.2024
Nach gedacht: Schwierige Wahrheiten
Der Dauerregen kann schon ganz schön aufs Gemüt gehen. Das Saarland is ...
05.04.2024
Cannabis-Chaos
Kiffen ist seit Ostern nun freigegeben. Über 40 Jahre haben di ...
05.04.2024
Deutungshoheit
Kulisse für Märchen und Sagen, Tummelplatz für Elfen und Schra ...
05.04.2024
Mit neuem Konzept gegen Armut
In Deutschland stagniert Bedürftigkeit auf hohem Niveau, im Sa ...
05.04.2024
Nahaufnahme: Netanjahu hat sich verrannt
Israels blindwütiger Krieg im Gazastreifen ist eine Sackgasse ...
05.04.2024
Bewährungsprobe
Am 7. April finden in Polen Kommunalwahlen statt – das erste p ...
05.04.2024
Nachrichten aus Wirtschaft und Politik (28.3.2024)
Drei Fragen ...
28.03.2024