Gegen Falschmeldungen im Internet hilft nur eines: Wachsamkeit
In einer Pizzeria mitten in Washington eröffnet ein Mann das Feuer. Bei der Polizei gab der 28-Jährige an, er habe sich von haltlosen Behauptungen in sozialen Netzwerken leiten lassen: Die Demokratin Hillary Clinton und andere hätten aus dem Restaurant heraus einen Kinderpornoring betrieben. Die deutsche Grünen-Politikerin Renate Künast stellt Strafanzeige wegen einer Falschmeldung auf Facebook. Demnach soll sie über den mutmaßlichen Studentinnen-Mörder von Freiburg gesagt haben: "Der traumatisierte junge Flüchtling hat zwar getötet, man muss ihm aber trotzdem helfen." Dieses Zitat steht auf etlichen Seiten wie etwa "Widerstand deutscher Patrioten".
Zwei Beispiele, die auf bizarre Internetveröffentlichungen zurückgehen. Sie zeugen von dem Dilemma für die Nutzer der digitalen Welt. Im Netz steckt einerseits ein grenzenloses Meer an Informationen. Es bietet aber auch einen Ozean an verzerrten und gefälschten Inhalten, Gerüchten und Verschwörungstheorien.
Die Propaganda-Abteilungen der Politik machen sich diesen Desinformationsnebel immer mehr zunutze. Sie operieren nicht mit Fakten, sondern spielen mit Stimmungen, Ressentiments und blankem Hass. Das Ziel ist die Schaffung von Verunsicherung –
einem Klima, in dem Manipulation bestens gedeiht. So kam die irrlichterne Kinderporno-Meldung aus dem Lager des Republikaners Donald Trump, das erfundene Künast-Zitat aus rechtsnationalen Kreisen. In beiden Fällen ging es um die Diskreditierung von Personen und Parteien.
Auch Hackerangriffe im großen Stil setzen auf die Verwirrung der Öffentlichkeit. Führende amerikanische Medien berichten unter Berufung auf Geheimdienste, dass Cyberaktivisten mit Verbindungen zur russischen Regierung politisch heikle Informationen aus Computern der Demokraten gestreut haben. Zweck: Die Glaubwürdigkeit der moskaukritischen Präsidentschaftskandidatin Clinton sollte beschädigt werden, der erklärte Putin-Freund Trump die Wahl gewinnen. Insiderkenntnisse aus der Spitze der Republikaner seien dabei unter den Tisch gefallen.
Der Kreml bestreitet die Vorwürfe. Doch auch Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen macht Russland für zunehmend aggressive Cyberattacken verantwortlich: "Die Hinweise auf Versuche einer Beeinflussung der Bundestagswahl im kommenden Jahr verdichten sich." Dabei kann er sich auf einen prominenten Kronzeugen berufen – den russischen Generalstabschef Waleri Gerassimow. Politische Ziele, formulierte Gerassimow 2013, seien nicht mehr mit konventioneller Feuerkraft zu erreichen, sondern durch den "breit gestreuten Einsatz von Desinformationen".
Im Januar hat Moskau eine Kostprobe geliefert, wie so etwas ablaufen kann. Im russischen Fernsehen und in Blogs wurde verbreitet, dass eine 13-jährige Russlanddeutsche aus Berlin-Marzahn von Flüchtlingen entführt und brutal vergewaltigt worden sei. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach prompt von "unserem Mädchen Lisa" und stellte in den Raum, Deutschland wolle Verbrechen vertuschen. Die Berliner Staatsanwaltschaft teilte später mit, dass Lisa eine Nacht bei einem Bekannten verbracht habe. Das Propaganda-Muster ist erkennbar: Misstrauen gegen Migranten säen und die Willkommenspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel verunglimpfen.
Durch derlei Manöver gerät die Demokratie in Gefahr. Für die Politik in Deutschland bedeutet dies: Die Datensicherheit muss so schnell und umfassend wie möglich verbessert werden, um Hackerangriffe abzuwehren. Facebook kann sich noch zu oft wegducken, wenn Verleumdungen und Hass-Kampagnen über seine Plattform geteilt werden. Hier ist mehr Druck nötig, um Falschmeldungen sofort zu löschen. Schließlich wäre den demokratischen Parteien zu empfehlen, sich Bremsklötze gegen die Diffamierung von Gegnern anzulegen. Ein Gesetz nutzt nichts, da eine totale Netzkontrolle in einer freien Gesellschaft nicht funktioniert. Eine freiwillige Selbstverpflichtung brächte hingegen viel.
Aber auch der mündige Bürger ist gefordert. Er kann das Risiko, manipulierten Nachrichten aufzusitzen, wenigstens vermindern: Wachsam sein, die Fakten checken, die Quellen prüfen, einen Blick auf das Impressum des Mediums werfen. Wenn hier nur eine dubiose Adresse im Ausland steht, sollten die Alarmlampen aufleuchten.
Von Michael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.
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Gefahr für die Demokratie
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