Angela Merkels Macht erodiert. Doch noch gibt es keine Alternative
In diesen Tagen mag sich das wie ein Märchen anhören. Aber es gab einmal eine Zeit, da war Bundeskanzlerin Angela Merkel die Polit-Ikone der Republik. Egal, was sie anpackte, sie galt als unantastbar. Über Jahre stand sie ganz oben auf den Umfragetreppen. Daraus leitete sich eine Art politisches Naturgesetz ab: Hohe Beliebtheitswerte Merkels = Wahlergebnisse über der 40-Prozent-Marke für die CDU/CSU.
Diese Verknüpfung existiert nicht mehr. Die Union befindet sich auf Talfahrt. Dies hat in erster Linie damit zu tun, dass die Zugkraft der Kanzlerin stark nachgelassen hat. Die Landtagswahlen in diesem Jahr untermauern den Abwärtstrend. Vor allem die Entwicklung in Ostdeutschland ist für die Partei zutiefst besorgniserregend.
Beim Urnengang in Merkels Heimatland Mecklenburg-Vorpommern am vergangenen Sonntag landete die CDU abgeschlagen auf dem dritten Platz. Die AfD erzielte mehr als 20,8 Prozent und belegte hinter der SPD Rang zwei. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im März kam die AfD auf mehr als 24 Prozent bisheriger Rekordstand. In Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz fuhr die rechtspopulistische Partei immerhin zweistellige Ergebnisse ein. Die AfD hatte es immer wieder geschickt verstanden, dumpfe Ängste vor Ausländern und sozialem Abstieg zu schüren.
Die Wahlerfolge der Rechtsaußen-Partei verlaufen parallel zur Abwärtsspirale der CDU. Beides lässt sich zeitlich festmachen: Es begann mit Merkels Willkommenskultur in der Flüchtlingspolitik. Die Öffnung der Grenzen hatte die Kanzlerin in einer Nacht- und Nebelaktion vor einem Jahr durchgezogen in einer Kurzabsprache mit dem damaligen österreichischen Regierungschef Werner Faymann. Die EU-Partner wurden nicht eingebunden.
Die Bevölkerung in Deutschland folgte dem Kurs zunächst in einer Welle der Hilfsbereitschaft. Die sexuellen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht, an denen auch Migranten beteiligt waren, sorgten für einen Umschwung im Meinungsklima. Misstrauen und Skepsis nahmen zu. Die Kanzlerin hatte es versäumt, ihre Politik zu erklären. Sie hatte keinen Plan. Stattdessen wiederholte sie immer den Satz, der zu ihrem Mantra wurde: "Wir schaffen das."
Es war ein Satz, der eine Spur zu leichtfertig dahingesagt war. Der gewaltigen Aufgabe, mehr als eine Million Flüchtlinge zu integrieren, von denen die meisten aus einem völlig anderen Kultur- und Religionskreis kamen, wurde er nicht gerecht.
In dieser eindeutigen Positionierung war Merkel den Deutschen plötzlich fremd. Viele sahen darin einen radikalen politischen Stilbruch. Die Kanzlerin war bis dahin bekannt als die große Moderatorin, die sich zurückhielt und abwartete, wie sich die Dynamik in kontroversen Debatten entwickelte. Erst am Ende bezog sie ihren Standpunkt. Dank dieses Prinzips der nebulösen Unbestimmtheit regierte sie lange mit traumwandlerischer Sicherheit.
Begünstigt wurde dies durch eine vergleichsweise stabile wirtschaftliche Entwicklung im eigenen Land. Trotz aller Verwerfungen durch Finanz- oder Griechenlandkrise: Deutschland erschien als Fels in der Brandung inmitten globaler Kalamitäten. Den Leuten ging es nicht schlecht. Vor diesem Hintergrund sedierte Merkel mit ihrem Kurs des Lavierens die Republik. "Wird schon gut gehen", lautete das Grundgefühl.
Damit ist es vorbei. Die Anschläge in Würzburg, Ansbach und München allesamt mit einer Migrations-Komponente haben vor Augen geführt, dass Formeln wie "Wir schaffen das" schnell hohl wirken können. Dass die Kanzlerin den Satz mit fast sakraler Inbrunst verteidigt, beweist, dass sie ihren früher untrüglichen Kompass verloren hat.
Die jüngsten CDU-Schlappen sind für Merkel brandgefährlich. Die Union ist ein Kanzlerwahlverein. Der Parteivorsitzende ist sakrosankt, so lange die Ergebnisse stimmen. Ist dies nicht mehr der Fall, erodiert die Macht. Dennoch hat die Kanzlerin derzeit nichts zu befürchten, weil sie alle potenziellen innerparteilichen Rivalen weggebissen hat.
In der Flüchtlingspolitik, ihre große Angriffsfläche, hat sie außer der AfD keine wirkliche Opposition. Die Sozialdemokraten, die Grünen und die Linke haben ihre Linie mitgetragen auch wenn sich SPD-Chef Sigmar Gabriel jetzt von Merkel distanziert, um seine Haut zu retten. Die Kanzlerin ist alternativlos noch.
Von Michael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.
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Kanzlerin ohne Kompass
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