Auf Merkel und Macron lastet ein gewaltiger Erfolgsdruck
Wann immer von einem Neu-Start der deutsch-französischen Beziehungen die Rede ist, besteht die Gefahr einer sentimentalen Verklärung. Sehr schnell wird dann der Vergleich mit den sogenannten Traumpaaren in der Nachkriegsgeschichte gezogen: Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, Helmut Schmidt und Giscard dEstaing oder Helmut Kohl und François Mitterrand. Auch an das Verhältnis zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron wird diese Messlatte angelegt werden.
Dies umso mehr, als über der Achse Berlin Paris in den vergangenen Jahren kein allzu großer Glanz lag. Zwischen der nüchternen Kanzlerin und dem paradiesvogelhaften Nicolas Sarkozy knirschte es zu Beginn gewaltig. Am Ende rauften sich beide zusammen. Romantiker machten sogar einen engen Draht aus, den sie mit dem Harmonie-Etikett "Merkozy" schmückten. Auch bei Hollande gab es am Anfang Missstimmigkeiten, die sich später legten. Vor allem der Vorstoß der Kanzlerin beim Minsker Abkommen zum Ukraine-Konflikt sorgte für eine deutsch-französische Annäherung.
Das ändert nichts daran, dass die Pluspunkte in der Ära Sarkozy und Hollande vor allem atmosphärischer Natur waren. Inhaltlich gelang dem Tandem Berlin Paris kein großer Wurf. Die Krisen des vergangenen Jahrzehnts Finanzen, Griechenland, Euro, Flüchtlinge, Brexit zeigten Europa in einem eher jämmerlichen Zustand.
Vor diesem Hintergrund lastet auf Merkel und Macron ein immenser Erfolgsdruck. Es liegt sowohl im Interesse Berlins als auch Brüssels: Der französische Kennedy, der mit dem Schwung des Polit-Außenseiters in den Elysée-Palast getragen wurde, darf nicht straucheln. Wenn Frankreichs Wirtschaft nicht ins Lot kommt und das Vertrauen in die Lösungsfähigkeit der Politik nicht wieder deutlich wächst, lauert das Gespenst des Rechtsextremismus bei den nächsten Wahlen. Dann holt der Front National mit nationalistischer Vereinfacher-Rhetorik nicht elf, sondern vielleicht 18 Millionen Stimmen.
Macron hat große Hoffnungen geweckt und ehrgeizige Projekte angekündigt. Er will mit einem sozialliberalen Politik-Mix die Wirtschaft ankurbeln, die Arbeitslosigkeit senken und die staatlichen Haushalte stabilisieren. Instrumente: Lockerung des überreglementierten Arbeitsrechts, milliardenschwere Investitionen sowie Einsparungen im öffentlichen Dienst.
Macron muss nun in einem Parforce-Ritt nachholen, was seine Vorgänger versäumt haben. Eines der Grundübel Frankreichs ist die hohe Staatsgläubigkeit. Jeder fünfte Arbeitsplatz befindet sich im öffentlichen Dienst das gibt es sonst nirgendwo in Europa. Weiteres Problem: Jedweder Versuch, die Unternehmen für den rauen Wind der Globalisierung fit zu machen, scheiterte am erbitterten Widerstand der Gewerkschaften. Die Arbeitslosenrate klebt seit Jahren an der Zehn-Prozent-Marke.
Mit Blick auf Europa schwebt Macron eine Angleichung der Standards etwa bei Unternehmenssteuern vor. Zudem soll die Eurozone ein gemeinsames Parlament, Budget und einen Wirtschafts- und Finanzminister erhalten. Ein derart massiver Eingriff in die nationale Wirtschafts- und Haushaltspolitik geht Merkel mit Sicherheit zu weit. Auch in Ländern wie Österreich, den Niederlanden oder den osteuropäischen EU-Staaten hält sich die Begeisterung hierfür in Grenzen. Die SPD liegt hingegen in vielen Punkten auf Macron-Linie. Sie dürfte sich im Wahljahr als Musterhelfer für Frankreich profilieren.
Das bringt die Kanzlerin in Zugzwang. Sie und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble legen den Schwerpunkt auf eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und einen Abbau der Staatsschulden. Merkel ist mit dieser Politik in Deutschland gut gefahren. Sie sollte den neuen Präsidenten an seine Hausaufgaben erinnern gewiss. Doch sie kann gegenüber Paris nicht nur als die gestrenge Lehrmeisterin auftreten. Sie muss Macron entgegenkommen. Zum Beispiel, indem sie eine vorübergehende Überschreitung des Defizit-Ziels von drei Prozent billigt. Oder, indem sie öffentliche Investitionen in einem gewissen Maße unterstützt, um die Konjunktur auf Trab zu bringen. Das Schicksal beider Länder die treibenden Kräfte der EU ist miteinander verknüpft wie selten. Scheitert Frankreich, wird auch Deutschland in Mitleidenschaft gezogen.
Von Michael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.
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