In einer Welt mit profilarmen Politikern hatte Fidel Castro eines: Konturen
Man kann zum verstorbenen kubanischen Chef-Kommandanten Fidel Castro stehen, wie man will: Gleichgültig ließ er keinen. Der Mann mit dem Rauschebart, der olivgrünen Uniform und dem nie enden wollenden Revolutions-Mantra polarisierte wie sonst kaum einer. Für die einen war er der charismatische Prediger einer gerechteren Welt, der der kapitalistischen Übermacht USA die Stirn bot. Für die anderen war er der diktatorische Steinzeit-Kommunist, der feurige Reden hielt, während sein Volk hungerte. Vergötterung oder Verteufelung dazwischen gab es nichts.
Die Faszination und der Hass, die Fidel Castro auf sich zog, erklären sich vor allem aus einem: Er wurde zu einer riesigen Projektionsfläche für Träume und Alpträume. Mehrere Bilder legten sich jeweils übereinander.
Die Vision von sozialer Gleichheit: Seine Fans sahen in dem gelernten Anwalt einen mutigen Kämpfer gegen die Spaltung in Arm und Reich. Unter dem Alleinherrscher Fulgencio Batista war Kuba ein Land, auf der wenige Zucker-Barone in Saus und Braus lebten, während viele auf den Feldern schufteten und darbten. Die Korruption blühte. Castro jagte Batista 1959 aus dem Amt. Firmen wurden enteignet. An die Stelle der Profit-Ökonomie trat sozialistische Planwirtschaft.
David gegen Goliath: So sehr die amerikanische Regierung die Sanktionen gegen Kuba verschärfte, so wenig ließ sich Castro beeindrucken. Er polterte gegen die "Yankees", knickte niemals ein. Für die internationale Linke wurde der "Máximo Líder" zum ewigen Idol. Castros Schlachtgenosse Ernesto "Che" Guevara verlieh dem Feldzug für die Unterdrückten eine polit-romantische Patina, die bis heute anhält.
Der Unbeugsame: Castro hielt immer an seinen Ideen fest auch, als die Sowjetunion 1991 zusammenbrach und die milliardenschweren Öl-Subventionen aus Moskau versiegten. Die kapitalistischen Lockerungsübungen seines Bruders Raúl, der ab 2006 das Ruder übernommen und in 200 Berufen privatwirtschaftliche Aktivitäten erlaubt hatte, rügte er aus der Distanz. "Eines Tages sind wir alle dran", sagte er bei seiner letzten großen Festrede im April, "aber die Ideen der Kommunisten bleiben."
Der Rückständige: Die Gegner Castros sehen dies genau andersherum. Sie verurteilen dessen Unbeugsamkeit als mangelnde Anpassung an die veränderten Realitäten. In der Ära der Globalisierung seien wirtschaftliche Öffnung und politische Teilhabe Trumpf, sagen sie. Der Polit-Dino habe die Zeichen der Zeit nicht erkannt und sein Land an die Wand gefahren.
Der Unterdrücker: Sozialismus bedeutet für Castro die unbeschränkte Herrschaft der Kommunistischen Partei. Opposition und System-Kritik sind nicht erlaubt. Wer diese Ordnung in Frage stellt, landet im Gefängnis. Seit 1959 sind mehr als zwei Millionen Kubaner geflohen. Heute leben rund elf Millionen Menschen auf der Insel.
Land in Armut: Die sozialistischen Träume Castros haben sich nicht erfüllt. Zwar steht Kuba bei Bildung und Gesundheitsversorgung an der Spitze Lateinamerikas. Trotzdem gibt es wenige Jobs mit beruflichen Perspektiven. Nur, wer im Tourismusbereich arbeitet, kommt an die heiß begehrten Dollars. Viele Güter des täglichen Bedarfs fehlen.
Man mag Castros Ideen als wirklichkeitsuntauglich kritisieren. Man mag den Chef-Revolutionär als gescheiterten Utopisten bezeichnen. Dennoch: Er war einer der letzten Kämpfer für ein umfassendes Gesellschaftsprojekt, eine Welt, die nicht von Besitz und Kapital dominiert wird. In dieser Mission wurde Castro zu einer international beachteten Figur, die über sich selbst hinauswies.
Persönlichkeiten mit derlei scharfen Konturen gibt es nicht mehr. Heutzutage ist die globale Arena voll mit Politikern ohne tiefes inhaltliches Profil. Ob Donald Trump, Angela Merkel oder Wladimir Putin: Das moderne Polit-Management besteht aus einem Mosaik von Stückwerk-Vorhaben (gebremster Freihandel, Reparaturen an der Rentenversicherung, Ölproduktion et cetera). In einer komplizierten Welt, die von Krisenherden, rasanter Digitalisierung und Innovationsschüben geprägt wird, sind weite Teile des Publikums überfordert. Die politische Elite sucht ihr Heil in phraseologischer Vereinfachung, Koalitionstaktik zum Machterhalt und populistischer Stimmungsrhetorik. Große Würfe à la Castro finden nicht mehr statt.
Von Michael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.
POLITIK
Foto: stock.adobe.com / fedorovekb
Nahaufnahme: Einer der letzten Kämpfer
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