Auch nach der Wahl stehen sich die politischen Lager unversöhnlich gegenüber
Die Schlacht um das Weiße Haus ist geschlagen. Doch die USA bleiben als erschöpftes, ausgezehrtes und moralisch abgebranntes Land zurück. Das Duell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump hat eine ganze Nation in einen kollektiven Psycho-Krieg gezogen.
Auf der einen Seite kämpfte die Demokratin Clinton für Frauenrechte, gesellschaftliche Integration der verschiedenen ethnischen Gruppen. Sie warb für eine Außenpolitik mit mehr Zähnen, insbesondere mit Blick auf Russland und den Nahen Osten. Auf der anderen Seite stand der Republikaner Trump, der Amerikas Stärke beschwor. Er predigte politischen Isolationismus und wirtschaftliche Abschottung.
Noch nie in der Geschichte der USA haben sich Präsidentschaftskandidaten derart mit Häme, Hass und Beleidigungen überzogen wie in diesem Jahr. Noch nie war eine Gesellschaft derart gespalten. Jahrzehntelang hatten Demokraten und Republikaner als sogenannte Plattform-Parteien gegolten: pragmatisch, ideologiefrei und trotz aller sachlichen Unterschiede fähig zum Kompromiss.
Vorbei. In der amerikanischen Politik herrscht das Gesetz der Konfrontation. Trumps Sturmlauf gegen das Establishment in Washington, die Rufmord-Kampagne gegen die "betrügerische" Clinton sind nicht der Anfang einer neuen Entwicklung. Die Breitseiten des Polterers markieren nur den vorläufigen Höhepunkt eines Prozesses, der in den 90er-Jahren begonnen hat.
1994 schrieb der damalige Sprecher des Repräsentantenhauses, der Republikaner Newt Gingrich, ein Manifest unter dem Titel "Contract with America", "Vertrag mit Amerika". Die Eckpunkte: Runter mit den Staatsausgaben, radikale Entschlackung des Regierungsapparats und Fokussierung auf die Freiheit des einzelnen.
Dahinter steckte eine radikale Kampfansage an die Sozialprogramme des demokratischen Präsidenten Bill Clinton. Der Kongress wurde zu einer Obstruktions-Maschine. Gingrich war der erste, der es auf einen "government shutdown" ankommen ließ eine "Stilllegung der Regierung". Im Winter 1995/96 gingen in vielen Bundesbehörden die Lichter aus.
Die Erben dieses Brachial-Konservatismus waren die Mitglieder der Tea Party. Diese 2009 entstandene Protestbewegung hatte sich die Totalblockade des demokratischen Präsidenten Barack Obama auf die Fahnen geschrieben. Dessen Ausweitung des staatlichen Krankenversicherungsschutzes ("Obamacare") wurde als "sozialistische Übernahme" gebrandmarkt.
Amerika ist der gesellschaftliche Kitt verloren gegangen. Verstärkt wurde die wachsende politische Polarisierung im Land durch ein wirtschaftliches Phänomen: Die Mittelschicht erodierte immer mehr. In den 50er-, 60er- und 70er-Jahren konnten sich viele Familien ein Häuschen leisten. Der Mann hatte in der Regel einen auskömmlichen Job, die Frau kümmerte sich um die Kinder. Später wollten oder mussten die Frauen arbeiten, um den Lebensstandard zu halten. Heute gibt es Millionen Familien, in denen beide Partner berufstätig sind und es reicht trotzdem nicht.
Das hat zum einen mit der Globalisierung zu tun. Traditionelle Industrien wie die Stahlbranche wurden auf dem Weltmarkt abgehängt. Darüber hinaus produzieren viele US-Firmen in Billiglohnländern. Arbeitsplätze wandern ab. Neue Stellen im Dienstleistungsbereich etwa in der Gastronomie sind schlecht bezahlt.
Hinzu kommt, dass die Finanzkrise die kollektive Psyche des Landes massiv erschüttert hat. Viele Amerikaner haben durch den Absturz der Börsenkurse in den Jahren nach 2008 riesige Geldvermögen verloren. Immobilien, oft auf Pump gekauft, waren plötzlich wertlos. Gleichzeitig wurde bekannt, dass die Banken astronomisch hohe Boni an ihre zockenden Top-Manager bezahlt hatten.
Die Verwerfungen der letzten Jahre haben in der Bevölkerung das Vertrauen in die Lösungskompetenz der politischen Klasse schwer beschädigt. In diese Lücke stieß Trump. Er schoss gegen die Elite in Washington, gegen internationale Großunternehmen, gegen die Finanz-Industrie. Clinton, seit Jahrzehnten mit dem politischen System verwachsen, bot hier eine große Angriffsfläche.
Das Unbehagen im Land sitzt tief, der Hass hat Konjunktur. Es ist zu befürchten, dass sich die beiden politischen Lager auch nach der Wahl vom 8. November unversöhnlich gegenüberstehen.
Von Michael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.
POLITIK
Foto: stock.adobe.com / fedorovekb
Nahaufnahme: Gespaltenes Amerika
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