Erleichterung ja, Euphorie nein: Emmanuel Macron muss erst liefern
Eine Welle der Begeisterung schwappt über Deutschland und Europa. Die Bundeskanzlerin, der Außenminister, der SPD-Spitzenkandidat und die Wirtschaft jubilieren über den Erfolg des unabhängigen Bewerbers Emmanuel Macron in der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen. Der 39-Jährige gilt als neues, unverbrauchtes Gesicht. Als Mann, der eben nicht im klassischen Politik-Betrieb aufgestiegen ist. Er hat vielmehr das Image eines europafreundlichen Hoffnungsträgers, der der in den Seilen hängenden EU eine Frischzellenkur verpassen kann.
Die Stoßseufzer der Erleichterung sind nur zu verständlich. Denn aus Berliner und Brüsseler Sicht gibt es nur grausige Alternativen. Ein Sieg der Rechtspopulistin Marine Le Pen würde ein Ende der EU in ihrer jetzigen Form bedeuten. Das Gleiche trifft auf den Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon zu, der in den letzten Wochen enorm aufgeholt, aber den Sprung in die Stichwahl nicht geschafft hat. Wäre der affärengebeutelte Konservative François Fillon in den zweiten Durchgang gelangt, hätte die Gefahr bestanden, dass die Wähler der "korrupten politischen Elite" die Rote Karte zeigen und die Extreme stärken.
Insofern ist Macron ein Glücksfall. Seine Aussichten auf einen Triumph beim entscheidenden Urnengang am 7. Mai sind gut. Aus zwei Gründen: Die unterlegenen Kandidaten der Konservativen und der Sozialisten haben zur Wahl Macrons aufgerufen. In der Vergangenheit hat das republikanische Bündnis gegen die Rechtsaußenpartei Front National (FN) immer wieder funktioniert.
So scharte sich bei der Präsidentschaftswahl 2002 eine große Mehrheit gegen den FN-Kandidaten Jean-Marie Le Pen. Nach dem gleichen Prinzip wurde ein Durchmarsch der Rechtsradikalen während der Regionalwahlen Ende 2015 verhindert. Weiterer Vorteil für Macron: Er bekommt Auftrieb, weil er nicht die sonst übliche Politiker-Karriere eingeschlagen hat. Damit bündelt er das Gefühl vieler Franzosen, die der Meinung sind, dass sich grundlegend etwas ändern muss.
Dennoch ist Macron kein Heilsbringer. Vorsichtiger Optimismus ja, Euphorie nein. Sollte der Anwärter Präsident werden, muss er erst noch liefern. Frankreich wird von strukturellen Probleme geplagt, an denen sich die vergangenen Chefs im Élysée-Palast die Zähne ausgebissen haben. Die Arbeitslosenrate klebt seit Jahren an der Zehn-Prozent-Marke. Fast jeder vierte Jugendliche hat keinen Job.
Dies liegt auch an zu vielen bürokratischen Vorgaben. Da französische Unternehmen nur sehr schwer Entlassungen vornehmen können, schaffen sie neue Stellen vor allem auf befristeter Basis. Ein sozialpolitischer Vorstoß nach Art der "Agenda 2010" von Ex-Kanzler Gerhard Schröder ist nicht in Sicht. Auch Macron wird noch die weit verbreitete Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-nass-Mentalität kennenlernen: Zwar weiß ein Großteil der Bevölkerung, dass etwas faul im Land ist. Doch an der Staatsgläubigkeit und einer spürbaren Verminderung des Beamtenheers wollen nur wenige rütteln.
Viele Franzosen teilen eine Grund-Skepsis gegenüber dem globalen Wettbewerb. Mehr als 40 Prozent haben in Runde eins bei der rechtsextremen Le Pen und dem Öko-Sozialisten Mélenchon ihr Kreuz gemacht. Diese wollen Protektionismus und Abschottung der heimischen Industrie. Erstmals hat die FN beim Kampf um den Élysée-Palast mehr als 20 Prozent erreicht. Le Pen bekam 7,6 Millionen Stimmen, 1,2 Millionen mehr als vor fünf Jahren.
Weiterer Risikofaktor: Macron hat zwar die Bewegung "En Marche" mit mehr als 200.000 Freiwilligen aus dem Boden gestampft. Aber er verfügt nicht über eine Partei, die ihm im Parlament eine verlässliche Regierungsmehrheit ermöglichen würde. Macron müsste sich also Partner suchen, was auf wacklige Ad-hoc-Koalitionen hinausliefe. Keine stabile Grundlage für beherzte Reformen.
Vor verfrühtem Freudentaumel sei daher gewarnt. Macron hat Chancen auf einen Neuanfang für Frankreich. Nutzt er sie nicht, wächst die Gefahr von Enttäuschungen. Das schafft Unzufriedenheit und treibt den Populisten Wähler zu. Das mussten schon andere erfahren. Als US-Präsident Barack Obama 2009 ins Weiße Haus einzog, bauten viele in Deutschland und Europa auf eine rosarote Zukunft. Doch danach folgten Desillusionierung und Frust. Acht Jahre später kam Donald Trump.
Michael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.
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Nahaufnahme: Kein Heilsbringer
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