Deutschland und Frankreich müssen Kerneuropa Schwung verleihen
Wenn man die erste Auslandsreise von US-Präsident Donald Trump Revue passieren lässt, bleiben einige wenige Bilder hängen. Zum Beispiel die Aufnahmen vom Nato-Gipfel vor gut einer Woche in Brüssel. Trump bahnt sich durch die Gruppe der Staats- und Regierungschefs den Weg in die erste Reihe. Vor laufenden Kameras schiebt er den Premierminister von Montenegro rüde beiseite, der danach schamhaft zurücklächelt wie ein geohrfeigter Schuljunge. Die Botschaft: "Weg da! Ich bin hier der Boss."
Das Bild, als Trump seine Amtskollegen aus den Nato-Ländern wegen angeblich mangelnder Zahlungsmoral in den Senkel stellte, wird in die Geschichte eingehen. Hier der schnaubende Trump, dort die Bündnispartner, die dastehen wie begossene Pudel. Gleiches Spiel während des Abschlusstreffens beim G7-Gipfel im sizilianischen Taormina am vergangenen Wochenende. Der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni, der Gastgeber des Spitzentreffens der Chefs der Industriestaaten, hält eine Rede. Seine Amtskollegen haben die Kopfhörer auf und hören zu. Nur Trump nicht. Er sitzt mit verschränkten Armen da und stiert vor sich hin. Eine offene Brüskierung.
Muskelspiele, Imponiergehabe, Einschüchterungsversuche: Der Polterer aus Washington führte sich bei Nato und EU auf wie der Elefant im Porzellanladen. Und er genoss die Rolle. Für das heimische Publikum, insbesondere seine Stammwählerschaft bei den Republikanern, sollen die Fotos vor allem eines signalisieren: "Ich habe es den Weicheiern in Europa und Rest-Übersee mal wieder gezeigt."
Manch einer mag bis vor Kurzem noch geglaubt haben, dass der US-Präsident nach einer wilden Anfangsphase zur Vernunft kommt. Dieser Rest-Optimismus ist verpufft. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht daher das Ende der bisherigen transatlantischen Partnerschaft. "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei", sagt sie bei einer CSU-Veranstaltung in München-Trudering. "Das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Und deshalb kann ich nur sagen, wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen."
Damit einher geht die schmerzhafte Erkenntnis: Die viel beschworene Wertegemeinschaft des Westens mit der Schutzmacht Amerika hat sich erledigt. Sie hatte ihre beste Zeit während des Kalten Krieges als demokratisches und marktwirtschaftliches Gegenmodell zum Sowjet-Kommunismus. Zwar gab es in den letzten Jahrzehnten immer wieder auch handfeste Meinungsverschiedenheiten und sogar Zerwürfnisse (Schröder, Bush und der Irak-Krieg). Doch das Band zu Europa und Deutschland war nie abgerissen.
Mit Trump kam der Bruch. Weltweit verschieben sich die Gewichte. Heute stehen Rechtsstaatlichkeit und Freihandel nicht mehr hoch im Kurs. Stattdessen breitet sich der Geist des Autokratismus immer weiter aus. In Russland, China, der Türkei oder Ägypten einst das Leuchtfeuer des "Arabischen Frühlings" wird stramm durchregiert. Die unabhängige Presse hat es dort ebenso schwer wie die politische Opposition. Letzteres gilt leider auch für osteuropäische EU-Mitglieder wie Polen oder Ungarn. Trump, der sich im offenen Krieg mit den freien Medien ("fake news") sieht, passt ebenfalls in dieses Bild.
Wenn der alte Westen passé ist, wird es Zeit für einen neuen Westen. Das kann nur Kerneuropa sein. Die Gründungsstaaten der EU Deutschland, Frankreich, Italien, Benelux
müssen der Gemeinschaft neuen Schwung verleihen. Berlin und Paris kommt dabei besondere Verantwortung zu. Die Chancen stehen gut, weil die Chemie zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Emmanuel Macron, dem frisch gebackenen Chef im Élysée-Palast, stimmt. Das krisengeschüttelte Europa muss sich neu definieren. Warum nicht mit einer deutsch-französischen Avantgarde als Katalysator?
Es geht um eine Staatengemeinschaft, die für politische Liberalität und einen florierenden Markt steht. Die Leitplanken sind Wirtschaftswachstum, Innovation, soziale Balance und kulturelle Vielfalt. Wenn die Größe des bisherigen Clubs aus 28 Staaten zu Lähmungserscheinungen geführt hat, stellt sich die Frage: Warum nicht eine EU-Champions-League aus den Ländern Kerneuropas schaffen? Der Rest bestünde dann, um im fußballerischen Bild zu bleiben, aus der Europa-League.
Michael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.
POLITIK
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