Nach dem Hauptstadt-Ergebnis scheint einmal mehr klar: Die bislang üblichen Zweier-Regierungskonstellationen sterben aus, der Wandel hin zum Dreierbündnis mit etwa gleich starken Partnern muss gewagt werden. Auch im Bund?
Vieles hat der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, nach der Übernahme der Regierungsgeschäfte von seinem schillernden Vorgänger Wowereit richtig gemacht. Es schien, als sei ein stiller Verwalter eingekehrt, der die Probleme der Stadt zu lösen gedachte. Und die Bilanz ist erst einmal nicht schlecht: Die von ihm geführte Große Koalition präsidiert über einer Stadt im Aufschwung, mit einem Nettobevölkerungszuwachs, sinkenden Schulden und einer positiv gestimmten Wirtschaft. Das sind gute Rahmenbedingungen für einen Wahlsieg, wären da nicht jene Schlagzeilen, die die Diskussion viel mehr bestimmt haben: Quälende Wartezeiten auf Berliner Ämtern, eine unerfreuliche Kriminalitätsstatistik, kaputte Schulen, eine endlos katastrophale Flughafenshow und der völlige Zusammenbruch einer geregelten Flüchtlingsaufnahme im letzten Jahr, auf die alle Länderregierungen zeigen konnten, um zu sagen, dass es woanders noch schlimmer gehen kann. Der höchst glücklos agierende Innensenator und CDU-Spitzenkandidat Henkel hatte vor und während des Wahlkampfes von Anfang an keine Chance. Beide große Parteien verloren gleich stark, doch die SPD, das macht die Koalitionsarithmetik, wird damit die kleinste Wahlsiegerin aller Zeiten.
Es reicht jetzt für Rot-Rot-Grün, ein besonders wichtiges Zeichen für die kommende Bundestagswahl, vor allem für jene Sozialdemokraten, die von einem Ende der babylonischen Gefangenschaft in den Armen der CDU träumen. Man darf das Ergebnis von Berlin nicht überinterpretieren, aber es ist in vielfacher Hinsicht wegweisend. Die AfD ist selbst in der polyglotten, internationalen Hauptstadt angekommen, nicht zuletzt dadurch, dass sie dort einen Wahlkampf führte, in dem sie vergleichsweise viel Kreide gefressen hatte. Die FDP ist mit einem überzeugenden Ergebnis in das Abgeordnetenhaus zurückgekehrt und die Grünen haben sich auf hohem Niveau stabilisiert. Selbst die Linkspartei kann nach dem Tiefschlag in Mecklenburg-Vorpommern mit dem Ergebnis mehr als zufrieden sein. Die Fraktionsstärken erinnern jetzt aber an belgische Verhältnisse: eine Reihe von einigermaßen gleich großen Parteien, die nicht mehr von einer allein dominiert werden, und die nicht mehr in Zweierkonstellationen regieren können. An dieser Aussicht ist man vor Kurzem in Mecklenburg-Vorpommern noch einmal haarscharf vorbeigeschrammt, aber sie zeigt uns jetzt, was passiert, wenn die AfD zweistellige Ergebnisse erzielt und wir Sechs-Parteien-Parlamente bekommen: Die Koalitionsbildung wird schwieriger und die Ansprüche an die inhaltliche Flexibilität der demokratischen Parteien werden größer. Belgien zeigt, dass das sehr schnell scheitern kann, wenn man zu fragile Bündnisse schmiedet und Leute zusammengeführt werden, die eigentlich nicht zusammengehören.
Positive Stimmung, böse Schlagzeilen
Für Angela Merkel, so wird nun geunkt, ist die Luft dünn geworden. Aber was sie genau ändern und wer sie beerben sollte, bleibt weiterhin ungewiss. CDU-Spitzenkandidat Henkel führte einen an AfD-Themen angelehnten Wahlkampf und gab zusammen mit dem ebenso glücklosen CDU-Spitzenkandidaten in Mecklenburg-Vorpommern eine überflüssige "Berliner Erklärung" ab, die ihm offenbar nicht geholfen hat. Die letzten Umfragen aus Bayern sehen die CSU unter 40 Prozent, selbst Horst Seehofer ist mit seiner Strategie, AfD-Positionen zu umarmen, bisher nicht weit gekommen. Es fehlt der Christdemokratie nicht nur die zweite Reihe, es fehlt ihr, zumindest bis jetzt, die klare Alternative zur Alternative für Deutschland. Bleibt zu hoffen, dass es moderateren Führungspersönlichkeiten wie der Saarländerin Annegret Kramp-Karrenbauer im nächsten Bundesland, das wählen geht gelingt, einen Gegenentwurf zur bisherigen Strategie umzusetzen. Das könnte dann auch eine erneute Kanzlerkandidatin Angela Merkel stärken.
Für die SPD ist die Diskussion um Rot-Rot-Grün im Bund endgültig eröffnet. Der zentrale Stolperstein bleiben hierbei ironischerweise nicht die Sozialdemokraten, sondern die Linken, die sich intern noch nicht darüber einig sind, zu welchem Preis sie regieren wollen. Die kommenden Monate werden Klarheit bringen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten Angebote. Dieser Erwartung kann sich niemand verweigern.
Ein Gastbeitrag von Dirk van den Boom, Politologe, Universität Münster