Die Metropole Berlin träumt seit über 20 Jahren von Wolkenkratzern am Alexanderplatz bleibt das eine Vision oder nehmen die Pläne endlich Gestalt an? Der Streit über das Projekt ist noch lange nicht zu Ende.
Ein Hochhaus ist nicht gleich ein Hochhaus denn ein sehr hohes Hochhaus ist im Deutschen ein Wolkenkratzer. Und so ein Name lässt die Menschen träumen. Aber tatsächliche Wolkenkratzer sind rar. In Berlin gibt es bis heute keinen einzigen, denn keines der "hohen Häuser" erreicht das per Definition notwendige Gardemaß von 150 Metern.
Doch seit 25 Jahren gibt es schon einen Hochhausplan von Hans Kollhoff für den Alexanderplatz. Eigentlich müsste er "Wolkenkratzerplan" heißen, da Kollhoffs Hochhäuser 150 Meter in die Höhe ragen. Zehn mächtige Türme, also ein ganzer Kranz von echten Wolkenkratzern, sollen den Alexanderplatz umfassen. Sie stehen auf zehn Stockwerke hohen Sockelgebäuden.
Wirklich ernst genommen hatte den Kollhoffschen Hochhausplan viele Jahre lang niemand. 2015 gab es endlich die lang erwartete Revision des großspurigen Bebauungsplans: Unter Leitung der Senatsbaudirektorin Regula Lüscher wurden Fehler in dem Plan von 1993, seinem Entstehungsjahr, korrigiert und den Realitäten angepasst. Die Annahme, die Bausubstanz aus DDR-Zeiten könne fast vollständig weg, hatte sich inzwischen als Trugschluss herausgestellt. So stellte der neue Bebauungsplan inzwischen nicht nur das Haus des Lehrers unter Schutz, sondern gleichzeitig das gegenüberliegende Haus des Reisens und das ehemalige Verlagshaus der Berliner Zeitung an der Karl-Liebknecht-Straße.
Was bleibt sind neun Hochhausstandorte. Einige davon sind aber auch nach der Überarbeitung äußerst fragwürdig. Der Bau eines Hochhauses direkt im Rücken des Haus des Reisens dürfte zum Beispiel politisch kaum durchsetzbar sein. Ebenso erscheint eine hochgradige Verdichtung mit drei Türmen am nordwestlichen Rand des Platzes völlig übertrieben.
Entspannung für Wohnungsmarkt?
Ist der neue Plan also ein weiteres Wolkenkuckucksheim? Nicht ganz, denn Anfang des Jahres überschlugen sich die Meldungen über voraussichtliche Bauaktivitäten am Alexanderplatz. Zwei Investoren bekräftigten nachdrücklich ihren Willen zur Tat zu schreiten, um den Masterplan mit Leben zu erfüllen. Zuerst ist da das US-Immobilienunternehmen Hines, das nach den Plänen des Stararchitekten Frank Gehry eine in sich verdrehte Hochhausskulptur 150 Meter in den Himmel bauen möchte. Der Bauplatz befindet sich an der Alexanderstraße Ecke Otto-Braun-Straße. Die Planung besteht bereits seit 2014, doch Statikprobleme bei der Gründung des riesigen Bauwerks machten aufwendige Voruntersuchungen und Verhandlungen mit den Berliner Verkehrsbetrieben unumgänglich. Denn die U5 würde in Zukunft direkt unter dem Hines-Tower fahren.
Den Amerikanern einen Schritt voraus ist der russische Investor Monarch. Die Firma will neben dem Einkaufszentrum Alexa 475 Luxuswohnungen in einem ebenfalls 150 Meter hohen Wohnturm unterbringen. Im Juni 2016 wurde die Baugenehmigung beantragt.
Hans Kollhoff werden die Neuigkeiten freuen. Doch was bedeuten Hochhäuser für die Stadt und ihre Bewohner konkret? Welche Konsequenzen ziehen sie nach sich?
Daniel Libeskind, Star der globalen Architekturszene, hält dazu eine plakative Formel bereit. "Baut in die Höhe und eure Probleme sind behoben", empfiehlt der Amerikaner den Berlinern. Libeskind spricht dabei von Wohnungsnot, Wirtschaftsboom und Verkehrsproblemen. Und der Architekt ist nicht allein, auch die Berliner CDU gibt sich ihren Wolkenkratzer-Träumen hin: "Wir sprechen dabei von mutigen Höhen" lässt die Partei verlauten von Inhalten wird allerdings nicht gesprochen. Anders die Partei Die Linke in Berlin. "Hochhäuser, die nur als Drittwohnung und Hotel genutzt werden, braucht kein Mensch", sagt Katalin Gennburg. "Wenn wir Hochhäuser für Menschen wollen, die tatsächlich auch hier leben, benötigt man zumindest einen Plan dafür."
Tatsächlich wird bei all der Wolkenkratzer-Träumerei die Frage nach der Nutzung häufig hintangestellt. Traditionell stehen Hochhäuser eher als Synonym für Büroturm, Hotel oder Luxusresidenz aber als Hort bezahlbarer Mieten mitten in der Stadt?
Katrin Lompscher von den Linken, die amtierende Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen in Berlin, hat eine dezidierte Meinung: "Auf problematische Standorte und Höhen sollte verzichtet werden." Wobei 150 Meter, also die Wolkenkratzer-Marke, definitiv eine problematische Höhe für sie darstellt. Keiner der Neubauten sollte aus ihrer Sicht das vorhandene Forum-Hotel und seine 125 Meter überragen. Aus Respekt gegenüber dem Ort und um seine Größenverhältnisse zu erhalten.
Sehr klar war auch Lompschers Haltung zum Entwurf des Hines-Towers bevor sie Senatorin wurde: "Dieses Teil tut dem Ort schlichtweg nicht gut." Doch wie steht sie als Senatorin zu den weit entwickelten Bauplänen von Monarch?
Im Falle des Monarch-Towers wird Lompscher ihre Fundamentalkritik wohl nutzen, um dem Investor noch ein paar Zugeständnisse abzutrotzen. Das Projekt platzen zu lassen, wird sie sich kaum leisten können. Doch ein "Anteil von bezahlbaren Wohnungen", wie der Investor und Entwickler es mit eigenen Worten nennt, dürfte noch drin sein. Die geben dem Luxusturm einen leicht linken Anstrich es bedeutet aber auch: Der überwiegende Teil der Wohnungen bleibt "unbezahlbar". So unbezahlbar, dass bereits ein "institutioneller chinesischer Investor" zwei Drittel des Turms kaufen wollte. Da möchten sich die Russen die Butter aber nicht vom Brot nehmen lassen einen Teil der Apartments werden sie selbst behalten.
Also gibt es am Alex nur "Wolkenkratzer light"? Auch bei anderen Experten aus Architektur und Stadtplanung sind die Zweifel groß. Benedikt Hotze, Sprecher des Bundes Deutscher Architekten, sagt zu den Plänen: "Gerade wird wieder gebaut, was deutsche Städte nicht brauchen." Jahrelang seien es Büros oder Hotels gewesen, nun Luxus-Wohntürme. "Investoren sind wie Fischschwärme, die plötzlich ihre Richtung ändern", sagt er. "Das ist alles rein renditegetrieben und hat keine Gemeinnützigkeit oder andere Werte im Blick." Entsprechend sieht Hotze auch den Hines-Tower sehr kritisch. "Da kaufen sich dann reiche Russen Apartments und sind dann später zweimal im Jahr drin. Das finde ich weder urban noch sozial."
Doch teure und schicke Wohntürme mit günstigen Mieten in großer Höhe sind kaum denkbar. Sie rechnen sich für Investoren nicht und fallen damit als Puffer für den angespannten Wohnungsmarkt im Stadtzentrum aus. In Deutschland sind innerstädtische Wohnhochhäuser im High-End-Segment ein bislang noch fast unbekanntes Phänomen. Die Immobilienbranche ist sich aber sicher, dass dieser in asiatischen oder US-Metropolen schon lange etablierte Gebäudetypus auch hierzulande Zukunft hat.
Welche Zugeständnisse Katrin Lompscher den Investoren in den nächsten Monaten vor Baubeginn noch abtrotzen kann, bleibt abzuwarten. Mindestens ein öffentliches Aussichtsrestaurant in den Spitzen der hermetischen Investorentürme wird wohl dabei sein. Der Traum von einer Stadt über den Wolken für jedermann bliebe damit zumindest einen Spalt weit geöffnet.
Eike Ahlhausen