In Mecklenburg-Vorpommern flogen die Grünen 2016 aus dem Landtag. Im März das gleiche Bild im Saarland. Der Bundestrend zeigt abwärts. Schleswig-Holstein macht mit dem Hoffnungsträger Robert Habeck eine Ausnahme.
Für die Grünen sieht es gut aus. Zumindest in Schleswig-Holstein. Im Land zwischen Nord- und Ostsee hat sich die Partei bei soliden 14 Prozent eingerichtet. Seit fünf Jahren regieren sie in der sogenannten Küsten-Koalition gemeinsam mit SPD und SSW (Südschleswigschen Wählerverband). Bundesweit haben die Nord-Grünen mit ihrem Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, Robert Habeck, für Aufmerksamkeit gesorgt. Fast hätte der promovierte Philosoph und Schriftsteller die Spitzenkandidatur der Grünen für die Bundestagswahl im September gewonnen. Bei dem denkbar knappen parteiinternen Rennen im Januar des Jahres musste er sich dann aber Cem Özdemir geschlagen geben, dessen Ergebnis nur im Bereich der Nachkommastellen geringfügig besser ausfiel (35,96 zu 35,74 Prozent). Ein schlechter Verlierer ist der gebürtige Lübecker dennoch nicht. Auf seiner Facebook-Seite gratulierte er seinem Rivalen mit den Worten: "Es war mir Ehre und Freude! Rock on!" Wie der politische Geschäftsführer Michael Kellner später berichtet, hatte Habeck eine bei derart knappen Wahlausgängen übliche erneute Stimmenauszählung als "Quatsch" bezeichnet und abgelehnt.
Robert Habeck pokerte hoch
Das Ergebnis der grünen Urwahl hat für den 47-jährigen Habeck zwei Folgen: Er verbleibt nun erst einmal in der Landespolitik und: Er ist jetzt bundesweit bekannt. Beides kann nicht schaden. Die Bundespartei hat es dagegen verpasst, mit einem neuen, bundespolitisch noch unverbrauchten und charismatischen Charakter an der Spitze zu überraschen. So bleibt es bei Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, die als Spitzenduo bundesweit für Sympathien kämpfen müssen. Habeck hingegen hat analog zum Titels seines Buches "Wer wagt, beginnt" auf Sieg gespielt. Als Spitzenkandidat seiner Partei wollte er um ein Bundestagsmandat kämpfen, eine parallele Kandidatur für den Kieler Landtag schlug er aus. Nun wird er weder im Berliner Reichstag noch im Landtag als Abgeordneter sitzen. Geht die Wahl in Schleswig-Holstein allerdings den Umfragen entsprechend gut für die Grünen aus, wird der als beliebtester Landespolitiker geltende Habeck wieder in der nächsten Regierung als grüner Minister tätig sein. Ein Landtagsmandat ist für ein Ministeramt nicht notwendig. Einen ähnlichen Fall gibt es auf Bundesebene: Hier sitzt Heiko Maas als Justizminister auf der Regierungsbank, ohne dass er gewählter Abgeordneter ist.
Das voraussichtlich gute und wohl zweistellige Abschneiden der Grünen in Schleswig-Holstein wird sich die Doppelspitze im Bund wohl nicht als eigenen Erfolg anrechnen lassen können. Denn die Grünen im Land zwischen den Meeren punkten seit Jahren vor allem mit ihren landesspezifischen Themen. "Wir haben die Stromnetze ausgebaut und geben die Windrichtung vor: 100 Prozent des in Schleswig-Holstein verbrauchten Stroms gewinnen wir aus erneuerbarer Energie", heißt es auf der Webseite der Grünen zur Landtagswahl 2017 und weiter: "Diesen Weg müssen wir fortsetzen und eine Wende auch im Bereich Wärme und beim Verkehr erreichen. Klug gestaltet und bezahlbar für die Verbraucher". Auch im Bereich Landwirtschaft haben sich die Grünen naturgemäß stark eingesetzt und können einen deutlichen Anstieg des Ökolandbaus als Erfolg verbuchen. Künftig soll die Ökolandbaufläche von fünf auf zehn Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche verdoppelt werden. Last but not least sind auch die Finanzen erwähnenswert: So konnte Schleswig-Holstein drei ausgeglichene Haushalte präsentieren.
Ökolandbau soll verdoppelt werden
Apropos Finanzen: Als Spitzenkandidatin der Grünen tritt zum dritten Mal in Folge seit 2009 Monika Heinold an. Die gelernte Erzieherin ist seit über 20 Jahren in der Landespolitik tätig: als Abgeordnete des Landtags, parlamentarische Geschäftsführerin, stellvertretende Vorsitzende des Finanzausschusses. Seit Juni 2012 ist sie Finanzministerin der Küsten-Koalition im Kabinett von Torsten Albig. Als frühere Sozialpolitikerin hat sie durchaus die Erfahrung machen müssen, dass zu politischen Projekten und Gestaltungsmaßnahmen dann Nein gesagt wurde, wenn es am Ende um die Finanzen ging. Solche Probleme kann sie als Finanzministerin nun lösen. "Gerade der Bildungsbereich ist eine Grundlage für soziale Gerechtigkeit", betont sie auf ihrer Walkampftour und gibt damit zu Protokoll, dass sie verstanden hat: Im Gegensatz zu Politikern, die andernorts in der Republik Kürzungen im Bereich Bildung vornehmen, will Heinold die gesellschaftliche Entwicklung langfristig erfolgreich vorantreiben. Eine gute Bildung bleibt dabei der Schlüssel. Qualitäts- statt Strukturdebatte lautet das Motto der Grünen: "In den nächsten Jahren wollen wir weitere 100 Millionen Euro in Ausbau und Qualität der Kitas sowie sozialgerechte Elternbeiträge investieren. Nach der Schule wollen wir jedem Jugendlichen eine Ausbildung anbieten, wir setzen uns außerdem auch weiterhin strikt gegen Studiengebühren ein", heißt es im Wahlprogramm der Partei.
Heinold gilt als bürgernah, ist sich nicht zu schade, die Verfasserin eines kritischen Leserbriefes zu Hause zu besuchen, um ihr das Problemthema "HSH Nordbank" detailliert zu erläutern. Zudem betont sie, dass heute noch niemand wisse, was die Bank das Land am Ende kosten wird. Frau könnte schlechter mit dem Problemthema umgehen.
Das Spitzenduo Heinold und Habeck wird zusammen mit der Partei bei der Wahl am 7. Mai die Chance haben, den Bundestrend der Grünen umzukehren. Es könnte gelten, was Monika Heinold auf dem letzten Parteitag als Zielsetzung ausrief: "Bundestrend, Du bist hier nicht zu Hause".
Frank M. Wagner
"Gefühlt bei 42 Prozent"
Fragen an Robert Habeck, den Grünen-Umwelt- und Landwirtschaftsminister sowie stellvertretenden Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein
Herr Habeck, wie ist die Ausgangssituation vor der Landtagswahl für die schleswig-holsteinischen Grünen?
Wir haben eigentlich eine sehr starke Ausgangslage. Über Jahre waren wir bei 15 bis 16 Prozent in den Umfragen. Der persönliche Zuspruch zu unser Spitzenkandidatin Monika Heinold und mir ist hoch. Wir haben unsere Politik immer auf die Menschen in diesem Land ausgerichtet, nicht auf ein enges grünes Milieu. Wir haben Ja gesagt zu diesem Land und sind seine Probleme Netzausbau, HSH Nordbank beherzt angegangen. Aber die schlechten Umfragewerte auf der Bundesebene fangen jetzt an, zu drücken. Tagesschau und heute-journal werden ja auch in Schleswig-Holstein geschaut. Die große Herausforderung ist, dass die Menschen am Wahltag an der Wahlurne an die Arbeit der Grünen in Schleswig-Holstein denken, nicht an den Spott aus der heute-show.
Was ist Ihr Wahlziel als Grüne in Schleswig-Holstein?
Ein sattes zweistelliges Ergebnis und dass das Land weiter mutig und menschlich regiert wird.
Wie halten Sie es in Schleswig-Holstein mit Koalitionsaussagen?
Wir wollen die Regierung mit SPD und SSW fortsetzen.
Spüren Sie die zunehmende bundespolitische Polarisierung zwischen SPD-Schulz und CDU-Merkel mittlerweile auch in Kiel?
Nein. Die Stimmung im Land ist eine ganz andere. Ginge es nach dem Zuspruch auf der Straße, müssten die Grünen bei 42 Prozent liegen.
Was ist der spezifische "neue Politikstil" der schleswig-holsteinischen Grünen?
Neu ist der nicht, sondern über Jahre aufgebaut: Gestaltungsanspruch statt Protestsprüche, Ja sagen statt Nein, Optimismus statt Pessimismus, Menschen einbinden statt ausgrenzen, Betroffene zu Beteiligten machen, für die ganze Gesellschaft arbeiten statt nur für Gruppen.
Interview: Frank Behrens