Laut Umfragen muss sich NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft keinen Kopf machen. Allerdings könnte ihr grüner Koalitionspartner über die Wupper gehen. CDU-Herausforderer Armin Laschet hat kaum eine Chance. Aber die Wähler sind unberechenbar, auch in NRW, weiß Wahlkampf-Profi Frank Stauss.
Eines hat die Wahl im Saarland bei allen Parteien bewirkt: Im Umgang mit Umfragen sind sie jetzt alle sehr vorsichtig geworden. Zu deutlich klafften Umfragen und Wahlergebnis auseinander. Schon genau ein Jahr zuvor, am Superwahl-Sonntag im März 2016, stimmten die Umfragen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz aber auch in Sachsen-Anhalt mit den anschließenden Ergebnissen kaum überein. Darum sind die Akteure in Düsseldorf sehr zurückhaltend geworden, denn "Nordrhein-Westfalen ist tatsächlich so etwas wie eine kleine Bundestagswahl", erklärt Wahlkampf-Profi Frank Stauss. "Etwas mehr als ein Fünftel der Deutschen lebt in NRW, es gibt Großstädte, die sehr viel Technologie- und Zukunftsindustrie haben, aber auch das klassische Ruhrgebiet mit den Resten der alten Stahlindustrie, und es gibt einen sehr großen ländlichen Raum. Das ist im Prinzip eine Nation für sich".
Frank Stauss hat Wahlkampf in den USA mit den Clintons gelernt, ging dann nach Düsseldorf in eine Werbeagentur, die unter anderem auch seit Jahrzehnten Wahlkämpfe für die SPD organisiert. Sein schönster Wahlkampf ist und bleibt der von 2005 mit Gerhard Schröder, auch wenn Schröder die Wahl knapp verlor. So warnt er auch jetzt vor der NRW-Wahl vor einem sehr beliebten Trugschluss: "Nur weil eine Partei im größten Bundesland die Wahl gewonnen hat, heißt das noch lange nicht, dass das dann auch für die kommende Bundestagswahl ausreicht" erläutert der Profi ein Zahlen-Konvolut der Vergangenheit.
"Umfragen sind immer Momentaufnahmen"
"2005 wurde die Bundestagswahl vorgezogen, gerade weil in NRW die SPD die Landtagswahl verloren hatte doch bei der Bundestagswahl drei Monate später entschieden sich die Wähler in Nordrhein-Westfalen mehrheitlich für die SPD und Gerhard Schröder" so Stauss. Umgekehrt gilt das übrigens auch für Rheinland-Pfalz. "Seit Jahren gewinnt dort die SPD die Landtagswahl. Bei der Bundestagswahl entscheiden sich die Pfälzer dann aber immer mehrheitlich für die CDU. Also die Leute differenzieren viel mehr, als ihnen das immer unterstellt wird", warnt der Profi vor voreiligen Schlüssen in den Stunden nach Schließung der Wahllokale in NRW.
Natürlich sind Umfragen wichtig für Wahlkämpfer. Da hat es zuletzt weniger erdrutschartige Parteisiege, als vielmehr Umfrage-Schlammlawinen gegeben, zumindest für die Parteien, die sich am Wahlsonntag morgens noch als Sieger gefühlt hatten. Stauss nimmt die seriösen Umfrageinstitute in Schutz, "Umfragen sind immer Momentaufnahmen. Wenn sie eine Woche vorher eine Umfrage machen, und es kommt eine Woche später ganz anders, dann war nicht die Umfrage falsch, sondern sie war richtig, aber eben nur in dem Augenblick, wo sie erhoben wurde".
Dazu kommt, dass sich vor allem in den letzten Jahren immer wieder neue Parteien dem Wahlvolk feilboten und sich selbst bisherige Stammwähler noch ganz kurzfristig, womöglich erst in der Wahlkabine, alternativ entscheiden. Schon deshalb hält es Frank Stauss für mehr als abenteuerlich, wenn Journalisten bereits ein Jahr vor einem Wahltermin aufgrund von Umfragen analysieren nach dem Motto: "Also die können es bei diesen Umfragewerten gar nicht mehr allein schaffen, das geht nur noch in Koalition mit XY oder Ähnliches. Das funktioniert nicht", so Stauss.
Umfragen sind immer nur Momentaufnahmen und, was viele vergessen, sie haben "eine Toleranzgrenze von drei Prozent, sowohl nach oben, aber logischerweise auch nach unten, und da sind Umfrageergebnisse von 33,5 Prozent völliger Humbug", regt sich WahlkampfProfi Stauss auf. Verständlicherweise, hat er es in seiner beruflichen Laufbahn als Wahlkampf-Chef doch immer wieder erlebt, wie sein Spitzenkandidat wegen der neuesten Umfrage unnötig nervös wurde und er ihn beruhigen musste.
Vor diesem Hintergrund erscheint dann auch der "Schulz-Effekt" in einem etwas anderen Licht. Zur Erinnerung: Bereits 48 Stunden nachdem SPD-Chef Sigmar Gabriel auf die Kanzlerkandidatur verzichtet hatte, kam eine erste Umfrage auf den Markt, in der die SPD einen Vier-Prozent-Sprung machte und die Demoskopen bereits vom Schulz-Effekt sprachen. Das ging dann über Wochen im Drei-Tages-Rhythmus so weiter. Die SPD hatte von Anfang Januar in den Umfragen bis kurz vor der Saarland-Wahl fast 14 Prozent gutgemacht, ein Umfragerekord, den es so noch nicht gegeben hatte. Für Stauss ist dieser Effekt in den Umfragen etwas überzogen dargestellt worden. "Der Schulz-Effekt ist zur Hälfte auch ein Gabriel-Effekt, denn die SPD ist ja unter Gabriel weit hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben". Parteienforscher gehen davon aus, dass die CDU eine maximale Mobilisierung ihrer Wähler von 40 bis 42 Prozent, die SPD eine maximale Mobilisierung von 36 bis 38 Prozent schafft. Demnach würde nach den letzten Umfragen in Nordrhein-Westfalen CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet weit unter seinen Möglichkeiten liegen und Hannelore Kraft ihr Peak erreicht haben. Sie müsste jetzt praktisch nur noch die Ernte einfahren. "Das liegt zum einen daran, dass Hannelore Kraft in NRW gut verortet ist. Es gibt offenbar keinen Wechselwillen der Wähler". Aber auch hier muss Stauss einräumen: "Das ist nur die halbe Wahrheit, denn CDU-Mann Laschet ist weit hinter seinen Möglichkeiten geblieben, die Stärke von Kraft ist also die Schwäche von Laschet".
"Die CDU nimmt die Bundestagswahl ernst"
Selbst in der CDU-Führung in Berlin wird schon hinter vorgehaltener Hand kritisiert, dass Laschet einen linksliberalen Wahlkampf gegen seinen eigenen NRW-Landesverband führt. Beispiel Flüchtlingspolitik: Laschet stellt sich voll hinter die Kanzlerin, sein NRW-Parteifreund Spahn fordert dagegen ein Islamgesetz. "Da wird schon vor der vermutlich verlorenen Wahl in der CDU um die Laschet-Nachfolge gekämpft", interpretiert Stauss diesen Vorgang. Aber auch SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat trotz guter Umfragen noch ein Sorgenkind in ihren Reihen, das Prozente kosten könnte: Innenminister Ralf Jäger. Sein Agieren nach der Silvester-nacht 2015/16, den massenhaften Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof, hat den einstigen Hoffnungsträger schwer beschädigt. Derzeit muss Jäger zudem in einem Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag Rede und Antwort zum Attentäter Anis Amri vom Berliner Weihnachtsmarkt stehen, und da wirft er in seinen Einlassungen eigentlich mehr Fragen auf, als dass er befriedigende Antworten gibt.
Einen eher unangenehmen "Schulz-Effekt" für die SPD macht Frank Stauss durch die jüngste Personalentscheidung in der Bundes-CDU aus. "Dass Kanzleramtsminister Peter Altmaier zusätzlich in das Wahlkampf-Team geholt wurde, zeigt deutlich, die CDU nimmt die anstehende Bundestagswahl sehr, sehr ernst. Die wissen jetzt, sie müssen kämpfen". Schmunzelnd fügt er hinzu: "Ich will mich da gar nicht über die Qualifikationen Einzelner auslassen, aber dass sich CDU-Generalsekretär Peter Tauber jetzt in der Hauptsache persönlich um den Haustür-Wahlkampf kümmert, hat mich schon verwundert".
Eine Prognose zum Ausgang der Wahlen in Nordrhein-Westfalen will Frank Stauss auf keinen Fall abgeben. "Die letzten Wahlen haben gezeigt, wie beweglich Wähler sind, und darum müssen wir den 14. Mai abwarten, und dann wird sich das alles fügen".
Sven Bargel