Frankreichs Linke ist zerstritten wie selten zuvor. Gleich sieben Bewerber wollen sich in Vorwahlen zum Präsidentschaftskandidaten küren lassen. Das linke Lager ist dabei, sich selbst zu kannibalisieren.
Die Hoffnung stirbt zuletzt. So könnte der Slogan lauten, wenn am 5. Februar 2017 ein außerordentlicher Parteikonvent der französischen Sozialisten ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im Frühjahr offiziell kürt. Während das bürgerliche Lager mit Ex-Premierminister François Fillon seinen Bewerber um das höchste Amt Frankreichs bereits gefunden hat, kämpfen sieben Bewerber aus dem linken Lager in offenen Vorwahlen am 22. Januar und in einer möglichen Stichwahl eine Woche später um die Gunst der Wähler.
Es klingt ein wenig wie das Märchen vom tapferen Schneiderlein, das zwar sieben auf einen Schlag erledigt hat, aber dennoch vor einer fast unlösbaren Aufgabe steht. Denn selbst der Sieger der Vorwahlen dürfte nach derzeitigen Umfragen so gut wie keine Chance haben, aus der ersten Runde zur Präsidentschaftswahl am 23. April in die entscheidende Stichwahl am 7. Mai um den Einzug in den Elysée-Palast zu kommen. Dort sehen alle Umfragen derzeit den erzkonservativen François Fillon gegen Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National.
Der Vorwahl-Sieger ist nur Außenseiter
Der derzeitige französische Staatspräsident François Hollande habe nach Meinung vieler Franzosen maßgeblich zum Niedergang der französischen Linken beigetragen. Schwach, glücklos und unbeliebt lautet das Fazit über seine fünfjährige Amtszeit, und da sei es nur logisch, dass er seinen Hut nicht noch einmal in den Wahlkampfring geworfen habe. Dabei bräuchten die französischen Sozialisten mehr denn je ein tapferes Schneiderlein, das mit List, Tücke und Überzeugungskraft das Ruder nochmals herumwerfen könnte und zumindest in die mögliche Stichwahl käme.
Doch wer soll das im zerrissenen linken Lager richten? Zumal der ehemalige Wirtschaftsminister und Investmentbanker Emmanuel Macron sowie der linke Politiker und Europaabgeordnete Jean-Luc Mélenchon dem offiziellen Kandidaten der Sozialisten Wählerstimmen im linken Lager streitig machen werden. Beide beteiligen sich nämlich nicht an den Vorwahlen und treten im ersten Wahlgang im April jeweils allein gegen alle an. Außerdem treten im ersten Wahlgang im April weitere Kandidaten des linken Spektrums an, angefangen bei den Kommunisten über die neue antikapitalistische Partei bis hin zur ökologischen Bewegung. Deutlicher kann die Zerrissenheit des linken Lagers gar nicht dokumentiert werden, Kannibalismus pur.
Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, und so tummeln sich unter den sieben Kandidaten bei den offenen Vorwahlen auch bekannte Namen.
500 Unterschriften von gewählten Vertretern aus mindestens 30 Departements waren nötig, damit sie sich überhaupt zur Wahl stellen können. Die Sozialisten rechnen mit 1,5 bis zwei Millionen Teilnehmern an den Vorwahlen.
Der Favorit: Manuel Valls
Größte Chancen werden dem ehemaligen Premierminister Manuel Valls nachgesagt. Der in Barcelona geborene 54-jährige Valls, sein Vater ist Spanier, seine Mutter Schweizerin, gilt als ehrgeizig und Vertreter des rechten Flügels bei den Sozialisten. Als er im März 2014 die Nachfolge von Jean-Marc Ayerault antrat, galt er als Hoffnungsträger und Reformer. Sein Dilemma besteht wohl darin, dass die Misserfolge Hollandes auch ihm angerechnet werden. Immerhin war er ja gut zweieinhalb Jahre Regierungschef. Und als Anhänger des Mitte-Rechts-Flügels, wie die Rocardisten in der sozialistischen Partei, dürfte Valls es schwerfallen, den linken Flügel seiner Partei hinter sich zu scharen. Schließlich will er die heilige Kuh 35-Stunde-Woche antasten und gilt als unternehmerfreundlich. Aber als "Genosse der Bosse" hatte schließlich einst auch ein Gerhard Schröder reüssiert. Valls ist mit der Violinistin Anne Gravoin verheiratet und hat vier Kinder aus erster Ehe.
Der Querdenker: Arnaud Montebourg
Man begegnet sich halt immer zweimal im Leben. Und so klingt es zunächst paradox, dass der einstige Weggefährte, Ex-Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, nun gegen Manuel Valls in den Vorwahlen antritt. Denn beide haben sich 2014 erfolgreich für die Absetzung von Premier Ayerault starkgemacht. Einen Namen machte sich der heute 54-jährige Montebourg übrigens zunächst als Anwalt. Doch es zog ihn in die Politik und 1997 wurde er Abgeordneter für das Departement Saône-et-Loire. Nach offener Kritik an der Wirtschaftspolitik Hollandes folgte 2014 der Abgang als Wirtschaftsminister. Er kehrte der Politik den Rücken, umso erstaunlicher war dann sein Comeback im August 2016, als er seine Präsidentschaftskandidatur ankündigte. Der aus Mittelfrankreich stammende Montebourg hat den Ruf eines Querdenkers. Ihm fehlt allerdings der Rückhalt in der Partei und deshalb schneidet er in Prognosen deutlich schlechter ab als Manuel Valls. Liiert ist Montebourg übrigens mit der ehemaligen Kulturministerin Aurélie Filipetti aus dem Departement Meuse in Lothringen.
Die Mitläufer: Vincent Peillon und Benoît Hamon
Weiter auf dem Wahlzettel der Sozialisten stehen die früheren Bildungsminister Vincent Peillon und Benoît Hamon. Beide gaben sich unter Hollande im Ministerium sprichwörtlich die Klinke in die Hand.
Der 56-jährige Peillon, Europaabgeodneter, Philosophieprofessor in Neuchâtel in der Schweiz und Autor für Kriminalromane, wurde 2014 von Benoît Hamon (49) abgelöst. Peillon gilt als Vertreter der Mitte in der Parti Socialiste. Soziale Gerechtigkeit, demokratische Erneuerung und die europäische Frage sind die drei Eckpfeiler seines Wahlprogrammes.
Viel Feind, aber kaum Ehr bei den Linken
Den waschechten Bretonen Hamon zog es bereits zu Beginn der 90er-Jahre nach Paris, wo er Präsident der Jungsozialisten wurde. Nach mehreren Ämtern sowohl in der Partei als auch als Arbeitsminister im Kabinett Martine Aubry ist er politisch als klassisch links einzuordnen. Als eine Art französischer Bernie Sanders setzt er sich ein für Arbeitszeitreduzierung, ein existentielles Grundeinkommen von 535 Euro im Monat finanziert durch eine "Roboterabgabe" und für die Legalisierung von Cannabis. Die Wähler haben die Qual der Wahl: Die Gleichgesinnten Hamon, Montebourg und Peillon treten gegeneinander an.
Die "Quoten"-Frau: Sylvia Pinel
Als einzige Frau für die Sozialisten geht die 39-jährige ehemalige Wohnungsministerin (2014 bis 2016) Sylvia Pinel ins Rennen. Allerdings werden der aus dem Süden stammenden Pinel so gut wie keine Chancen eingeräumt. Als Vorsitzende der sozialliberalen Partei Radicaux de Gauche verließ sie nach den Regionalwahlen Anfang 2016 die Regierung und wurde Vizepräsidentin der neuen Region Languedoc-Roussillon-Midi-Pyrénées. Sie vertritt einen liberalen Kurs und setzt sich zum Beispiel für Sterbehilfe, Ausländerwahlrecht, Rückkehr zur siebenjährigen Präsidentschaft und für eine Wirtschaftsregierung in der Eurozone ein.
Die Außenseiter: François de Rugy und Jean-Luc Bennahmias
Im linken Lager gehen zudem der Grünen-Politiker François de Rugy (43) sowie der 62-jährige Jean-Luc Bennahmias von der Demokratischen Front an den Start. Rugy ist Vizepräsident in der Nationalversammlung und Vorsitzender der ökologischen Partei. Er will bis 2050 Frankreich zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien umstellen und die Energierechnung der Franzosen innerhalb von fünf Jahren um 25 Prozent senken.
Als Zählkandidat kommt auch der sozial-liberale Bennahmias mit grünem Anstrich daher. Ein Grundeinkommen von 800 Euro, die Liberalisierung von Cannabis und die Energiewende sind seine vorherrschenden Themen. Sein Credo für die Vorwahlen lautet: "Ich will teilnehmen, aber ich bin nicht sicher, ob ich den Sieg davontrage." Das sagt wohl alles über seine Chancen.
Die Unberechenbaren: Emmanuel Macron und Jean-Luc Mélenchon
Wer immer auch zum tapferen Schneiderlein gekürt wird, Gefahr droht in der ersten Runde im April aus dem eigenen Lager. Der 38-jährige Shootingstar Emmanuel Macron aus dem nordfranzösischen Amiens war einst Wirtschaftsminister unter Hollande, den er zuvor in Wirtschaftsfragen beriet. Der als sozialliberale geltende Reformpolitiker könnte dem Favoriten Manuel Valls, wenn er denn Kandidat wird, die nötigen Stimmen im ersten Wahlgang im April kosten. Schließlich galt Macron bei vielen Franzosen lange Zeit als Hoffnungsträger für das reformresistente Frankreich. Mit seiner politischen Bewegung "En Marche" sieht er sich weder links noch rechts verortet. Sein Manko: Er hat keinen Parteiapparat hinter sich und er hat den linken Flügel der Sozialisten inklusive der Gewerkschaften mit markanten Sprüchen verprellt.
Großes Hoffen auf Überraschungscoup
Der 65-jährige Mélenchon ist Europaabgeordneter und Vorsitzender der Linkspartei Parti de Gauche. Er gilt als Vertreter der linkssozialistischen Strömung, setzte sich vehement für ein Nein Frankreichs zur europäischen Verfassung ein und ist scharfer Kritiker der marktwirtschaftlich orientierten Spar- und Reformpolitik. Ob er von den Kommunisten Frankreichs unterstützt wird, bleibt abzuwarten. Aber auch er dürfte dazu beitragen, dass voraussichtlich kein Vertreter des linken Lagers in die entscheidende Stichwahl um das Präsidentenamt kommt.
Das vergangene Jahr hat mit zahlreichen unerwarteten Ausgängen bei vielen Wahlen und Abstimmungen weltweit gezeigt, welche Überraschungen möglich sind. Das tapfere Schneiderlein des linken Lagers darf also durchaus hoffen, den Sprung in die Stichwahl Anfang Mai zu schaffen. Und dann ist alles möglich.
Von Armin Neidhardt