In Schleswig-Holstein wird am 7. Mai ein neuer Landtag gewählt. Viel ist davon im Land nicht zu spüren. Erst recht nicht von einer Wechselstimmung. Die oppositionelle CDU leidet unter personeller Auszehrung.
Jetzt stehen sie wieder in Kiel und Lübeck, im Hamburger Speckgürtel, den Kleinstädten zwischen Elbe und dänischer Grenze, zwischen Nord- und Ostsee und manchmal sogar auf dem Acker, wie die Lokalpresse aufdeckt: Großflächen-Wahlplakate mit den Spitzenkandidaten von SPD und CDU, von Grünen und FDP: "Der packt an" (Daniel Günther, CDU); "Gute Arbeit für alle" (Torsten Albig, SPD); "Wollen reicht nicht. Man muss es auch können" (Wolfgang Kubicki, FDP); "Mit Mut für eine weltoffene Gesellschaft" (Monika Heinold, Grüne). Zusätzlich kleinere Plakate, damit die Botschaft auch ankommt. Auch vom Südschschleswigschen Wählerverband SSW ("Sozial. Unabhängig. Näher dran"), Linken ("Kein Kind soll mittags hungern"), AfD ("Wachstum statt Blockade!"), LKR ("Rot-Grün regiert, das Land verkommt") und Piraten ("Totgesagte leben länger"). Je umstrittener die Partei, desto höher am Laternenmast die politische Werbung.
Staatsmann mit Einstecktuch
Ministerpräsident Torsten Albig (SPD), ganz Staatsmann mit Einstecktuch, gibt sich zuversichtlich, dass die Wahl in den großen Städten und im Hamburger Umland, bei einer mutmaßlich eher regierungsfreundlichen, progressiven Klientel, entschieden wird. Und tatsächlich darf er zuversichtlich sein, dass für die "Küstenkoalition" aus SPD, Grünen und SSW nicht zu viel anbrennt. Nicht nur die Umfragen sprechen dafür, vor allem die große Stabilität und Breite der Koalition. Es ist unwahrscheinlich, dass CDU und FDP den Dreierbund ausstechen können. Zudem kann die CDU nicht unumschränkt auf FDP-Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki bauen die Liberalen halten sich alle Optionen offen. Aktuellen Umfragen zufolge liegt die SPD bei 33 Prozent, die CDU bei 27 bis 30 Prozent, die Grünen bei 12 bis 14 Prozent, die FDP bei neun Prozent, AfD bei sieben, Linke bei vier Prozent. Der SSW liegt bei drei Prozent, ist aber von der Fünf-Prozent-Hürde freigestellt.
Die Wahl scheint in diesem Jahr über das Land zu kommen wie "Schietwetter", frei übersetzt "Mistwetter". Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung. Man muss die Plakate ja nicht ansehen. Umstrittene Themen wie die Fehmarnbeltquerung oder die Autobahn A20 nördlich von Hamburg werden ausgespart, dafür ist viel von Bildung die Rede. Da kann man sich eher einigen. Das Land ist nicht in Wechselstimmung, nicht einmal wirklich in politischer Stimmung.
Das war nicht immer so. Die SPD ist zwischen den Meeren traditionell linker, früher hätte man gesagt sozialistischer. Der "rote Jochen" Steffen trieb einst seine Genossen und die Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt zur Weißglut. Die SPD hatte die Industriearbeiterschaft in den Städten hinter sich, die Hafenarbeiter in Kiel, aber auch Intellektuelle. Die CDU stand dagegen in hartem Abwehrkampf, sie regierte als Sachwalterin der konservativen Landbevölkerung. Bis 1987. Dann kam die Affäre um den damaligen Ministerpräsidenten Uwe Barschel, seine Machenschaften, sein Tod. Nun durfte die SPD ran. Mit ihrem damaligen Hoffnungsträger Björn Engholm.er eine Affäre mit einer 16-Jährigen hatte. Im Oktober 2016, ein gutes halbes Jahr vor der Wahl, schmiss CDU-Landeschef und -Spitzenkandidat Ingbert Liebing wegen schlechter Umfragewerte hin. Daniel Günther (43) trat seine Nachfolge an. Die linke Seite des politischen Spektrums hat es sich in der "Küstenkoalition" gemütlich gemacht, wie SPD, SSW und Grüne ihr Bündnis nennen. Das ist komfortabel und für alle Partner berechenbar.
Kurios: SPD und Grüne schicken nicht ihre bekanntesten Gesichter als Spitzenkandidaten ins Rennen. Für die Grünen tritt nicht etwa Politstar, Philosoph, Umweltminister und Vizeministerpräsident Robert Habeck an. Der wollte nämlich in Berlin Spitzenkandidat zur Bundestagswahl werden, scheiterte jedoch mit wenigen Stimmen an Cem Özdemir. Grüne Spitzenkandidatin ist nun Finanzministerin Monika Heinold. In den Augen vieler Schleswig-Holsteiner macht sie ihren Job gut, denn immerhin hat sie die dritte schwarze Null in Folge eingefahren. Das kommt an. In den Augen der meisten Bürger agiert die Küstenkoalition geräuschlos, aber keineswegs erfolglos. Die schwarze Null der grünen Finanzministerin bringt es mit sich, dass sie anders als die schwarz-gelbe Vorgängerregierung unter dem Landwirt Peter Harry Carstensen (CDU), die bis 2012 regiert hatte, den Bürgerinnen und Bürgern keine Sparzumutungen mehr verkünden muss. Wären da nicht die nicht enden wollenden Querelen um die HSH Nordbank.
Ministerpräsident Torsten Albig ist nicht der Mann, der Säle zum Kochen bringt. Der ehemalige Kieler Oberbürgermeister gibt nach fünf Jahren im Amt aber einen passablen Landesvater ab. Für die deutlichen Töne ist SPD-Landeschef Ralf Stegner zuständig. Er ist nicht überall beliebt, verharrt daher sowohl auf Landes- wie auf Bundesebene in zweiter Reihe im Bund ist er stellvertretender Parteivorsitzender.
Geräuschlos, aber nicht erfolglos
Nun fordert Daniel Günther als CDU-Spitzenkandidat die Küstenkoalition heraus. Er ist im Land fast unbekannt. Selbst sein Wunschpartner, Wolfgang Kubicki von der FDP, frotzelt über den CDU-Spitzenkandidaten in Wahlveranstaltungen bisweilen als seinen "kleinen Freund Günther". Überhaupt Kubicki: Nicht auszurechnen ist der 65jährige Politveteran der Liberalen, gilt der doch eigentlich von Haus aus als Anhänger sozialliberaler Koalitionen. Kubicki strebt ein zweistelliges Wahlergebnis an. Der Mann, der noch nie einer Regierung angehörte, träumt von einer Rolle als Königsmacher.
Übrigens hat Daniel Günther noch ein Problem: Der 43-Jährige ist Fan und Mitglied des FC Bayern München. Als gebürtiger Kieler. Die Leute wissen nicht so recht, was sie davon halten sollen. Kurzfristige Schlagzeilen machte Günther, der fünfte CDU-Parteichef im Norden in fünf Jahren, im vergangenen Jahr, als er eine Schweinefleischpflicht für Kantinen einführen wollte. Seine Begründung: es sei gesund und gehöre zur deutschen Kultur. Skandale wiederholen sich als Farce.
Von Bayern wird gerne behauptet, dass die Uhren dort anders ticken. Mit Fug und Recht lässt sich das auch vom nördlichsten Bundesland behaupten. Historisch und politisch ist das Land zwischen den Meeren seit jeher ein Sonderfall.
Auch aufgrund seiner Geschichte, die eng mit der Dänemarks verknüpft ist. Ein Umstand, der in der nördlichen Landeshälfte dem Schleswiger Landesteil jederzeit zu spüren ist. Die Grenze zwischen Schleswig und Holstein wird heute ziemlich genau vom Nord-Ostsee-Kanal gebildet. "Up ewig ungedeelt" ("auf ewig ungeteilt") solle das Land in diesem Fall die Herzogtümer Schleswig und Holstein bleiben, hatte König Christian I. von Dänemark im Jahre 1460 im Vertrag von Ripen zugesichert. Politisch orientiert sich Schleswig-Holstein gerne an den skandinavischen Nachbarn, was sich insbesondere bei SPD und Grünen im Land zeigt. Toleranz wird groß geschrieben. Parteien, die sich stärker an den Rändern orientieren, wie Die Linke oder die AfD, haben einen verhältnismäßig schweren Stand. Wenn es nach einer Mehrheit der Schleswig-Holsteiner geht, kann das so bleiben. Die Küstenkoalition dürfte in den Augen vieler gerne weitermachen. Diese Wahlen tun nicht not.
Frank Behrens