Die gesellschaftliche Integration von Flüchtlingen bleibt ein Kraftakt, noch immer getragen vom Engagement vieler Ehrenamtlicher. Im Saarland zeigt der "Saarpfalz-Syrische Verein", dass es funktioniert: Abdulhadi Kharkotle und Fadi Hennawi haben nach ihrer Flucht aus Syrien im Saarland Fuß gefasst.
Fadi ist Architekt, Abdulhadi will erst studieren. Sie sind geflohen vor dem Bombenterror, dem Hunger, der ständigen Angst, gefoltert, erschossen oder zum Kampfeinsatz an die Front gezwungen zu werden.
Seit einigen Monaten leben sie nun im Saarland. Einen Rettungsanker für ihr neues Leben in Sicherheit haben sie im "Saarpfalz-Syrischen Verein zur Humanitären Hilfe"" gefunden. Dieser wurde Ende 2014 unter Federführung des Völklinger Internisten und Kardiologen Dr. Ali Alkadri gegründet. "Die Arbeit unseres gemeinnützigen Vereins ist ohne politische oder religiöse Motivation", stellt Alkadri im Gespräch mit FORUM klar. "Die Nachrichten aus unserem Heimatland ließen uns nicht mehr los: Überall zerstörte Häuser, hungernde Menschen, verängstigte und verwaiste Kinder, in Schutt und Asche gebombte Krankenhäuser, Schulen, ganze Wohnviertel. So viel Leid. Unsere syrische Heimat erlebt eine humanitäre Katastrophe", so der Arzt. Mehr als genug Gründe, aktiv zu werden. Mit dem Verein, dem zahlreiche weitere syrischstämmige Saarländer angehören, unterstützen sie Hinterbliebene, Flüchtlinge und Opfer des Krieges. "Unsere persönlichen Kontakte ermöglichen es uns, diese Hilfe direkt in Syrien vor Ort zu bringen. Wir finanzieren Notlazarette und ermöglichen Schwerbehinderten eine kostenlose medizinische Behandlung in Deutschland." Neben der Hilfe vor Ort klären die Vereinsmitglieder in Informationsveranstaltungen, im Gespräch mit der Bevölkerung und Politikern über die Menschenrechtslage in Syrien auf und sie unterstützen Flüchtlinge, die im Saarland angekommen sind. So wie Fadi und Abdulhadi.
"Die Nachrichten aus unserem Land ließen uns nicht mehr los"
Gemeinsam besuchen die beiden einen Deutschkurs für Akademiker an der privaten Berlitz-Sprachschule in der Saarbrücker Bahnhofstraße. Abdulhadi und Fadi haben mittlerweile eine Zukunftsperspektive, die ihnen ein neues Leben im Saarland möglich machen kann. Das Leben vor dem Bürgerkrieg, ihre Flucht und ihre Erfahrungen in ihrer neuen Heimat, im Saarland, schildern sie mittlerweile auf Deutsch. Ohne Dolmetscher.
Abdulhadi lebte mit Mutter, Vater, zwei Schwestern und einem Bruder in einem großen Haus mit Hof in Damaskus. "Meine Mutter ist Apothekerin, mein Vater betreibt ein Schreibwarengeschäft", erzählt der 19-Jährige. Er wächst behütet auf, geht zur Schule, macht sein Abitur. Die ersten beiden Kriegsjahre von 2011 bis 2012 gehen an der Familie noch spurlos vorüber. Erst als 2013 die ersten Bomben auch in Damaskus einschlagen und ein Nachbarhaus getroffen wird, keimt die Angst auf. Der Alltag von Abdulhadi verändert sich schlagartig. Alle 300 bis 400 Meter werden Kontrollstationen des Militärs errichtet. Soldaten mit Maschinengewehren patrouillieren durch die Straßen, Probleme werden immer schneller mit der Waffe gelöst. Brot wird zur Mangelware, Reis und Zucker ebenso. Soldaten zerren Jugendliche in ihre Wagen, transportieren sie an die Front. "Ich war in einem Alter, in dem ich jederzeit gezwungen werden konnte, als Soldat andere Menschen zu töten. Ich aber träumte davon, zu studieren, in Frieden und Sicherheit zu leben. Mein Leben fing gerade erst an", berichtet Abdulhadi. "Mit meinen Eltern habe ich nächtelang diskutiert, wohin ich fliehen könnte. Meine Eltern waren für Dubai, da die Flucht nach Europa in ihren Augen zu gefährlich war. Ich aber wollte nach Deutschland."
Am 14. August 2015 geht es los, ein Hemd, Hose, Pulli, Unterwäsche, Medikamente, Handy, Zeugnisse und den Reisepass im Rucksack. "Mit dem Flugzeug kam ich nach Beirut und dann nach Antalya, mit dem Bus nach Izmir. Nach drei Tagen bekam ich dort einen Platz auf einem Schlauchboot." 64 Menschen zwängten die Schlepper auf ein neun Meter langes Boot. Sie fuhren dreieinhalb Stunden auf dem Meer, von Izmir nach Lesbos. Über die Balkanroute endete seine Flucht nach rund sechs Wochen schließlich im Auffanglager Lebach.
Warum es ihn ausgerechnet nach Saarbrücken gezogen hat, erklärt Abdulhadi mit leuchtenden Augen. Ein arabisches Land oder die Türkei kamen für ihn nicht in Frage. In der Türkei würden Flüchtlinge keinen Pass bekommen, erzählt er, sie würden nicht als Menschen behandelt. Griechenland habe wirtschaftliche Probleme, ebenso die osteuropäischen Staaten. In Österreich machte er sich als ehrenamtlicher Helfer nützlich und bekam das Angebot, zu bleiben. "Doch für mich war Deutschland und hier speziell Saarbrücken mein Ziel. Ich wusste von dem guten Ruf der Saarbrücker Universität im Bereich Informatik. Das habe ich mir zu Hause in Damaskus im Internet alles genau angesehen." Diese Universität sei eine der besten in Europa. "Und mein Traum ist es, an dieser Uni Informatik zu studieren. Ich bin sogar schon angemeldet, will aber noch ein Jahr warten, bis ich besser Deutsch kann."
Im Saarland fasst er schnell Fuß, lebt bei einer Saarbrücker Familie. "Was ich in den wenigen Wochen in Deutschland erfahren durfte an Mitmenschlichkeit, Empathie und Respekt, beeindruckt mich sehr. Ich will diesem Land auch etwas zurückgeben." Deshalb arbeitet er auch ehrenamtlich bei der Caritas als Übersetzer. "Damit die Aufnahme von Flüchtlingen für Deutschland eine Win-win-Situation wird", wie Abdulhadi sagt. In Saarbrücken fühle er sich mittlerweile heimisch. "Aus heutiger Sicht kann ich für mich sagen: Bei mir wird die Integration klappen. Ich fiebere meinem Studium entgegen. Damit lege ich für mich den Grundstein für mein selbstbestimmtes Leben."
Ähnlich positiv sieht Fadi Hennawi seine Zukunft in Deutschland. Der 36-Jährige ist studierter Architekt, kann auf elf Jahre Berufserfahrung verweisen. Als Single lebt er mit seiner Mutter und seiner Schwester in Homs, feiert in den umliegenden Parks, liebt es, im Wald zu campen, in Seen zu schwimmen, wandert viel und reist, war vor Jahren schon mal in Deutschland und in Italien.
"Mein Traum ist es, hier Informatik zu studieren"
Durch den Krieg in Syrien verliert er jedoch seine Arbeitsstelle. "Meine Firma wurde geschlossen, das Unternehmen zog in die Golfregion. Wir hörten ständig den Bombendonner, denn wir lebten in der Nähe einer Militärbasis. Wenn meiner Mutter mal ein Glas auf den Boden fiel, zuckten wir alle zusammen, die Angst stieg von Tag zu Tag."
Zuerst flieht er in den Libanon und arbeitet dort zwei Jahre als Architekt. Doch er bekommt keinen offiziellen Aufenthaltsstatus, keinen Arbeitsvertrag, kein sicheres Leben. "Ich habe dann entschieden, nicht weiter auf eine Besserung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse im Libanon zu warten, sondern mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ich bin über die Balkanroute nach Deutschland gekommen, ich habe Verwandte hier, weiß um die guten wirtschaftlichen Verhältnisse. Hier kann man arbeiten." Doch in seine feste Stimme mischt sich eine Spur Wehmut. "Es ist schwierig, von Null neu anzufangen, sein altes Leben zurückzulassen. Ich habe das Gefühl, ich habe einen Schnitt gemacht und bin in einem neuen Leben aufgewacht. Ich muss jetzt neue Wurzeln finden."
Eine Alternative zu seiner Flucht aus Syrien sieht Fadi nicht. "Ich stand vor der Alternative: getötet zu werden oder zu fliehen." Aber seine Flucht dauerte lange. 13 Tage lang war er unterwegs. Einen Tag nach seiner Ankunft brachte man ihn ins Auffanglager Lebach, wo er einen Monat blieb. Seine Zeugnisse hatte er zuvor per Post zu seinem Cousin in Saarbrücken geschickt.
Jetzt lernen beide Geflüchteten Deutsch, Fadi hat bereits seinen ersten Kurs im Carl-Duisberg-Haus in Saarbrücken absolviert. Der Saarpfalz-Syrische Hilfsverein organisierte einen Folgekurs in der Berlitzschule. Dort lernt er nun an fünf Tagen in der Woche mit Abdulhadi und anderen intensiv Deutsch. "Ich sitze mit ähnlich akademisch vorgebildeten Landsleuten zusammen, wir lernen alle auf gleichem Niveau. Ich will auf eigenen Füßen stehen, wieder in meinem Beruf arbeiten, und habe jedem erzählt, dass ich einen Job oder ein Praktikum suche." Vor einem Monat ging Fadis Traum in Erfüllung. Seither arbeitet er als Praktikant bei der GIU, der Gesellschaft für Innovation und Unternehmensförderung im Saarland, lernt am CAD-Computer, darf zeichnen und erste Entwürfe anfertigen. Ab Mitte September folgt nun eine elfmonatige Fortbildung an der Hochschule für Technik und Wirtschaft und ein Praktikum in einem Architekturbüro.
Fadi bleibt aber trotzdem noch Zeit für seine große Leidenschaft: das Theaterspielen. Seit zehn Jahren steht er auf Bühnen, auch in Syrien. Im Saarland spielt er seit sechs Monaten im "Kleinen Theater" im Saarbrücker Rathaus. "Aktuell proben wir für zwei Theaterstücke mit der Gruppe "Morgen wird schöner" und mit der Gruppe "Schams". "Ab Oktober zeigen wir unsere Stücke im Sparte 4 Theater unter dem Motto Was werden wir werden?."
Fadi spielt im "Kleinen Theater"im Rathaus
Seit Kurzem lebt Fadi in einer Zwei-Zimmer-WG, spielt Basketball beim ATSV, geht oft schwimmen und hat das Saarbrücker Altstadtfest besucht. Syrien liegt hinter ihm. Was dort passiert, birgt für den syrischen Arzt Ali Alkadri noch immer viel Arbeit. Wütend macht Alkadri, der seit 1993 in Deutschland lebt, dass mittlerweile kaum noch jemand über das menschliche Leid seiner syrischen Landsleute spricht. "Vergessen sind die Menschen, ihre Träume und Visionen. Stattdessen hat die Welt nur noch Augen für den Terror einiger Wahnsinniger, der es anscheinend rechtfertigt, ein ganzes Volk dem Tod, der Vertreibung und der Willkür eines menschenverachtenden Regimes zu überlassen."
Die Flüchtlinge, für die er sich hier im Saarland engagiert, haben es jedoch erst einmal geschafft. Ihre Träume und Visionen sind mit ihnen gekommen.
"Ich habe Deutschland als offenes, friedliches Land mit viel Kultur und sicherem Leben kennengelernt", sagt Fadi Hennawi. "Ich kann hier mit einem offenen Blick und einem Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung mein Leben gestalten, fühle mich als Neubürger. Meine Flucht ist nur ein Teil meines Lebens, aber ich möchte nicht darauf reduziert werden. Mein Leben geht nämlich weiter, hier in Deutschland."
Von Monika Jungfleisch
Infos unter: humanitaere-hilfe-syrien.de