Die geplante Ansiedlung von Globus in Neunkirchen sorgt weit über den Landkreis hinaus für heftige Debatten. Dabei ist das Vorzeige-Naturschutzgebiet LIK Nord nur einer der Streitpunkte in einer Auseinandersetzung über Investitionen, Arbeitsplätze, Umweltschutz und das Verhältnis von Stadt zu Umlandgemeinden.
Armin König ist wahrlich kein Leisetreter. Er ist bekannt und berüchtigt dafür, dass er seine Interessen und vor allem die seiner Gemeinde Illingen deutlich vernehmbar und auch schon mal lautstark vertritt. In diesem Fall ist dem kämpferischen Bürgermeister richtiggehend die Hutschnur ob seines Zornes gerissen. So was habe er in seinen 20 Jahren als Bürgermeister noch nicht erlebt, "ich fühle mich total verarscht", wettert der Rathauschef.
"Sowas", das ist die Auseinandersetzung um die geplante Ansiedlung eines Globus-Marktes in Neunkirchen. 12.000 Quadratmeter groß soll der werden, strategisch und verkehrstechnisch ideal gelegen an der B 41, Abzweigung Westspange am Südwestrand von Neunkirchen. Ein Blick auf die Landkarte erklärt das Interesse der Handelskette, einen weißen Fleck in der Mitte des Landes zu schließen. Zwar waren auch andere mögliche Standorte im Gespräch, Verkehrsanbindung und die topografischen Gegebenheiten haben aber zu der Standortentscheidung beigetragen, die jetzt für heftigen Zoff im Landkreis Neunkirchen sorgt. Bekanntlich sorgt jedes geplante Großprojekt für strittige Auseinandersetzungen. Im Fall Globus Neunkirchen ist die Gemengelage aber besonders vertrackt und weitreichend. Selbst in Berlin ist das Thema bereits angekommen.
Die Auseinandersetzung spielt eigentlich auf verschiedenen Ebenen. Die sind aber längst so miteinander verquickt, dass sich die Fronten ziemlich verhärtet haben. Die eine Streit-Ebene rund um das weite Feld Umweltschutz dreht sich um die "Betzenhölle". Dieses Stück Landschaft gehört zur "Landschaft der Industriekultur Nord (LIK Nord)", nach einer Selbstbeschreibung "das einzigartige Naturschutzgroßprojekt im Saarland". Es ist eines von fünf Großprojekten, das im Rahmen des Bundeswettbewerbs "IDEE.Natur Zukunftspreis Naturschutz" ausgewählt und mit rund 13 Millionen Euro gefördert wird. Mit LIK Nord ist nach Angaben des Bundesamtes für Naturschutz erstmals ein Projekt in einer "urban-industriellen Region" in dieses Förderprogramm aufgenommen worden. Die Partner im Zweckverband LIK Nord, dem die Umlandgemeinden Illingen, Merchweiler, Schiffweiler, Quierschied sowie die Städte Friedrichsthal und Neunkirchen angehören, haben sich in einer Vereinbarung 2009/2010 dazu verpflichtet, dass in den Kerngebieten "keine Bebauung (...) sowie keine weiteren, den Projektzielen zuwiderlaufenden infrastrukturellen Ausbaumaßnahmen" vorgenommen werden dürfen.
"Nicht irgendein Naturschutzgebiet"
Die Globus-Pläne würden aber das Teilstück "Betzenhölle" aus der LIK Nord beanspruchen, was Armin König auf die Palme bringt. Schließlich ist die LIK Nord aus seiner Sicht "nicht irgendein Naturschutzgebiet, sondern Champions League". Der "strikte Restriktionscharakter" schließt nach seiner Überzeugung solche Ansiedlungen aus. Auch ein möglicher Flächentausch kommt für ihn nicht infrage. Als einer der Väter der LIK Nord verweist er auf geschützte Tierarten, die in der Betzenhölle beheimatet sind, und die besondere Vegetation. Dass nun ein Tauschgeschäft "Betzenhölle" gegen "Katzentümpel" diskutiert wird, um die Gesamtfläche der LIK Nord zu erhalten, stößt bei König aufgrund der unterschiedlichen Gegebenheiten auf strikte Ablehnung. Der "Katzentümpel" sei "nur auf dem Papier eine Ausgleichsfläche, erfüllt aber nicht die Funktion (der "Betzenhölle")". Und Patrick Weydmann, Bürgermeister von Merchweiler, derzeit Verbandsvorsteher der LIK Nord, befürchtet gar einen regelrechten "Paradigmenwechsel".
Befürworter der Ansiedlung, darunter Neunkirchens Oberbürgermeister Jürgen Fried und Landrat Sören Meng, können diese Argumentation nicht nachvollziehen. Aus ihrer Sicht ist der "Katzentümpel" eine Fläche, die "viel wertvoller" ist. König verweist seinerseits darauf, dass der "Katzentümpel" auch aufgrund seines hohen Restkohleanteils seinerzeit nicht in die Planungen für die "Kerngebietskulisse" des Schutzgebiets aufgenommen worden war. Im Umweltministerium wiederum geht man davon aus, dass bei einem Gebietstausch die Zielsetzung des Naturschutzgroßprojektes "nicht gefährdet" wäre.
Ein anderes Argument müsste aber auch aus Sicht von Jürgen Fried durchaus "ernst genommen" werden. Und das dürfte wohl auch das Bundesamt für Naturschutz so sehen. Ein Gebietstausch in einem dieser bundesweiten Vorzeigeprojekte könnte andernorts als Präzedenzfall zitiert werden, wenn dort ähnliche Begehrlichkeiten auf die Tagesordnung kämen. Im Raum steht aber auch die Befürchtung, dass bei einer Ausgliederung der Betzenhölle womöglich die Grundlage für die millionenschwere Förderung wegfalle, im "worst case" sogar Rückzahlung bereits geflossener Beträge gefordert werden könnte. Unabhängig davon weist Fried auf die Möglichkeit hin, dass die Stadt Neunkirchen auch aus dem Verband der LIK Nord aussteigen könnte, was satzungsgemäß möglich, in den Folgen aber kaum abzuschätzen ist.
Kommunen fürchten um Einzelhandel
Zugleich dreht sich die Auseinandersetzung um die wirtschaftlichen Auswirkungen der geplanten Großansiedlung. Die äußeren Rahmenbedingungen im Landkreis Neunkirchen sind geprägt von der demografischen Entwicklung mit einem Rückgang der Bevölkerung (zwischenzeitlich durch den Flüchtlingszuzug gebremst), unterdurchschnittlichem Kaufkraftniveau und einer gleichzeitigen sortimentsspezifischen Überversorgung durch das Saarpark-Center in Neunkirchen. Einer Globus-Untersuchung zufolge müsste sich der Einzelhandel in den umliegenden Gemeinden auf Kaufkraftabflüsse gefasst machen. Am meisten betroffen: Merchweiler und Illingen, die sich jeweils auf eine "Kaufkraftumlenkung" von über sieben Prozent einstellen müssten, was nach Globus-Gutachten allerdings unter der "kritischen Grenze" von zehn Prozent liegen würde. Die Reaktion von Armin König fällt drastisch aus: "Ich fühle mich verarscht". Die Gemeinde selbst kommt nach überschlägiger Schätzung auf mögliche Einbußen von um die 15 Prozent. Der Grund für die unterschiedlichen Einschätzungen könnte darin liegen, welche Verkaufsflächen in der Gemeinde den jeweiligen Betrachtungen zugrunde gelegt wurden. Die Gemeinde Illingen hat ihre Schätzung, wie es heißt, auf Grundlage der Ortskenntnis entwickelt.
Dass die betroffenen Umlandgemeinden für ihre Interessen kämpfen, kann Jürgen Fried wiederum durchaus nachvollziehen. Schließlich hat sich Neunkirchen vor drei Jahren selbst gegen ein damals geplantes ECE-Center in Homburg zur Wehr gesetzt. Die Begründung seinerzeit waren Berechnungen, wonach das Saarpark-Center in Neunkirchen zehn Prozent Einkaufsbesucher verloren gehen könnten. Dass der geplante Globus-Markt vor der Haustür nun dem Saarpark-Center schaden könnte, sieht Fried nicht. Im Gegenteil. Zum einen sei das Einkaufsverhalten unterschiedlich, zum anderen könne im Zuge der Verfahren Einfluss auf die Sortimentsgestaltung bei Globus genommen werden. Insgesamt sieht er in einer möglichen Globus-Ansiedlung eine Bereicherung für den gesamten "Verflechtungsraum", weil es im Einzugsbereich bislang ein dem geplanten Globus vergleichbares Angebot nicht gebe.
Derzeit liegt das ganze Verfahren beim Innenministerium. Das muss als Kommunalaufsicht über eine Beschwerde von Armin König befinden, der die Entscheidung der Verbandsversammlung der LIK Nord zugunsten eines Flächentauschs für rechtswidrig hält, weil das Bauvorhaben gegen die Verwaltungsvereinbarung verstoße. Solange darüber nicht entschieden ist, bleibt ein entsprechender Antrag an das Bundesamt für Naturschutz in der Schublade. Das saarländische Umweltministerium hält sich derzeit mit Stellungnahmen zurück. Das geht jetzt seinen Gang, verweist Umweltminister Reinhold Jost auf die Kommunalaufsicht. Auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks wollte sich kürzlich bei ihrem Besuch anlässlich des 40-jähtigen Jubiläums der Naturlandstiftung Saar in Saarbrücken nicht zur aktuellen Diskussion äußern. Allerdings ließ sie es sich nicht nehmen, in ihrer Festrede ausdrücklich die LIK Nord und das 13-Millionen-Engagement aus ihrem Haus hervorzuheben.
Von Oliver Hilt