Es ist gerade einmal sechs Monate her, da befand sich Eintracht Frankfurt auf dem Sturzflug in Richtung Zweite Liga. Nach der Last-Minute-Rettung in der Relegation fliegen die Adler nun plötzlich so hoch wie seit über 20 Jahren nicht mehr. Eine Analyse des neuen Aufbruchs am Main und der Arbeit seiner Macher Fredi Bobic und Niko Kovac.
Es war der Abend des 23. Mai dieses Jahres, als Eintracht Frankfurt dem Sturz in den Abgrund Zweitklassigkeit gerade noch einmal entkam. Der Fußball-Bundesligist setzte sich in der Relegation denkbar knapp gegen den 1. FC Nürnberg durch und krönte mit einer enormen Energieleistung eine kaum mehr für möglich gehaltene Aufholjagd. Fans und Verantwortliche feierten die Rettung ausgelassen, zumal mit dem Klassenverbleib auch Heribert Bruchhagen seinen lange geplanten Abschied ruhigen Gewissens vollziehen konnte. "Ein Abstieg wäre tragisch gewesen. Ich bin so dankbar, wir waren in beiden Spielen die klar bessere Mannschaft. Ich bin total glücklich", sagte ein sichtlich bewegter Vorstandsvorsitzender. Dass der 68-Jährige nur ein halbes Jahr später in seiner neuen Tätigkeit als TV-Experte über Eintracht Frankfurt als Spitzenmannschaft fabulieren würde, hätten der besonnene Westfale selbst und auch das Gros der Eintracht-Fans kaum für möglich gehalten. Zu groß schienen die Hypothek aus der Vorsaison und zu umfangreich die Herausforderungen eines Neuanfangs, als dass man am Main über etwas anderes als den Klassenverbleib nachdenken könnte.
Skepsis, Zurückhaltung und Bescheidenheit prägten die Stimmung bei den Anhängern am Riederwald vor Beginn der neuen Spielzeit auch, weil nicht jeder von der Verpflichtung von Fredi Bobic als Bruchhagen-Nachfolger begeistert war. Der ehemalige Nationalspieler musste bei seinem Start in Frankfurt mit einigen Vorbehalten leben, unter anderem auch, weil er in Stuttgart bereits sein Scherflein zum Niedergang eines Traditionsclubs beigetragen hat. Stattdessen strafte Bobic aber alle Kritiker in den ersten sechs Monaten seiner Amtszeit Lügen.
Der 45-Jährige ist für Eintracht Frankfurt weit mehr als nur ein "Gute-Laune-Onkel", der die tristen Leistungen eines mittelmäßigen Bundesligisten moderiert. Bobic brachte in den vergangenen Monaten viel frischen Wind in die teilweise modrigen Gemäuer der Eintracht-Geschäftsstelle. Fredi Bobic ist das neue Gesicht von Eintracht Frankfurt und nutzte seinen ersten Sommer in Hessen gleich, um dem ganzen Verein ein neues Erscheinungsbild zu geben. "Wir haben sicherlich einiges angestoßen, was dem einen oder anderen risikoreich vorkommt, aber Fakt ist doch auch: Du musst was tun, wenn du Tabellensechzehnter warst in der vergangenen Saison. Generell muss hier eine andere Denke rein, da mussten wir einiges anschieben. Auch im infrastrukturellen Bereich mussten wir einige Investitionen tätigen", erörtert Bobic.
"Du musst was tun, wenn du Tabellen-sechzehnter warst"
Heißt im Klartext: Notwendige Veränderungen nach dem Fast-Abstieg in Mannschaft und Funktionsteam wurden schnell vorangetrieben, um Planungssicherheit zu haben und dem Team die Vorbereitung zu erleichtern. Fredi Bobic entwickelte mit Trainer Niko Kovac ein neues "Team um das Team" und stellte neue Mitarbeiter in den Bereichen Scouting, Video-Analyse, Athletiktraining oder Spielanalyse ein und installierte mit dem erfahrenen Armin Reutershahn, den Kovac noch aus seiner Zeit als Spieler beim Hamburger SV kannte, einen neuen Co-Trainer. Das "Groß-Reine-Machen" ging auch in der Geschäftsstelle weiter. Neue Gesichter in der Pressestelle, beim Merchandising oder im Sekretariat; Eintracht Frankfurt erfand sich in diesem Sommer in gewisser Weise neu allerdings, ohne die Prinzipien und Werte aus dem Auge zu verlieren, die den Verein schon unter Heribert Bruchhagen immer ausgezeichnet haben. Der Bundesligist aus der Bankenmetropole ist finanziell solide ausgestattet. Ein Investor ist nicht in Sicht. Stattdessen wird nur das Geld ausgegeben, das man auch eingenommen hat. Dennoch kommen die Frankfurter in dieser Saison etwas frischer, etwas jünger daher eindeutig ein Verdienst von Bobic. Sie wollen ihre große Tradition wieder selbstbewusster leben und vor allem für junge Spieler, die sich entwickeln wollen, wieder attraktiver werden. Aymen Barkok ist da ein gutes Beispiel. Der 18-jährige Straßenfußballer aus der eigenen Jugend schoss die Frankfurter bei seinem Bundesliga-Debüt in Bremen gleich mit seinem ersten Torschuss zum Sieg eine von zahlreichen Personalien, die den Frankfurter Frühling im Herbst 2016 symbolisiert.
Die beiden entscheidenden Köpfe sind aber fraglos Fredi Bobic und vor allem Niko Kovac. Der ehemalige kroatische Nationaltrainer, bei seiner Vorstellung im März von vielen noch als Bundesliga-Azubi belächelt, hat mit dem Klassenverbleib bereits sein Gesellenstück gemacht. Seine Qualitäten als "Ersthelfer am Unfallort" beeindruckten, er impfte der Mannschaft in kürzester Zeit die Mentalität ein, die es im Abstiegskampf braucht. Doch die Dankbarkeit der Fans wich schon schnell wieder den Sorgen vor der Zukunft: Ist Kovac wirklich in der Lage, eine Mannschaft über eine längere Zeit weiterzuentwickeln? Die bisherigen Leistungen der Eintracht sprechen eine eindeutige Sprache. Der Funke ist von Kovac längst auf die Spieler übergesprungen, das war schon auf der Zielgeraden der vergangenen Saison, vor allem aber in der Vorbereitung zu spüren. Die Belastung während der teilweise zweieinhalbstündigen Einheiten war hoch und wurde immer weiter gesteigert. Der Coach zeigte seine perfektionistische Ader, unterbrach viele Übungen, diskutierte und erklärte oder grätschte auch schon mal selber mit. Der Lohn für die Mühen: Die Eintracht-Elf ist eine der fittesten Mannschaften der gesamten Bundesliga und hat dank einer der besten Defensivreihen ein nur schwer zu überwindendes Bollwerk.
18 ausländische Spieler aus
16 Nationen im Kader
Kovacs Eintracht ist zum einen kämpferisch wertvoll, hat sich aber zum anderen auch künstlerisch weiterentwickelt. Die Grundlage zum Erfolg ist für den Trainer auch hier der Teamgedanke: "Ich kann nur offensiv spielen, wenn ich defensiv denke." So verbesserte er das Spiel seiner Mannschaft in vielen Einzelteilen durch geschickte Transfermanöver, vor allem aber durch intensive Arbeit mit den Stammkräften der Vorsaison, die teilweise sogar eine echte Leistungsexplosion zu verzeichnen hatten. Stellvertretend für den Aufschwung stehen Außenbahnspieler Bastian Oczipka, der sich von Spiel zu Spiel steigert, der bereits als Fehleinkauf abgestempelte Mexikaner Marco Fabian oder US-Nationalspieler Timothy Chandler. Hinzu kommt eine Transferpolitik, die zunächst bei vielen Branchenkennern für Stirnrunzeln sorgte. Im Frankfurter Team tummeln sich aktuell neben der deutschen Fraktion 18 ausländische Spieler aus 16 Nationen. Das Risiko schien groß, dass die Neuzugänge lange brauchen, um sich zu integrieren, dass die Mannschaft möglicherweise zu lange brauchen würde, um sich zu finden. Die Bedenken waren letztlich unbegründet, weil Kovac und Bobic den Umbruch nach innen und außen perfekt moderierten. Erwartung und Druck blieben überschaubar, und so konnte die Mannschaft, die bereits früh in der Vorbereitung komplett war, immer weiter zusammenwachsen. Zudem landeten Bobic, Kovac und Sportchef Bruno Hübner auch noch zwei wahre Königstransfers passenderweise bei den Königlichen von Real Madrid. Verteidiger-Talent Jesus Valejo (19) und der defensive Mittelfeld-Staubsauger Omar Mascarell (23) zeigten auf Anhieb, dass sie nicht umsonst beim amtierenden Champions-League-Sieger unter Vertrag stehen. "Dass die Integration der Neuen so schnell funktioniert und sich die Mannschaft gefunden hat, ist auch der Internationalität der Kovac-Brüder zu verdanken", kommentiert Heribert Bruchhagen zufrieden.
Es ist die richtige Mischung, die bei Frankfurt den Erfolg bringt: Zuletzt standen mit Vallejo, Mascarell und Hrgota nur drei Neuzugänge in der Startformation der Rest sind arrivierte Spieler, die aus der katastrophalen Vorsaison letztlich gestärkt hervorgegangen sind. Dieser "Beinahe-Abstieg" führt auch dazu, dass sich bei den Frankfurtern niemand mit Englands Überraschungsmeister Leicester City gleichsetzt und einen ähnlichen Durchmarsch erwartet. Fredi Bobic hält alle mit seiner schwäbischen Gelassenheit am Boden, hebt schon mal mahnend den Zeigefinger, kann aber auch den aktuellen Erfolg genießen. Und er bildet mit Niko Kovac eine verschworene Einheit. Die Vertragsverlängerung mit dem Erfolgstrainer scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Eine positive Zwischenbilanz, an der auch Bruchhagen noch Anteile hält: "Es sind ja nach wie vor meine Jungs. Auch am Ensemble mit Sportdirektor Bruno Hübner, Trainer Niko Kovac und meinem Nachfolger Fredi Bobic habe ich meinen Anteil. Hübner hat Kovac als Trainer vorgeschlagen, die Entscheidung haben wir zusammen getroffen", ruft Bruchhagen in Erinnerung, ohne sich selbst beweihräuchern zu wollen. Er freut sich einfach, dass der Frankfurter Adler in der Bundesliga so hoch fliegt wie zuletzt in der Saison 1993/94, als die Eintracht mit Trainer Klaus Toppmöller und Uwe Bein, Anthony Yeboah und Yay-Yay Okocha die Liga verzauberte. Feste sollte man feiern, wie sie fallen. Gerade bei der launischen Diva vom Main.
Marcel Meinert