Ohne Berliner Sportler wäre die insgesamt mäßige Bilanz des deutschen Olympia-Teams bei den Sommerspielen in Rio de Janeiro erheblich dürftiger ausgefallen. Vier Mal Gold und 15 weitere Medaillen brachten die Aktiven aus Brasilien mit nach Hause in die Hauptstadt.
Berlin hat sich für die deutsche Olympia-Mannschaft bei den Sommerspielen in Rio de Janeiro (Brasilien) als eine tragende Säule erwiesen. Durch insgesamt zwölf Medaillen für 19 aktive Athleten fiel ein großer Anteil von Deutschlands 42 Podestplatzierungen an Sportler aus der Hauptstadt.
Anders ausgedrückt fällt das Fazit noch beeindruckender aus: Mit rund zehn Prozent des 423-köpfigen Teams des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) an der Copacabana sorgten die Berliner bei persönlich vier Mal Gold, fünf Mal Silber und zehn Mal Bronze für gut 30 Prozent aller deutschen Medaillen. Über Edelmetall hinaus sammelten die Berliner in Brasilien naturgemäß auch die eine oder andere bittere Erfahrung, aber vereinzelt auch besonders viele Sympathiepunkte.
Zu einem regelrechten "Goldhamster" avancierte Marcus Groß: Der Kanute fischte auf der Lagoa Rodrigo de Freitas sowohl im Kajak-Zweier im Weltmeister-Doppel mit dem Essener Max Rendschmidt als auch im Kajak-Vierer Gold aus dem Wasser. Der 22-Jährige vom Grünauer KV war damit zusammen mit seinem ebenfalls zwei Mal siegreichen Canadier-Kollegen Sebastian Brendel der erfolgreichste deutsche Olympia-Teilnehmer.
Groß machte durch seine beiden Siege, die erheblich zur überragenden Erfolgsbilanz der deutschen Kanu-Flotte in Rio beitrugen, auch seinen ganz persönlichen Frieden mit Olympia: Vor vier Jahren bei den Spielen in London war der gebürtige Görlitzer im hochfavorisierten Kajak-Vierer völlig leer ausgegangen. "Diese Enttäuschung war die ganzen Jahre bis Rio einer meiner stärksten Antriebe", sagte Groß nun in Rio voller Stolz auf seinen Coup.
Zwei Goldmedaillen hängen nun auch bei Ruderer Karl Schulze daheim an der Wand: Der 28 Jahre alte Weltmeister vom Berliner RV gewann im Doppel-Vierer und kehrte damit zum zweiten Mal nacheinander als Olympiasieger von Sommerspielen an die Spree zurück.
Zu einer der schillerndsten Figuren im deutschen Rio-Aufgebot stilisierte sich der vierte Berliner Goldmedaillen-Gewinner: Schien Christoph Hartings sensationeller Triumph im Diskuswerfen nach dem geradezu schockierenden K.?o. seines eigentlich als Favorit geltenden Bruders Robert schon in der Qualifikation zunächst noch als eine jener unbeschreiblichen Geschichten des Sports, sorgte der 26 Jahre alte WM-Achte nach seinem ersten Sieg bei einem Großereignis überhaupt für erhebliche Irritationen: "Harting II" benahm sich wie ein Kleinkind, posierte endlos in provozierenden Haltungen, pfiff bei der Siegerehrung die Nationalhymne und lenkte seinen drittplatzierten Teamkollegen Daniel Jasinski auf dem Podest auch noch dreist mit Feixereien von diesem würdevollen Moment ab, ehe der Polizeimeister sich anschließend jeglichen ansonsten üblichen Interviews verweigerte.
"Ich war von
den Emotionen überwältigt"
Erst nach einer Nacht Schlaf wurde Harting das Ausmaß seines Blackouts bewusst: "Ich war von den Emotionen überwältigt", bemühte sich der Rotschopf zu spät um eine letztlich auch unzureichende Rechtfertigung für seine misslungene Selbstinszenierung. Vom Medienboykott am Tag seines größten Erfolges wollte Harting zudem überhaupt nicht abrücken: "Ich bin Sportler, Interviews gehören dabei nicht zu meinen Aufgaben."
In Rio glänzten aber auch Silber und Bronze für Berliner beinahe golden. Die Tischtennis-Spielerinnen Petrissa Solja und Shan Xiaona schwangen sich im Mannschaftsturnier durch den Einzug ins Finale zum "best of the rest" hinter den tatsächlich unbezwingbaren Chinesinnen auf. Judoka Laura Vargas Koch stieg nach ihrem dritten Platz aufgrund ihrer natürlich-authentischen Art fast zu einem "Liebling der Nation" auf, zumal die WM-Zweite von 2013 aus Kreuzberg auf dem Weg nach Rio "nebenbei" nach dem 1,1-Abschluss ihres Mathematik-Studiums auch noch an ihrer Doktorarbeit feilte.
Wie ein Olympiasieg fühlte sich Bronze auch für Wasserspringer Patrick Hausding an. Nachdem der Rekordeuropameister (13 Titel) in den Synchron-Wettbewerben durch zwei vierte Plätze fast schon zur tragischen Figur im deutschen Team geworden war, hatte seine erste Einzelmedaille in einer Olympia- oder WM-Konkurrenz beinahe historische Dimension: Die erste Olympia-Plakette für einen deutschen Wasserspringer im Einzel seit 20 Jahren war auch die erste Podestplatzierung eines Deutschen vom 3-Meter-Brett seit sage und schreibe 104 Jahren: "Damals", meinte der Ex-Synchronweltmeister dazu, "ist man noch von Holzbrettern gesprungen." Hausdings Erfolg ersparte dem Deutschen Schwimmverband (DSV) beim schlechtesten Olympia-Gesamtergebnis aller Zeiten wenigstens das totale Desaster einer Nullnummer ohne eine einzige Medaille. Grund zum Feiern hatten nach Silber auch Bogenschützin Lisa Unruh sowie nach Bronze auch das Handball-Quartett von den Füchsen Berlin, das Berliner Hockey-Duo Martin Häner und Martin Zwicker sowie die Segler Erik Heil und Thomas Plößel.
Unterschiedlich mussten andere Ergebnisse bewertet werden. Silber für den prestigeträchtigen Deutschland-Achter mit zwei Berliner Ruderern erschien eher als Niederlage, während Platz fünf für Annika Schleu im Modernen Fünfkampf hingegen als herausragend einzuschätzen ist.
Anders als für den von einem Hexenschuss beeinträchtigten Diskus-Riesen Robert Harting oder Judoka Sven Maresch bedeutete für Wasserspringer-Hoffnung Elena Wassen das verpasste Finale keine Enttäuschung. Im Gegenteil: Die Zehntklässlerin, mit 15 Jahren jüngstes Mitglied der deutschen Mannschaft bei den ersten Spielen in Südamerika, imponierte bei ihrem Halbfinal-Auftritt und darf als Wechsel auf die Zukunft gelten. "Ich nehme sehr viel Erfahrung und Selbstvertrauen mit. Das wird mir bei der Vorbereitung auf Tokio 2020 sicher nutzen", sagte die Europaspiele-Dritte von 2015 vor der Abreise.
Samira Manzke