Die Bundesliga wirbt weltweit intensiv um Fußballfans, da kommt die Krise in den europäischen Wettbewerben zur Unzeit. Die Gründe sind auch hausgemacht.
Es ist noch gar nicht lange her, da schien der deutsche Fußball für den Rest der Welt eine Nummer zu groß zu sein. "Es gibt kein Mittel gegen diese glänzende Bundesliga, die heute über dem Fußball-Planeten strahlt", schrieb die spanische Zeitung "El Pais" vor dem Champions-League-Finale 2013 zwischen Bayern München und Borussia Dortmund, und auch der englische "Guardian" schrieb damals von einer "Wachablösung".Ein Jahr später gewann die deutsche Nationalmannschaft in Brasilien auch noch ihren vierten WM-Titel und die Bundesliga, die Liga der Weltmeister, sah rosige Zeiten auf sich zukommen. Doch die Gegenwart ist nicht triumphal, sondern trist. Erstmals seit zwölf Jahren steht kein deutscher Club in einem Europacup-Halbfinale. Die Quittung: In der für die Anzahl der Europacup-Startplätze maßgebenden Fünf-Jahres-Wertung der Uefa gibt es das schlechteste Abschneiden seit fünf Jahren. Noch belegt Deutschland hier Platz zwei hinter Spanien, doch die Alarmglocken schrillen. Denn der Einbruch kommt zur Unzeit.
Christian Seifert, der Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL), ist nach dem Abschluss des neuen Rekord-TV-Vertrags gerade heftig darum bemüht, die Marke Bundesliga im Ausland stärker zu vermarkten. "Mittelfristig wird es nur noch zwei bis drei Ligen geben, denen die Menschen weltweit folgen", sagte Seifert und warnte: "Der Verdrängungswettbewerb ist im vollen Gange."
Vor allem auf dem asiatischem Markt, speziell in China, wo zurzeit für Fußball das Geld nur so aus dem Fenster geworfen wird. Dort hat noch die englische Premier League in der Gunst der Fans die Nase vorn, doch ausgerechnet jetzt, wo die englischen Clubs auf internationaler Bühne schwächeln, tun es die deutschen Vereine auch. Und das ausgerechnet 20 Jahre nach dem europäischen Doppel-Triumph von Borussia Dortmund (Champions League) und Schalke 04 (Uefa-Pokal).
Bayern München fand im überforderten Schiedsrichter Viktor Kassai (Ungarn) schnell einen Sündenbock für das Viertelfinal-Aus in der Champions League gegen Titelverteidiger Real Madrid. Bei Dortmund überwog das Mitleid wegen des Anschlags auf den Teambus kurz vor dem Hinspiel gegen den AS Monaco. Und Schalke haderte mit fehlendem Glück im Verlängerungsdrama der Europa League gegen Ajax Amsterdam. Also alles nur Pech, ungünstige Umstände und Versagen anderer? Mitnichten. Das kollektive Aus der Bundesliga-Trios hat auch hausgemachte Gründe.
Bayern München
Die Schiri-Schelte mag emotional nachvollziehbar sein, wirkte aber wenig souverän. "Bayern hat Real mit vielen eigenen Fehlern starkgemacht. Da muss man sich auch an die eigene Nase fassen, bevor man auf den Schiedsrichter losgeht", sagte der frühere Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus bei Sky. Das gelte auch und vor allem für Trainer Carlo Ancelotti, betonte der frühere Bayern-Kapitän: "Auch der Trainer muss sich hinterfragen."
Der "Mister" ist in Erklärungsnot. Die Bayern hatten den Italiener als Nachfolger von Pep Guardiola an die Isar geholt, weil ihm der Ruf vorauseilt, seine Mannschaften seien in der heißen Saisonphase auf den Punkt topfit und eingespielt. Das ist aber bei allem Pech mit Verletzungen in München nicht der Fall.
Das am Ende verdiente Ausscheiden gegen Real dürfte deutlich gemacht haben, dass die Bayern dringend einen Umbruch benötigen. Im Rückspiel stand eine Startelf auf dem Platz mit einem Durchschnittsalter von 30 Jahren und 116 Tagen. Aber ist Ancelotti der richtige Mann für einen Umbruch? "Über neue Spieler sprechen wir nach der Saison", sagt er. "Aber es wird keine Revolution geben!"
Definitiv ersetzt werden müssen Kapitän Philipp Lahm (33) und Mittelfeldstratege Xabi Alonso (35), die ihre Karriere nach der Saison beenden. Auch für Franck Ribéry (34), Arjen Robben (33), Rafinha (31) und Arturo Vidal (29) müssen mittelfristig Nachfolger gefunden werden. Intern bestehen Zweifel, dass Douglas Costa, Kingsley Coman und 35-Millionen-Euro-Flop Renato Sanches den hohen Bayern-Ansprüchen genügen.
An die heiß gehandelten Shootingstars Kylian Mbappé (AS Monaco) oder Paulo Dybala (Juventus Turin) geht Bayern nicht ran. "Diese Super-Transfers passen nicht zu unserer Philosophie", sagte Bayerns Technischer Direktor Michael Reschke, der beim Rekordmeister für die Kaderplanung zuständig ist.
Als Neuzugänge stehen bereits die beiden Hoffenheimer Niklas Süle und Sebastian Rudy fest. Außerdem will der Club in Zukunft mehr Kaderplätze für Eigengewächse bereithalten. Die Nachwuchsabteilung wurde für viel Geld und auf Drängen von Uli Hoeneß umstrukturiert. Der letzte Nachwuchsspieler, der den Sprung in den Bayern-Profikader geschafft hat, war David Alaba im Jahr 2009.
Borussia Dortmund
Wirklich seriös lässt sich nicht beantworten, ob Borussia Dortmund ohne den Anschlag auf das Leben der BVB-Spieler gegen Monaco weitergekommen wäre. Fakt aber ist, dass der jungen und hochtalentierten Mannschaft in dieser Saison die Konstanz fehlt. "Wir müssen bei all unserem Talent in der Persönlichkeit wachsen. Unser Weg ist noch nicht beendet", sagte Trainer Thomas Tuchel. Doch auch der BVB-Coach machte in seiner ersten Champions-League-Saison Fehler. Im Rückspiel in Monaco musste er schnell seine personellen (der lange verletzte Erik Durm in der Startelf) und taktischen Entscheidungen (Dreier-Abwehrkette) korrigieren.
"Dass Erik Durm der Leidtragende war, nehme ich auf mich", sagte Tuchel. Torhüter Roman Bürki kritisierte die "individuellen Fehler bei den Gegentreffern". Dieses Manko zieht sich wie ein roter Faden durch die Saison. Dem BVB fehlt es an Balance, auf Weltklasse-Aktionen folgen bei Ousmane Dembélé und Co. manchmal schlampige Abspiele, auf grandiose Siege mitunter lustlose Auftritte. Die im Sommer notgedrungen abgegebenen Mats Hummels, Henrikh Mkhitaryan und Ilkay Gündogan fehlen vor allem in engen Situationen, als Führungsspieler. In diese Rolle müssen Spieler wie Marco Reus erst hineinwachsen.
Außerdem ist die Mannschaft zu abhängig von ihrem Stürmer Pierre-Emerick Aubameyang. Ja, der Gabuner schießt viele Tore, er vergibt aber noch viel mehr Torchancen. Und in großen Spielen taucht Aubameyang regelmäßig ab. Der Ärger um Sponsoren-Jubel und ständige Wechsel-Andeutungen dürften auch dazu führen, dass Dortmund bei einem Angebot "80 Millionen Euro plus X" nicht mehr kategorisch "nein" sagen würde.
Außerdem muss im Sommer dringend die Personalie Tuchel geklärt werden. Bleibt der Kopfmensch beim Herzclub BVB bis zum Vertragsende 2018? Verlängert er? Oder geht er? Die Spekulationen mit in die neue Saison zu nehmen, könnte einen erneuten Angriff auf nationale und internationale Titel gefährden.
Schalke 04
Das Viertelfinale gegen Ajax Amsterdam war ein Spiegelbild der Saison für die Königsblauen: Sie vergeigten den Start komplett, kämpften sich mühsam zurück, standen dicht vor einem Erfolg und ließen ihn doch wieder aus den Händen gleiten. "Konstanz ist ein Qualitätsmerkmal", sagte Mittelfeldspieler Leon Goretzka reflektierend, "und aktuell fehlt uns vielleicht ein bisschen Qualität, um Woche für Woche an die Leistungsgrenze zu gehen."
liegt am Verletzungspech, aber auch an der Kader-Zusammenstellung. Für die sind seit Sommer Manager Christian Heidel und Trainer Markus Weinzierl zuständig, beiden wurde für Schalker Verhältnisse bislang extrem viel Kredit eingeräumt. Doch ab der kommenden Saison müssen die Entscheidungen des sportlichen Duos, das die "Bild"-Zeitung bereits als "Pleiten-Paar" getauft hat, sitzen. Weinzierl setzte seinen Manager bereits verbal unter Druck: "Schalke hat andere Ansprüche als Mainz 05." Allerdings steht auch Weinzierl unter Beobachtung, weder spielerisch noch taktisch hat sich das Team unter seiner Regie verbessert.
Die drei zuvor genannten Teams haben zumindest das Viertelfinale erreicht, davon konnten die Europacup-Starter Borussia Mönchengladbach, Bayer Leverkusen und Mainz 05 nur träumen. Hertha BSC hatte die Qualifikation zur Europa League erst gar nicht überstanden. Eine Liga, "die über dem Fußball-Planeten strahlt", sieht anders aus.
Jörg Soldwisch