Jetzt oder nie so lautet das Motto des WM-Kampfes von Profibox-Weltmeister Jürgen Brähmer. Nach zwei gescheiterten Versuchen ist es endlich so weit: Der Schweriner trifft am 1. Oktober in Neubrandenburg auf den walisischen Herausforderer Nathan Cleverly.
Auf dieses Duell im Halbschwergewicht hat die Boxszene lange gewartet, es dürfte Brähmer anders als seine vorangegangenen Titelverteidigungen an die Grenzen bringen. "Natürlich ist jeder Kampf eine Herausforderung für sich, doch Nathan Cleverly ist wohl meine bislang größte, und darauf freue ich mich", sagt Brähmer (48 Siege in 50 Kämpfen, 35 durch K. o.). Der 37-Jährige weiß, dass jede kleinste Unachtsamkeit gegen den acht Jahre jüngeren Waliser ihn den WBA-Gürtel kosten könnte. Doch ernsthafte Sorgen, nach drei Jahren den WM-Titel ablegen zu müssen, macht sich Brähmer nicht: "Mich reizen Kämpfe gegen Gegner auf Augenhöhe."
Promoter Kalle Sauerland reibt sich bei der Ansetzung die Hände. "Zwischen diesen beiden Boxern herrscht jede Menge Zündstoff aufgrund ihrer gemeinsamen Vergangenheit", sagt er. Schon 2011 war der Kampf zwischen Brähmer und Cleverly in London angesetzt gewesen, doch der Deutsche verletzte sich kurzfristig am Augenlid. "Das ist doch nur eine Ausrede von Jürgen, um nicht gegen mich zu boxen", tönte Cleverly damals. Ihm wurde schließlich der WM-Gürtel der Version WBO am grünen Tisch zugesprochen. Vier Jahre später wollten die beiden die Geschichte im Ring klären, doch nach Cleverlys mündlicher Zusage unterschrieb er dann doch lieber einen Kampfvertrag in den USA. Brähmer fühlte sich verschaukelt: "Das war nicht die feine englische Art."
"Junge Talente werden verheizt"
Die Rivalität wird bis zum 1. Oktober sicher nicht kleiner werden. Cleverly stichelte vor dem ersten Gong gegen seinen deutschen Kontrahenten. "Eines weiß ich", sagte der Linksausleger, "der junge Löwe wird den alten Löwen vom Thron stoßen und in Rente schicken." Angesprochen auf seinen taktischen Plan scherzte der 29-Jährige: "Nach Deutschland reisen, Brähmer besiegen und daheim feiern." Das Brähmer-Lager weiß natürlich, dass sich der Herausforderer deutlich besser auf den Kampf vorbereitet als er es der Öffentlichkeit weismachen will. "Jürgen hat die Erfahrung, Nathan die Jugend auf seiner Seite. Der eine ist ein brillanter Konterboxer, der andere eine echte Offensiv-Maschine", sagt Promoter Sauerland. "Darauf kann sich jeder Boxfan freuen."
Brähmer wird erstmals von Konrad "Conny" Mittermeier in der Ringecke gecoacht, nachdem er sich von seinem langjährigen Erfolgstrainer Karsten Röwer getrennt hatte. Der Grund: Brähmer baut sich in seiner Heimatstadt Schwerin ein eigenes Trainingsteam auf, während Röwer als Angestellter des Sauerland-Boxstalls in Berlin gebunden ist. Nach dem Ende seiner aktiven Karriere will Brähmer selbst ins Trainergeschäft einsteigen, erste Erfahrungen hat er schon jetzt gesammelt. Er trainierte und betreute Halbschwergewichtler Tyron Zeuge bei dessen WM-Kampf im Juli gegen den Italiener Giovanni de Carolis. Zeuge (24) scheiterte zwar bei dem Versuch, sich als jüngster deutscher Profibox-Weltmeister in die Geschichtsbücher einzuschreiben, doch Brähmer hatte die Sache viel Spaß gemacht. "Ich war die Mutter der Kompanie", witzelt der Weltmeister über seinen Job als Coach.
Schützling Zeuge schwärmt von Brähmer in höchsten Tönen. "Jürgen ist Coach, Trainingspartner und Kumpel in einer Person", sagt der Berliner. "Er hilft mir in allen Lebenslagen und hat immer ein offenes Ohr für mich. Als Mensch und für meine Karriere ist Jürgen Gold wert!"
Die wilden Zeiten, in denen Brähmer mit Schlägereien und einer Gefängnisstrafe für Negativschlagzeilen gesorgt hatte, sind lange vorbei. Aus dem Problemboxer ist längst ein Vorzeige-Athlet geworden. "Der Junge von einst bin ich nicht mehr", sagte Brähmer einmal der Tageszeitung "Die Welt". "Wenn du dich richtig in den Arsch beißt, kommst du aus der Scheiße auch wieder raus."
Brähmer hat gelernt, seine Emotionen besser zu kontrollieren und Ärger aus dem Weg zu gehen. Und er verschwendet sein begnadetes Talent nicht mehr. "Jürgen ist ein echtes Arbeitstier", weiß Zeuge aus eigener Erfahrung: "Wie er in den vergangenen Wochen noch einmal an der Schraube gedreht hat, dafür gibt es nur ein Wort: krass!" Um nichts dem Zufall zu überlassen, ging Brähmer in der Vorbereitung für zehn Tage auch ins Höhentraining in die Stuttgarter Weinberge. Dort machte er sich aber nicht nur um den kommenden Gegner Gedanken. Auch die wenig rosige Zukunft im deutschen Boxsport beschäftigt den Weltmeister. Dass sein Gegner Cleverly mit einem Sieg zum aktuell 15. Weltmeister Großbritanniens werden könnte, stimmt Brähmer nachdenklich.
"Die machen es uns vor, dort arbeiten Profis und Amateure zusammen. Das zahlt sich in beiden Lagern aus. Nur in Deutschland sperrt sich der Amateur-Verband DBV dagegen und sieht die Profis als Feinde. Das kleinkarierte Getue ärgert mich", wetterte Brähmer in der "Sport Bild". Dabei fehle es in Deutschland nicht an Box-Talenten. "Wenn man das richtig fördert und entsprechend in der Trainingsmethodik neue Wege geht, kann man aus diesen Jungen echte Weltklasseboxer formen." Zurzeit würden die jungen Talente aber durch zu viele Wettkämpfe in frühen Jahren verheizt. "Und die Entwicklung bleibt auf der Strecke", sagt Brähmer. Zuvor hatte auch schon Graciano Rocchigiani kein gutes Haar am deutschen Boxen gelassen. Es gebe "völlig sinnlose Titelkämpfe" und "Pseudo-Champions", sagte der Ex-Weltmeister. Die positive A-Dopingprobe von Felix Sturm, die peinliche WM-Niederlage von Arthur Abraham in Las Vegas und die Entzauberung von Nachwuchshoffnung Vincent Feigenbutz waren harte Schläge für die Boxbranche, die ohnehin seit Jahren ums Überleben kämpft. Noch ist Brähmer eines der größten Zugpferde, doch der 37-Jährige wird nicht mehr ewig boxen. Wenn es nach Herausforderer Cleverly geht, hat der deutsche Boxsport schon am 1. Oktober ein weiteres Problem nämlich einen Weltmeister weniger in den eigenen Reihen. "Es ist einfach meine Bestimmung, ausgerechnet gegen ihn erneut Weltmeister zu werden", sagt der Waliser. Jetzt oder nie.
Jörg Soldwisch