Der 74-jährige Hurricanes-Coach Tom Smythe wusste bereits in frühester Kindheit, wohin ihn sein Weg führen soll.
Polizist, Feuerwehrmann, Lokomotivführer. Häufig genannte Wunschberufe von Kindern, die bei der Berufswahl von Erwachsenen dann meist doch keine Rolle mehr spielen. Anders bei Tom Smythe. Der 74-Jährige lebt seinen Traumberuf bis heute. "Als ich drei Jahre alt war, wurde ich einmal gefragt, was ich später mal werden möchte", erinnert sich der Amerikaner. "Ich sagte: Ich möchte Footballtrainer werden. Und jetzt schauen Sie, dank dieses Berufes habe ich die ganze Welt gesehen."
Wenn es das Wort "Charisma" noch nicht gäbe, für Tom Smythe müsste es erfunden werden. "Tom hat einen kreativen und von enormer Vorstellungskraft geprägten Football-Verstand und ist nach meiner Meinung für die Offensive geradezu genial", sagte einmal Weggefährte Doug Nussmeier von der Universität Alabama. "Unerreicht ist aber seine Fähigkeit, seinen Spielern Fähigkeiten für ihr Leben mitzugeben." Smythe selbst hängt derartige Lobpreisungen nicht zu hoch. "Einen guten Trainer machen nicht viele Stunden im Büro aus oder ein dickes Playbook (Anm. d. Red.: eine Art Taktikbibel, in der alle taktischen Spielformen eines Teams detailliert aufgelistet sind)", sagt der Coach. "Ich habe zwei einfache Regeln für meine Jungs: Erstens: Beschäme nie einen Mannschaftskameraden oder den Trainer. Zweitens: Die besten Spieler spielen. That‘s it."
"Tom ist für
die Offensive geradezu genial"
In den letzten drei Jahren arbeitete Smythe mit den Saarland Hurricanes. Eine Arbeit, die ihm Freude macht. Auch wenn er anfänglich gesagt haben soll, dass für einen Amerikaner Football-Trainer in Deutschland zu sein, vergleichbar sei mit einem Deutschen als Fußballtrainer auf Sumatra. "Tom Smythe ist eine Trainerlegende", sagt Paul Motzki, der Teammanager der Saarland Hurricanes. "Er hätte NFL trainieren können, wollte das aber nie. Seine unglaubliche Erfahrung im Highschool-Bereich war genau das, was wir mit unserer jungen Mannschaft gebraucht haben. Mit ihm ging es in den letzten Jahren stetig bergauf, auch weil er uns hilft, Strukturen aufzubauen für die Zeit, wenn er einmal nicht mehr zur Verfügung stehen sollte."
"Ich liebe die Menschen hier. Glauben Sie mir. Die Saarländer sind freundlich und liebenswert. Ich schätze jeden einzelnen. Sie beschweren sich nicht. Sie tun alles, damit dieser Verein, dieses Team erfolgreich ist." Platz drei in der Liga und damit das Erreichen der Play-offs ist ein riesiger Erfolg – auch wenn Smythe manch sportliche Entwicklung im deutschen Football mehr als kritisch betrachtet. "Es ist nicht das Sportliche an sich. Unsere Mannschaft hat sich weiter verbessert. Die Jungs wollen dazulernen und haben das auch getan", so der Headcoach. "Wir hätten dieses Jahr normalerweise um Platz zwei mitgespielt. Aber da kommt dann ein Verein mit einem großen Sponsor und stellt alles auf den Kopf." Smythe redet sich in Rage, wenn er über die Frankfurt Universe spricht. Dort ist der Eletronikkonzern Samsung als Hauptsponsor eingestiegen. Insider sprechen von einem Etat von 1,5 Millionen Euro. "Da spielt kein einziger Frankfurter. Die kaufen halb Europa zusammen. Ist das fair? Die GFL muss da sehr aufpassen. Frankfurt kommt aus dem Nichts an die Spitze. Doch was passiert, wenn der Sponsor aussteigt? Sie verschwinden im Nirgendwo. Das ist doch lächerlich – nein, es ist Bullshit."
Die Canes setzen auf Nachwuchsarbeit, ziehen immer wieder Spieler aus der zweiten Mannschaft nach oben. "Wir spielen fast nur mit Jungs aus der Region. Und unsere Spieler geben viel für ihren Sport. Sie zahlen ihre Ausrüstung selbst, übernehmen die Kosten für Übernachtungen bei Auswärtsspielen. Wenn ich das von einem Highschool-Spieler in den USA verlangen würde, er würde mich für verrückt erklären lassen." In diesen Momenten blitzt das Temperament des 74-Jährigen auf, der für seine Spieler Trainer, Vater, Großvater, Respektperson, aber auch Freund, Ratgeber und Vorbild ist. "Auch wenn ich die Jungs manchmal richtig anbelle, tue ich das nur, wegen ihres Spiels. Ich achte jede einzelne Persönlichkeit. Dieses Gefühl muss jeder Spieler nach jedem Training und jedem Spiel mitnehmen. Außerdem: Stellen Sie sich mal vor, einer der Jungs wird Herzchirurg und Sie landen auf seinem Tisch, nachdem Sie ihn fertiggemacht haben."
"Ich denke, meine Mission hier ist noch nicht vorüber"
Doch diese Weisheit musste auch ein Tom Smythe erst erwerben. In seinen jungen Jahren war auch er ein Heißsporn. "Es war nach einem Allstar-Highschool-Spiel. Nord-Oregon gegen den Süden. Am Tag danach saß ich in einem Diner und hörte wie sich zwei Männer unterhielten. ‚Der Trainer vom Norden ist ein richtiges Arschloch‘, sagte der eine und der andere stimmte zu: ‚Der hat sich benommen wie ein Schwein.‘ Die redeten über mich. Ich habe noch Stunden in diesem Diner gesessen und darüber nachgedacht, wie ich auf die Menschen wirke."
Viele Jahre und Trainerstationen in den USA und Europa später, beendete Smythe nun mit den Canes eine Saison, in der man die sportlichen Erwartungen trotz teilweise übermächtiger Konkurrenz erfüllen konnte. Erst im Viertelfinale bei den Dresden Monarchs war Endstation. Bereits zwei Wochen zuvor hatte der Trainer den Vereinsverantwortlichen zugesagt, im nächsten Jahr wiederzukommen. "Wir haben uns weiterentwickelt. Ich nehme viele Eindrücke mit. Das Heimspiel gegen Allgäu, das wir in der letzten Sekunde gewonnen haben, werde ich mein Leben nicht vergessen", sagt Smythe, der müde wirkt. "Ich werde mir viele Gedanken machen, wenn ich zu Hause in Oregon wieder einmal Golf spielen werde. Ich werde vielleicht auch wieder an meinen Sportromanen schreiÂben. Geschichten von jungen Sportlern, wo sich auch einige Charaktere aus dem Saarland bestimmt wiederfinden. Manchmal denke ich, was zur Hölle machst du da? Ist es nicht Zeit, einem jüngeren Mann Platz zu machen? Dann kommt meine Frau und fragt, wann wir wieder nach Europa fliegen. Ich denke, meine Mission hier ist noch nicht vorüber."
Patric Cordier