Sie beendete 2016 als Weltranglistenerste und beginnt die neue Saison dort, wo sie ihren Traumlauf mit ihrem ersten Grand-Slam-Turniersieg gestartet hatte: in Down Under. Australian-Open-Siegerin Angelique Kerber hat sich auch 2017 in Brisbane für Melbourne warmgelaufen und ist im australischen Sommer ins Tennisjahr gestartet.
Die Ansage der Weltranglistenersten nach ihrer Supersaison 2016 war deutlich: "Ich will die Nummer Eins so lange wie möglich verteidigen". Keineswegs wird sich die 28-Jährige am Höhepunkt ihrer Karriere zurückziehen. Mit zwei Grand-Slam-Trophäen aus dem Vorjahr im Gepäck und dem Selbstbewusstsein aus weiteren fünf Finalteilnahmen sowie 63 gewonnen Matches sieht die neue Tennis-Königin es als selbstverständlich an, 2017 ihre Gegnerinnen noch kräftiger vom Platz zu fegen.
Nach dem Sprung von Platz zehn auf Rang eins der WTA-Liste innerhalb eines Jahres ist das keine Utopie. Zu Angies Zielen gehört nicht einfach nur die Verteidigung der Nummer Eins. Die steht bei den Australian Open rechnerisch erstmals wieder zur Disposition. Auch weitere Grand-Slam-Gewinne stehen auf der Agenda. Das Finale von Wimbledon darf nach Kerbers Planungen in diesem Jahr mit ihr als Siegerin enden. Bei den French Open will sie 2017 ausgeruht und entspannt auf den Platz gehen. Deshalb kündigen sich Änderungen an.
Im Schongang zum Erfolg
Kräfteschonender will sie zum Beispiel spielen. Für Angie mit ihrer unübersehbaren Fitness scheint keine Drehung zu komplex zu sein. Ihre Rückhand, mit der Kehrseite nur fünf Zentimeter über dem Boden, ist zwar spektakulär anzusehen und rettet manchen Punkt, fördert aber den Verschleiß. Auch Kerber ist nicht komplett gefeit vor Verletzungen und Abnutzungen. Ihr Spiel muss körperschonender werden. Randtermine und kleinere Turniere will sie vor den ihr wichtigen Einsätzen länger aussetzen. Heftige 81 Matches in einer Saison, verbunden mit Reisen quer über den Erdball und schnellen Wechseln zwischen unterschiedlichen klimatischen Bedingungen: Das geht auf Dauer nicht, wissen ihre Bewunderer und Berater, und das weiß auch sie selbst.
Daher weniger Matches. "Geplant ist, die Anzahl meiner Turnierteilnahmen zu reduzieren, damit ich mich optimal auf die großen Events vorbereiten kann", sagte Angie kürzlich der "Sport Bild". Die Ausnahme bestätigt die Regel, siehe Brisbane: "Man muss die Turniere spielen, die einen auf die großen Momente vorbereiten", kommentierte die Nummer Eins ihre Zusage zum ersten WTA-Turnier des Jahres im großen Tenniszirkus. Kerber hatte im vergangenen Jahr in Brisbane das Finale erreicht und danach in Melbourne ihren Pokal bei einem Grand-Slam-Turnier geholt.
Auch an der Effizienz will sie arbeiten. Kürzere Ballwechsel sind so ein Ziel, das sich die 28-Jährige für 2017 vorgenommen hat. Daran arbeitete sie mit ihrem Trainer Torben Beltz während der Saisonpause kräftig. Ihre ersten Aufschläge weiter zu verbessern, ist ähnlich elementar. Die Kielerin, die seit September 2016 als Nummer Eins die Tenniswelt der Damen dominiert, vergibt immer noch zu viele Möglichkeiten und Energie durch erste Aufschläge, die danebengehen. Ihr ist klar: Will sie ihre Spitzenstellung verteidigen, muss sich daran etwas ändern. Das Tennis-Ass muss dabei auch mehr Asse spielen. Aggressiver auftreten und mehr Punkte direkt am Netz machen, empfiehlt Martina Navratilova.
Ein weiterer Punkt: Die erspielten Punkte sind zu verteidigen, denn Niederlagen werden mit drastischen Abzügen bestraft. Der schnelle Absturz droht ständig in einem Feld angriffslustiger, starker Spielerinnen wie Garbine Muguruza oder Karolina Plíková und immer noch Serena Williams. Jede Woche könnte eine neue Nummer Eins im Tennisjahr 2017 an der Spitze stehen, das sehr viel Dramatik bringen wird. Besonders, wenn zu den French Open Doping-Sünderin Maria Sharapova zurückkehrt, die nach ihrer Zwangspause wieder nach den Sternen greifen will.
Die Verdrängungsbedrohung ist in diesem Jahr viel unmittelbarer als vor einem Vierteljahrhundert, als Steffi Graf erstmals von Monica Seles aus der Sonne der Weltspitze geschubst wurde. "Es wird auf jeden Fall ein interessantes Jahr 2017, sagte Kerber im ZDF. Ganz entspannt nach ihrer Traum-Saison 2016, in der sie die Australian Open und die US Open, das Turnier von Stuttgart sowie die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro gewonnen hatte.
Acht Millionen Euro Preisgelder
Ebenfalls wichtig: eine Vermarktung mit Maß. Kerbers Existenz ist auf jeden Fall gesichert. Das bislang erfolgreichste Jahr ihrer Karriere brachte ihr Preisgelder in Höhe von fast acht Millionen Euro. Das war mehr, als sie zuvor in ihrer gesamten Laufbahn zusammengesammelt hatte. Von ihrer alten Agentur hat sich Kerber getrennt und die Zusammenarbeit mit Aljoscha Thron als Manager intensiviert. Der ehemalige Tennisprofi, der nach einer Verletzung vorzeitig seine eigenen Karriereträume begraben musste, reiste schon in der Vergangenheit mit ihr und wurde nebenher Arzt. Die Marke Angelique Kerber bestmöglich zu vermarkten, ist seine neue Operation. Sie hatte bereits zwei große Sponsoren, doch ihr Australian-Open-Gewinn brachte nicht die erhoffte Steigerung im Werbegeschäft. Eine Versicherung, mit der sie für einen gesünderen Lebensstil wirbt viel mehr tat sich nicht. Doch mit ihrer dreifach goldenen Aura aus zwei Major-Titeln plus Nummer-Eins-Pokal, strahlt Angie im neuen Jahr für eine Beauty-Firma.
Durch die Schönheitswerbung könnten besonders weibliche, jugendliche Fans noch mehr ein Vorbild in der Blondine aus Kiel mit polnischen Wurzeln sehen. Angie nimmt ihre eigenen Worte sichtlich ernst: "Ich versuche alles zu geben, dass wieder ein Tennis-Boom in Deutschland passiert und dass viele Jugendliche wieder den Schläger in die Hand nehmen".
Im Fernsehen zieht sie auf jeden Fall. Zumindest bei 1.000 Befragten zwischen 18 und 69 Jahren zum Image und zur Bekanntheit der aktuell weltbesten Spielerin, steht Angelique Kerber hoch im Kurs. Gute 81 Prozent finden die Nummer Eins der Tennis-Welt sympathisch, 34 Prozent sogar sehr.
Das ergab eine Umfrage des Forschungsinstituts Human Brand Index im Oktober 2016. Die TV-Einschaltquoten stiegen seit Anfang 2016 auf das Doppelte. Das WTA-Finale in Singapur wurde als erstes Tennis-Match seit Jahren wieder in einem öffentlich-rechtlichen Sender übertragen.
Teamplayerin will den Fed Cup
Sie hat aber auch höheren Konkurrenzdruck. 2017 verspricht megaspannende Matches, die sicherlich auch im Fernsehen sehenswert sind. Angie rechnet fest damit, dass Serena Williams wieder zurückkommen wird, um "all die unglaublichen Rekorde" noch einzufahren, die der 35-Jährigen auf ihrem Erfolgskonto fehlen. Verglichen mit "normal" erfolgreichen Tennisspielerinnen sind das nicht viele. Die außergewöhnlichen Triumphe Steffi Grafs konnte Williams in ihren bisherigen Kämpfen noch nicht knacken. Sollte ihr Körper mitspielen, will die Amerikanerin es in dieser Saison sicher noch einmal wissen. Trotz aller Sympathie, würde sie im Verbund mit Rückkehrerin Sharapova Kerber das Siegen entsprechend schwer machen.
Auch mit den Jungen ist Kerbers Meinung nach zu rechnen. Da werde der Druck stärker denn je. Also Kräfte sammeln. Seit November baut Deutschlands neues Sportler-Idol wieder Kondition auf Das "A und O". Viele Interviews musste die gefragte Spielerin inzwischen geben. Bei einem Showkampf mit Bratpfanne erzählte sie vom kräftezehrenden Jahr, in dem so viel auf sie einstürmte, dass sie oft nicht früh genug "Nein" gesagt habe: "Am Ende des Jahres war ich platt von der Reiserei und den Turnieren. Ich bin ja immer so weit gekommen."
Und da wäre noch die Fokussierung auf den Fed Cup. Trotz aller Verteidigung ihrer eigenen Erfolge bleibt Kerber weiter Team-Playerin. Eines ihrer großen Ziele für dieses Jahr ist deshalb der Gewinn des Fed Cups mit Deutschland, dem bedeutendsten Mannschaftswettbewerb im Damen-Tennis. "Ich glaube, dass wir auch hier viel gelernt haben. Es ist wichtig, die erste Partie erst einmal zu gewinnen, um in den Rhythmus zu kommen." Bereits im Februar tritt Deutschland in den USA an. 2014 hatte Kerber mit ihren Mannschaftskolleginnen das Finale in Tschechien verloren.
"Amazing" Angie. Jetzt ist sie die Nummer Eins der Tenniswelt, will zum Jahresbeginn ihren Grand-Slam-Titel in Melbourne verteidigen und 2017 sehr viel erreichen. Damit sie ihre Lieblingsvokabel noch häufiger nach Siegen einsetzen kann: "Amazing."
Von Annegret Handel-Kempf