Vor 25 Jahren wäre der FC Bayern fast abgestiegen. Jupp Heynckes wurde entlassen, Sören Lerby versuchte sich erfolglos als Trainer. Am Ende musste Erich Ribbeck retten, was zu retten war.
Erfolg und Misserfolg sind relativ. Für den SC Freiburg etwa ist ein achter Platz in der Bundesliga ein Grund für vollendete Glückseligkeit, beim FC Bayern ist schon die Vizemeisterschaft Ausdruck kompletten Versagens. Kein Wunder, der Rekordmeister ist seinen Konkurrenten finanziell und strukturell weit enteilt und hat scheinbar ein Abonnement auf den Gewinn der Meisterschaft abgeschlossen. Die sportliche Bilanz des FC Bayern sucht ihresgleichen, und wer nach der letzten wirklich missratenen Saison der Münchner Ausschau hält, muss in der Chronik der Bundesliga gehörig blättern. Er wird in einer Zeit landen, in der im wiedervereinigten Deutschland die Euphorie über den Mauerfall so langsam den Schmerzen des Zusammenwachsens weicht, der ICE erstmals auf hiesigen Schienen verkehrt, während die Sowjetunion und Jugoslawien von der Landkarte verschwinden und Platz machen für eine Vielzahl kleiner Staaten.
Brasilianer schaffen den Durchbruch nicht
Die Saison 1991/92 ist eine besondere für den deutschen Fußball. Mit Hansa Rostock und Dynamo Dresden treten erstmals ostdeutsche Teams in der Bundesliga an, die für diesen Zweck einmalig 20 Teams umfasst. Mit der SG Wattenscheid und den Stuttgarter Kickers sind auch Vereine am Start, die zwischenzeitlich in den Tiefen des Amateurfußballs verschlungen waren. Die heutigen Bundesligisten RB Leipzig und der FC Ingolstadt hingegen existieren noch gar nicht, die TSG Hoffenheim ist gerade erst in die Bezirksliga aufgestiegen. Immerhin: Auch 1991 geht der FC Bayern als Krösus und Rekordmeister in die Saison. Doch die Vorzeichen sind nicht besonders gut. Das Team befindet sich im Umbruch und hat tragende Säulen ziehen lassen müssen. Libero Klaus Augenthaler etwa verabschiedet sich in den Ruhestand, der Ur-Bayer war nicht nur sportlicher Leistungsträger, sondern auch unumstrittene Integrationsfigur des Vereins. Mit Jürgen Kohler und Stefan Reuter zieht es zwei weitere Leistungsträger weg. Gemeinsam tauschen sie das Trikot des FC Bayern gegen das von Juventus Turin ein und folgen dem großen Trend jener Zeit. In den Neunzigern ist Italien das gelobte Land des Fußballs, ein paar Jahre in der Serie A sind die Krönung einer erfolgreichen Karriere. Die Bundesligisten, auch der FC Bayern, können nicht mal ansatzweise mit den Angeboten aus Italien konkurrieren und müssen ihre besten Spieler über die Alpen ziehen lassen. Die Bayern versuchen, den Aderlass mit vielversprechenden Neuverpflichtungen zu kompensieren. Italien-Rückkehrer und Weltmeister Thomas Berthold (AS Rom) soll der gerupften Defensive Halt geben, vom Meister 1. FC Kaiserslautern kommt Bruno Labbadia ("Ich bin zum FC Bayern gewechselt, um wieder Meister zu werden") und dem Karlsruher SC kaufen die Bayern in ihrer Not den grundsoliden, aber völlig überteuerten Verteidiger Oliver Kreuzer ab. Ganz besonders stolz aber sind sie auf zwei Transfers, mit denen sich die Bayern auf bislang unbekanntes Terrain begeben. Mit Mazinho und Bernardo holt der Klub erstmals Brasilianer an die Säbener Straße und wähnt sich damit ganz weit vorne. Das erhoffte Flair stellt sich nicht ein. Bernardo sitzt nach nur vier Spielen wieder im Flieger Richtung Heimat. Mazinho hält zwar drei Jahre durch, schafft den Durchbruch aber nie.
Die enormen personellen Veränderungen lassen auch Trainer Jupp Heynckes nicht ungerührt. Sein fünftes Jahr in München scheint sein schwerstes zu werden, der fällige Umbruch droht dem rekordmeisterlichen Antlitz ein paar Schrammen zu verschaffen. Im "Kicker"-Sonderheft äußert sich Heynckes betont zurückhaltend: "Wir werden unsere Ziele moderater formulieren. Vielleicht können wir dann an die Erfolge der Vergangenheit anknüpfen." Im Vorjahr hatte Heynckes noch ganz forsch den Gewinn des Europapokals angekündigt, nun scheint ihm der Glaube an das eigene Team abhandengekommen zu sein. Schon das erste Heimspiel gibt dem skeptischen Trainer recht. Zu Gast ist Hansa Rostock, eine Mannschaft von Nobodys, die erst noch lernen müssen, wie der Hase in der Bundesliga läuft.
Doch die Mecklenburger zeigen sich überraschend unbeeindruckt und sorgen mit ihrem 2:1-Sieg für einen sensationellen Coup. Eine Woche später wird es noch peinlicher. Der Zweitligist FC Homburg gastiert in der ersten Runde des DFB-Pokals im Olympiastadion und fährt als 4:2-Sieger zurück ins Saarland. Das verwöhnte Publikum wird ungeduldig und fordert lautstark "Heynckes raus". Am 5. Oktober wird Volkes Wille erhört. Nachdem die Stuttgarter Kickers mit 4:1 in München triumphieren, ist Heynckes Zeit in München abgelaufen. Uli Hoeneß verliert die Geduld ob der nicht enden wollenden Krise und setzt seinen Freund Heynckes vor die Tür. Wirklich überzeugt ist Hoeneß von dieser Entscheidung nicht, aber der öffentliche Druck verleitet ihn dann doch dazu. Inzwischen bezeichnet Hoeneß diese Entlassung als den größten Fehler, den er als Bayern-Manager gemacht hat. Jahre später kehrt Heynckes zurück und gewinnt mit den Bayern das Triple.
1991 sind die Bayern davon weit entfernt und erlebten eine ihrer dunkelsten europäischen Momente. In der zweiten Runde des Uefa-Cups führt sie das Los zum unscheinbaren BK 1903 Kopenhagen, der kurz darauf im neu gegründeten FC Kopenhagen aufgehen sollte. Die Dänen demontierten die Bayern mit 6:2 und machten damit schon im Hinspiel alles klar. Damit war der Zauber des neuen Trainers schon kurz nach dessen Dienstantritt verflogen.
Sören Lerby, Däne und Bayerns Mittelfeldmotor in den Achtzigern, kommt als erklärter Wunschkandidat des Vereins nach München, um das Team aus dem Schlamassel zu ziehen. Stattdessen wird alles nur schlimmer. Lerby, gerade mal 33 Jahre alt und noch ohne jede Erfahrung als Trainer, will die gerade in Mode gekommene Viererkette einführen. Dumm nur, dass keiner der Spieler zuvor dieses System gespielt hat. Die Spieler will Lerby an der langen Leine lassen, was den Mangel an Disziplin allerdings nur noch verschärft. Vor allem Stefan Effenberg macht sich wenig Freunde. Der damals 23-Jährige versteht sich selbst als Führungsspieler, ist aber viel zu ungestüm, zu überheblich und zu unerfahren, um diesem Anspruch tatsächlich gerecht zu werden. Auch die Torwartposition macht Lerby Kopfschmerzen. Nachdem sich Raimond Aumann das Kreuzband reißt, geben sich die Keeper die Klinke in die Hand. Zunächst wird Aumann von Ersatzmann Gerald Hillringhaus vertreten, dann übernimmt der spontan verpflichtete Toni Schumacher und schließlich darf auch die Nachwuchskraft Uwe Gospodarek einmal ran. Wirklich überzeugen kann keiner, doch immerhin lenkt Schumacher mit seinem plötzlichen Comeback in Deutschland die mediale Aufmerksamkeit kurzzeitig auf sich.
Nachdem sich der Rummel um Schumacher gelichtet hat, wird schnell klar, dass Lerby nicht als Retter taugt. Zwischenzeitlich rangieren die Bayern nur zwei Punkte vor einem Abstiegsplatz und müssen sich ernste Sorgen machen. Von 15 Bundesligaspielen kann Lerby nur vier gewinnen, stattdessen gibt es böse Ausrutscher gegen Dortmund und Dresden, in Rostock und in Kaiserslautern. Das 0:4 am 7. März 1992 auf dem Betzenberg ist Lerbys letzter Auftritt als Coach. Ein paar Tage später ist er arbeitslos und wurde seitdem nicht mehr auf einer Trainerbank gesehen.
Erich Ribbeck übernimmt. Der hatte seine Laufbahn als Trainer eigentlich schon beendet und als Repräsentant von Bayern-Sponsor Opel ein passables Auskommen. Über die kurze Leitung zwischen Sponsor und Verein rutscht Ribbeck schließlich ins Amt und versucht zu retten, was zu retten ist. Rückblickend klingen manche Bayern-Spieler wenig begeistert.
Roland Grahammer erinnert sich daran, dass "wir viel zu wenig trainiert haben". Auch Manfred Bender hat nicht den besten Eindruck gewonnen: "Ribbeck hat gute Laune verbreitet und gelächelt, aber hintenrum hat er dich abgesägt." Nicht nur Bender wird abgesägt, auch Effenberg, Brian Laudrup und Thomas Strunz sortiert Ribbeck aus. Immerhin kann Ribbeck die Abstiegsangst bannen und belegt am Ende einen zehnten Platz. Das Ende eines langen Schreckens.
Heinrich Paul