Thomas Häßler, Welt- und Europameister, ist seit diesem Sommer Trainer beim Berliner Bezirksligisten Club Italia und "mit Herzblut dabei". Langfristig will er den Verein von der achten bis in die Dritte Liga führen.
Für einen kurzen Moment war es wie früher, als sich Thomas Häßler und Pal Dardai als Spieler auf dem Platz gegenüberstanden. Vor dem Anpfiff des Testspiels von Hertha BSC gegen Club Italia 80 schubste Häßler seinen Trainerkollegen scherzhaft zur Seite, nachdem Dardai ihm etwas ins Ohr geflüstert hatte. "Das war bestimmt nichts Schlimmes, der ist ja größer als ich", sagte der 1,66 Meter kleine Häßler hinterher augenzwinkernd.
Die klare 0:12-Niederlage seines Teams gegen den Fußball-Bundesligisten im Hertha-Amateurstadion hatte dem Welt- und Europameister die Laune nicht verdorben. "Icke" hat mit Club Italia andere Ziele, als in einem Freundschaftsspiel den größten Verein der Hauptstadt zu ärgern. Er will den Bezirksligisten nach oben führen, langfristig sogar bis in die Dritte Liga. Das Spiel gegen Hertha vor 1.050 Zuschauern nahm er daher nicht ganz so ernst.
"Die Jungs sollten Spaß haben und Erfahrungen sammeln", sagte der 50-Jährige. Er hofft, dass sich vor allem eine Erkenntnis im Kopf der Spieler festgesetzt hat: "Bei uns ist das so: Wir spielen den Ball und bleiben stehen. Die Herthaner spielen den Ball und gehen gleich hinterher. Das sind Automatismen, die muss meine Mannschaft erst noch lernen."
Und daran arbeitet Häßler hart. Wer glaubt, die Verpflichtung des früheren Weltklasse-Fußballers sei ein Werbegag des Clubs, der sah sich schon beim ersten Training in diesem Sommer getäuscht. "Er ist mit sehr viel Herzblut dabei", berichtet Abwehrspieler Marius Röder. Sein berühmter Trainer versuche, "sehr viel Professionalität mit reinzubringen. Hohe Intensität, viele Zweikämpfe, viel mit dem Ball". Auch Mittelfeldspieler Mahmud Zaher schwärmt vom Trainer Häßler: "Wir waren noch nie so stark und fit wie jetzt."
Sein Team spielt guten Fußball
Den Spieler Häßler musste sich Zaher erst mal im Internet anschauen, als der Transfercoup bekannt geworden war. Mit 21 Jahren ist er noch zu jung, um sich an dessen Heldentaten zu erinnern. "Ich habe auf Youtube seinen Namen eingegeben und dort seine Tore gesehen, das war schon beeindruckend", sagt Zaher. Darauf ansprechen würde er ihn aber nicht, denn: "Mein Trainer erzählt nicht so gerne von früher, er möchte nicht hochnäsig rüberkommen. Das ist er auch überhaupt nicht, sondern sehr bodenständig." Häßler ist froh, dass seine Arbeit wieder geschätzt wird. Er war Co-Trainer beim 1. FC Köln, bei der nigerianischen Nationalmannschaft und beim iranischen Erstligisten Padideh Maschad, doch zuletzt war er ein dreiviertel Jahr arbeitslos.
Auf ein Angebot aus dem Profifußball wollte Häßler nicht mehr warten, also wagte er einen Neuanfang bei einem ambitionierten Amateurclub. "Ich habe eine Beschäftigung und starre nicht nur die Wände an", erklärt Häßler seine Entscheidung.
Statt sich sonntags auf der Couch die Bundesliga im Fernsehen anzuschauen, steht der 101-malige Nationalspieler nun an der Seitenlinie, wenn es in der Achten Liga gegen Teams wie FSV Hansa 07 oder SV Stern Britz geht. Der Saisonstart war vielversprechend, Italia 80 steht mit an der Tabellenspitze. Das Team spielt einen technisch guten Fußball, der Doppelpass ist häufiger zu sehen als der lange Befreiungsschlag. Klar, der Trainer heißt ja auch Thomas Häßler. Die Spiele verfolgt er meist schweigend an der Seitenlinie, die Arme vor der Brust verschränkt. Brüllt Häßler doch mal Anweisungen ins Feld, sind sie kurz und präzise. "Er ist eine richtige Respektsperson. Wenn er etwas sagt, dann glauben wir ihm auch", sagt Zaher.
Und Häßler, der fast sein ganzes Leben im Fußballgeschäft verbracht hat, erlebt in der Amateurliga sogar noch etwas Neues. Bei seinem Heimdebüt am zweiten Spieltag kamen die Verantwortlichen des VfB Hermsdorf II auf ihn zu und baten um den Abbruch der Partie. Der Grund? Die Überlegenheit des Häßler-Teams. "Das habe ich ja noch nie erlebt, die traten nur mit zehn Mann an, und der Ersatztorwart war da schon als Spieler dabei", sagt Häßler kopfschüttelnd. "Trotzdem muss man bis zur Halbzeit erst mal sieben Tore machen." Den Aufstieg will er den Fans aber noch nicht versprechen. "Wir sind auf einem guten Weg", sagt er, "aber in den nächsten Wochen wird sich erst zeigen, wie weit wir wirklich sind."
Von seinen Spielern ist Häßler begeistert. "Sie sind lernwillig und fleißig", sagt er. Die Arbeit mit ihnen mache "unheimlich viel Spaß, vor allem wenn man bedenkt, dass sie tagsüber acht, zehn Stunden arbeiten und danach beim Training noch mal zwei Stunden Vollgas geben. Da muss ich ehrlich den Hut vor ziehen". Seine tägliche Arbeit mit den Amateuren habe ihn Demut gelehrt im Vergleich zu seiner Zeit als Aktiver: "So ein Profi, der nur zwei Stunden am Tag trainiert und ansonsten den ganzen Tag freihat das ist schon ein kleiner Unterschied."
Kurz bevor er sein Traineramt antrat, war er auch im Fernsehen präsent. In der Show "Ewige Helden" des TV-Senders Vox trat er in den sportlichen Wettstreit mit anderen ehemaligen Athleten wie Doppel-Olympiasiegerin Britta Steffen oder Diskus-Riese Lars Riedel. Bei "Lets Dance" machte der frühere Dribbel-Künstler als Tänzer eine eher mäßige Figur. "Das muss mehr Bums haben", kritisierte der strenge Juror Joachim Lambi. "Nimm die Handbremse raus!"
Auf dem Fußballplatz fühlt sich Häßler deutlich wohler als auf dem Tanzparkett. Und wenn der frühere Mittelfeldstar im Training mal selbst mitmischt, weil ein Spieler fehlt oder er Übungen näher erklären will, dann ist er voll in seinem Element. "Natürlich ist er ein bisschen älter geworden. Aber Freistöße treten kann er noch wie damals in der Nationalmannschaft", schwärmt sein Spieler Röder. "Das ist wie Fahrradfahren, das verlernt man nicht", sagt Häßler selbst. Könnte er da nicht auch noch in einem Ligaspiel mitkicken? "Ich habe gefragt, aber die wollen mir kein Trikot geben", scherzt Häßler.
Freistöße kann er noch wie früher
Nein, auf ein Comeback würde er sich nicht ernsthaft einlassen. Zu groß ist die Fallhöhe. Häßler war Weltmeister 1990, sechs Jahre später Europameister. Er gewann bei Olympia 1988 die Bronzemedaille, er wurde mit dem 1. FC Köln zweimal Vizemeister und zweimal zu Deutschlands Fußballer des Jahres gewählt. Juventus Turin waren Häßlers Dienste nach der WM 1990 eine für damalige Verhältnisse sagenhafte Ablöse von 15 Millionen Euro wert. Der AS Rom überwies ein Jahr später die gleiche Summe an Juve, damit "Icke" bei ihnen den Gegenspielern Knoten in die Beine dribbelte.
Seine Zeit als Italien-Legionär ist für seinen Job bei Club Italia sicher nicht hinderlich. Mit Häßler können sich die Fans identifizieren, und dass der frühere Weltstar den Club in der öffentlichen Wahrnehmung auf ein anderes Niveau hebt, ist ein angenehmer Nebeneffekt. "Seit Thomas Häßler da ist, ist auch eine ganz andere Stimmung im Verein", erzählt Mittelfeldspieler Zaher: "Es kommen viel mehr Zuschauer, und die Presse ist viel öfter da. Er hat eine schöne Atmosphäre bei Club Italia geschaffen." In der Mannschaft wollen alle ihrem berühmten Trainer gerecht werden: "Es sind viel mehr Leute beim Training, wir geben mehr Gas."
Häßler hat sogar einen Ronaldo in seinen Reihen. Zwar keinen Cristiano Ronaldo und auch keinen Brasilien-Ronaldo, aber Mittelfeldspieler Ronaldo Melo Cavalcante hat es ihm trotzdem angetan. "Der wollte immer den Ball haben, auch wenn er mal Fehler gemacht hat. Das will ich sehen", schwärmte Häßler nach dem Testspiel gegen Hertha über das 19 Jahre alte Talent.
Sogar einen Ronaldo hat "Icke" in
seinem Team
Der Star bei dem Testkick war aber er selbst. "Icke, Icke", riefen die Zuschauer immer wieder von den Rängen. Häßler musste fast mehr Autogramme schreiben und Handy-Fotos machen als die Hertha-Profis. Keine Frage: Häßler ist noch immer Fußball-Kult, auch wenn er mittlerweile in der Achten Liga abgetaucht ist. Frust, nicht mehr im ganz großen Rampenlicht zu stehen, schiebt Häßler nicht. "Er mag Club Italia, das ist wie eine kleine Familie für ihn", sagt Zaher. Sein Trainer habe sich bestens eingelebt: "Er ist cool drauf, das hätte ich gar nicht gedacht." Das bestätigt auch Teamkollege Röder: "Er ist super sympathisch, immer für ein Späßchen gut. Aber er hat auch hohe Ansprüche, er will seine Ziele erreichen." Sein Ziel mit Club Italia 80 lautet Dritte Liga. Irgendwann. Hauptsache, keine Wände mehr anstarren.
Jörg Soldwisch