Nach der Niederlage des Davis-Cup-Teams steht Boris Becker als Berater für Murray-Schreck Mischa und Federer-Bezwinger Alexander Zverev bereit. Auf ihnen ruhen die Hoffnungen im Herren-Tennis.
Wann gehe ich nach vorne?", fragt sich "Sascha" Zverev noch häufig, wenn es um die entscheidenden Punkte geht. Der große Bruder Mischa gibt der neuen deutschen Nummer eins aus seiner Erfahrung Tipps. Der 29-Jährige spielt Volleys von überall sicher, so wie bei seinem Retro-Serve-and-Volley-Auftritt bei den Australian Open, mit dem er die Nummer eins Andy Murray im Achtelfinale aus dem Grand-Slam-Turnier warf.
Großbritannien war geschockt. Sir Andy, der Held von Wimbledon, der der stolzen Tennis-Nation nach 77 Jahren endlich wieder zu einem Titel auf dem Heiligen Rasen verholfen hatte, flog in hohem Bogen aus dem Grand Slam von Melbourne. Im Achtelfinale, so früh, wie seit acht Jahren nicht mehr. Seinem Gegner, der nach harten Aufschlägen sofort ans Netz vorrückte, hatte er einfach nichts entgegenzusetzen. Einem Gegner, der drei Jahre zuvor noch außerhalb der Top-Tausend der Weltrangliste gestanden hatte.
Nach dem Sieg über Murray hatte sich Mischa Zverev, der große Bruder des deutschen Hoffnungsträgers Alexander, auf Rang 35 der besten Tennisspieler der Welt vorgearbeitet. So weit nach vorne war der 29-Jährige, der schon als Vierjähriger von seinem Vater auf eine Weltkarriere vorbereitet worden war, noch nie gekommen. Zu viel Druck, zu viele Verletzungen alles zu viel für den Feinhänder mit dem intelligenten Spiel, der erst in diesem späten Stadium seiner Laufbahn ausreichend Power und Nerven zugleich mitbringt, um seine Gegner nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Beispielsweise Murray, dem die Spieltaktik der 80er- und 90er-Jahre reichlich zu schaffen machte. Anders jedoch Roger Federer, der sich als Ü-30-Spieler eine Strategie zurechtgelegt hatte, mit der er nicht nur Mischa im Viertelfinale schlug, sondern schließlich auch noch die Australian Open gewann.
Erst vom zweiten Finalisten von Melbourne war Alexander "Sascha" Zverev im ersten Grand Slam des Jahres gestoppt worden. Rafael Nadal schaffte es mit seiner Erfahrung nach einem erbitterten Fünfsatz-Kampf im Achtelfinale, den kraftvollen 19-Jährigen, die Nummer 22 der Welt, zu schlagen. Im Hopman-Cup hatte Sascha in Vorfeld in Perth bereits zum zweiten Mal Federer besiegt.
Zwei deutsche Brüder im Achtelfinale von Melbourne und darüber hinaus, während Murray, Djokovic und Co. die Koffer packten, kein Amerikaner mehr im Turnier war: Ein Märchen, von dem das lange mittelmäßige, deutsche Herrentennis kaum mehr zu träumen gewagt hatte.
Ausgangspunkt für viele Hoffnungen zum weiteren Tennisjahr und darüber hinaus, mit dem Startpunkt Davis Cup. Einem wunden Punkt für den deutschen Tennisbund (DTB), gerade mit Blick auf die Zverev-Brüder. Die hatten nach Meinung mancher Kritiker und Fans wegen individueller Befindlichkeiten das deutsche Team im vergangenen Jahr hängen lassen, als es um den Verbleib in der Weltklasse ging. Hätte nicht Jan-Lennard Struff mit einem beherzten Einzel den Erhalt der Einstufung gerettet, wäre keine deutsche Mannschaft am ersten Februarwochenende in Frankfurt im Achtelfinale gegen Belgien angetreten. So aber durfte der DTB nach der Absage des Weltranglisten-Elften David Goffin mit einem lockeren Sieg der Deutschen rechnen, die erstmals in der über hundert Jahre alten Davis-Cup-Geschichte mit einem starken Brüderpaar als Kern der Mannschaft antraten.
Ein schöner Traum, der an den Unwägbarkeiten des Davis Cups, wie einer unerwartet starken belgischen Mannschaft, einem anders als geplant wirkenden Boden, nachlassenden Nerven und Kräften und nicht zuletzt am unzureichenden Zusammenspiel der Brüder im Doppel scheiterte. Aus den zwei sehr unterschiedlichen Einzeldarstellern Mischa und Sascha wurden nur aufgrund ihrer nahen Verwandtschaft nicht ohne Anlauf so eingeschworen agierende Doppelspieler, wie die amerikanischen Zwillinge Bob und Mike Bryan. Auch wenn ihre Unterschiede sich theoretisch gut ergänzen würden: Linkshänder und Volley-Spezialist der Ältere, Rechtshänder, Power-Aufschläger und Krafttennisspieler von der Grundlinie der Jüngere.
Enttäuschung
gegen Belgien
In Frankfurt kam es am ersten Februarwochenende anders: "Jeder Sport muss erst einmal gespielt werden, und wer auf dem Papier Favorit ist, ist noch nicht der sichere Sieger", sagte weise Boris Becker beim "Ball des Sports" in Wiesbaden ins ZDF-Mikro hinein. Sascha Zverev stand zunächst nicht oft genug vorne und ließ den ausgebufften Belgiern zu viele Chancen. Im zweiten Satz spielte der 19-Jährige seine Qualitäten sichtbarer aus. Ordentlich Dampf auf dem Return, damit die besser aufeinander eingespielten belgischen Kämpfer Ruben Bemelmans (29) und Joris De Loore (22) vorne immer wieder zu spät waren. "In den ersten beiden Sätzen wussten sie genau, was sie machen müssen, und wir hatten noch unsere Probleme", gestand Sascha ein. "In den letzten Sätzen hat man gesehen, dass wir die besseren Spieler sind, aber es ist immer schwer, einen 0:2-Satzrückstand aufzuholen."
Mischa machte es den Belgiern mit seinen Aufschlägen leichter als die 218-Kilometer-pro-Stunde-Kracher seines Bruders. Aber im dritten Satz, als es gerade mal wieder eng wurde, kam von ihm ein toller Volley. Sascha wurde da zum Motivator von Mischa, der den Kopf etwas hängen ließ. So wie sich die beiden Brüder in ihrer Karriere immer wieder gegenseitig aufbauten und wieder zurückkamen. "Erst half Mischa seinem Bruder, sich im großen Tennis zurechtzufinden. Und dann rettete er ihm seine Karriere. Das ist schon eine Wahnsinnsstory", sagte dazu Becker, dem seine Begeisterung über die Brüder während der Australian Open anzumerken war.
Doch das historische Davis-Cup-Doppel war, von einzelnen Highlights und Hoffnungsschimmern abgesehen, über lange Phasen Zeit zum Haareraufen. Das Nervenkostüm von Mitspielern und Zuschauern wurde auf eine harte Probe gestellt. Davis Cup pur. Im dritten Satz beim 4:3 war die Doppelarbeit der Brüder endlich wirklich zu einem Zusammenspiel geworden. Starke Returns von Sascha. Dann konnte Mischa vorne gut arbeiten, schließlich auch Sascha. Euphorie beim Gewinn des dritten und vierten Satzes. Im fünften Satz jedoch kamen sie gegen den starken Beneman nicht mehr an. Joris de Loore, Spitzname "Big Ko", kommentierte die Szenerie respektvoll: "Das Momentum hat zu uns gewechselt."
Schon bald hatte sich Boris Becker während des Matches direkt zum deutschen Team gesetzt. Eine symbolische Stärkung, die vielleicht nach dem Rücktritt von Niki Pilic als Berater der deutschen Davis-Cup-Mannschaft ausbaubar ist. Boris könnte sich das vorstellen, da sei etwas "in der Mache", bestätigte Becker am Abend des Doppels dem ZDF. Reizvoll wäre sicher auch eine Beraterrolle Beckers nur für das Team Zverev, in dem Papa Alexander trainermäßig den Ton angibt.
Becker soll beim Neuanfang helfen
Boris, mit seiner Spieler- und Beratererfahrung als Ex-Coach von Novak Djokovic, könnte den beiden Hoffnungsträgern einiges liefern. Und nicht nur ihnen, wenn er auf der Gehaltsliste des DTB stehen und parallel zu seiner Expertenrolle bei Eurosport bei den Großen Turnieren die deutschen Topspieler dort beraten würde, wo er eh als Kommentator hinreist. "Wenn er Lust dazu hat, wäre das sehr, sehr schön", vermeldete Sascha, der ihn bei einem derartigen Arrangement "mit offenen Armen aufnehmen würde".
Dann bekämen die Zverev-Brüder notwendige Spezialisten-Tipps für spezielle Umschwung-Momente von Hui auf Pfui. Ein Ass Saschas mit 223 Kilometer pro Stunde beim Aufschlag der Belgier Steve Darcis, der für manche Coups bekannt und gefürchtet ist, hatte zu Beginn des Einzels am dritten Davis-Cup-Tag, an dem es um den Einzug ins Viertelfinale ging, Sascha Zverev zunächst nicht viel entgegenzusetzen. Return zur Hoffnung, obwohl das deutsche Team zu diesem Zeitpunkt mit 1:2 Matchgewinnen zurücklag. Auch Saschas gute Returns brachten seine Mannschaft neben seinen temporeichen Aufschlägen zunächst wieder nach vorne.
Doch im zweiten Satz verunsicherten Zverev die gut platzierten, schwebeteilchenartigen Slices des 32-jährigen Belgiers. Die Führung war futsch. Dann auch noch eine 4:6-Niederlage im dritten Satz, in dem Sascha nicht genügend Druck aufbauen konnte. Mit dem Raum vorne am Netz, die ihm die Nummer 86 der Weltrangliste nachfolgend gerne aufdrängte, bekam der jüngere Zverev Probleme konstant vorne zu sein, ist einfach noch nicht sein Ding. Zumal Darcis während seiner schwachen ersten eineinhalb Sätze darauf wartete, dass Saschas Aufschlagstärke im Laufe der Partie nachlässt. Ein zutiefst trauriger Papa Alexander Zverev blickte unter seiner hoffnungsfroh-blauen Kappe hervor, nach der 1:3-Niederlage des deutschen Davis-Cup-Teams. Nachdem das historisch erste Brüder-Antreten eigentlich Zukunftseuphorie ins deutsche Herrentennis hätte bringen sollen.
Darcis konstatierte den Teamgeist der Belgier als entscheidenden Unterschied zu einer Mannschaft der Individualisten auf deutscher Seite. "Es sind so gute Spieler. Aber ich denke, sie spielen ein bisschen zu viel für sich selbst."
Zwei Brüder auf dem Weg nach oben. Noch klappt nicht alles. Weder für sie individuell, noch weniger für zwei Zverevs im Team. Bei ihrem ersten gemeinsamen Auftreten im Davis Cup konnten die zwei nicht alles richten, was in den vergangenen Jahren im Davis Cup schlecht gelaufen war. Zwei Brüder, doch auch sie sind im Doppel noch nicht optimal abgestimmt.
Dass die Deutschen im Davis Cup und im Fedcup noch deutlichen Nachholbedarf im Doppeltraining haben, wurde auch hier wieder deutlich. Aufeinander einspielen und warmlaufen erst während des Turniers reichen nicht, bei einer Disziplin, die international punktet. Immerhin: "Tennis kann sich in Deutschland wieder sehen lassen", kommentierte Becker beim Ball des Sports. Seine Lust, wieder aktiv mitzumischen, war in Frankfurt nicht zu übersehen. Dann sind die Turniere vielleicht auch wieder öfter im Fernsehen zu sehen und nicht nur im Sparten-Streaming, so wie die Davis-Cup-Einzel aus der Fraport-Arena.
Annegret Handel-Kempf