Ein Jahr lang war der Posten des Sportdirektors beim FC Bayern vakant. Nach zahlreichen Spekulationen wurde Hasan Salihamidzic präsentiert. Welche genauen Aufgaben er nun hat und wohin die Reise mit dem 40-Jährigen geht, wird vor allem die kommende Saison zeigen.
Weißes Hemd, schwarze Hose, ordentliche Schuhe: Nach zehn Jahren kehrt Hasan Salihamidzic in ungewohnter Kleidung auf die Bank des FC Bayern München zurück. Gleich bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in seiner neuen Position des Sportdirektors konnten die Zuschauer zumindest erahnen, in welche Richtung es am Spielfeldrand gehen wird. "Brazzo" gab sich vor allem beim Elfmeterschießen emotional, jubelte und nahm Verantwortliche und Spieler in seine Arme. An Präsenz mangelte es dem ehemaligen Profi an der Seitenlinie jedenfalls nicht. Tags darauf merkt "Brazzo" an: "Ich war an der Linie wirklich voll dabei. So bin ich. Das gehört dazu und das zeigt, wie viel Herzblut ich in die Arbeit gebe". Damit zeigte er schon mehr Emotionen als der sonst so ruhige, Kaugummi kauende Trainer Carlo Ancelotti.
Gegenpol zu Trainer Carlo Ancelotti
So locker und so lustig wie Salihamidzic sich in den Interviews gibt, so scheint er gegenüber den Spielern aber eine andere Sprache zu sprechen. Dem "Kicker" zufolge hat der 40-Jährige die beliebten Trips ins Ausland an freien Tagen komplett gestrichen, die Kabine wird von den Profis nun selbst gereinigt. Wo die Reise für "Brazzo" diese Saison hingeht, ob er ein Lautsprecher und Mahner sein kann, wenn es mal nicht läuft, oder ob er sich eher zurückhaltend gibt und Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß in der Öffentlichkeit den Vortritt lässt, wird sich diese Saison zeigen. Ebenso, welche Kompetenzen das Führungsgespann um Rummenigge und Hoeneß dem ehemaligen Bayern-Profi überträgt.
Die geplante Verpflichtung von Philipp Lahm als Sportdirektor war nämlich genau daran gescheitert. "Generell kann man nur Dinge rund um die Mannschaft beeinflussen, wenn man die Verantwortung hat", hatte Lahm damals erklärt: "Ich glaube, dass Uli Hoeneß noch zu tatkräftig ist, um loszulassen. Zu jung. Er will die Dinge selbst beeinflussen. Und das ist auch sein gutes Recht, er ist Aufsichtsratsvorsitzender und hat Unglaubliches für den Klub geleistet"
Nerlinger bberbte Uli Hoeneß 2009
Es darf zumindest vermutet werden, dass Salihamidzic aufgrund seiner Unerfahrenheit von den großen Jungs der Führungsetage angelernt wird. Der ehemalige Meistertrainer Ottmar Hitzfeld ist davon überzeugt, dass Salihamidzic trotz fehlender Erfahrung die richtige Wahl für den Sportdirektor-Posten beim deutschen Fußball-Rekordmeister Bayern München ist. "Lahm hätte auch keine Erfahrung als Sportdirektor gehabt, dafür wurde Bayern nicht kritisiert. Hasan hatte ja auch zehn Jahre Abstand zum FC Bayern und ist schon lange nicht mehr Spieler. Daher funktioniert das", sagte Hitzfeld in einem Interview.
Viele Vorgänger hat "Brazzo" derweil nicht. Die Ehre, den Sportdirektor-Posten des FC Bayern München zu bekleiden, wurde nur wenigen zuteil. Der Club besetzte den Aufgabenbereich eines Managers erstmals 1965 nach dem Aufstieg in die Bundesliga. Robert Schwan ( 80) hatte den Posten elf Jahre lang inne, führte den FC Bayern zu seinen ersten Meisterschaften und in den 70er-Jahren dreimal in Folge zum Landesmeistertitel. 1977 musste Schwan gehen, weil er als persönlicher Berater von Franz Beckenbauer dessen Wechsel zu Cosmos New York eingefädelt hatte. Geschäftsführer Walter Fembeck (1957 bis 1983), der 1964 dem Lokalrivalen 1860 München Gerd Müller wegschnappte, entließ Schwan und übernahm für eineinhalb Jahre den Managerposten. Bis 1979 Uli Hoeneß kam.
Der Österreicher zog sich wieder zurück und blieb noch vier Jahre Geschäftsführer im Hintergrund. Im Vordergrund stand von da an Ex-Profi Hoeneß, der seine Karriere mit 27 Jahren aufgrund eines Knorpelschadens beenden musste. Der ehemalige Mittelfeldakteur und Weltmeister von 1974 führte den Klub in die Moderne und an die Spitze des internationalen Fußballs. Dabei überzeugte Hoeneß nicht nur durch sportliche, sondern auch wirtschaftliche Kompetenz
Mönchengladbachs Max Eberl sagte ab
2009 zog sich Hoeneß nach 16 Meisterschaften, neun Pokalsiegen sowie je einem Champions-League-, Weltpokal- und Uefa-Cup-Sieg von der Bayern-Bank zurück und führte den Club ab November als Präsident. Sein Nachfolger wurde mit Christian Nerlinger wieder ein ehemaliger Profi, der zuvor bereits ein Jahr als Teammanager für die Münchner gearbeitet hatte. Der gebürtige Dortmunder, dessen Vater schon beim FC Bayern spielte, brachte es zwischen 1993 und 1998 auf 207 Pflichteinsätze für den Rekordmeister, holte zwei Meisterschaften, den DFB-Pokal und den Uefa Cup. Nerlinger bleibt der Unvollendete, weil unter seiner Führung 2012 das "Finale dahoam" im Elfmeterschießen gegen den FC Chelsea verloren wurde. Wenige Wochen später war er seinen Job los. Nachfolger wurde überraschend Matthias Sammer, der zuvor sechs Jahre lang als DFB-Sportdirektor die Geschicke des Verbandes steuerte.
2013 holte der FC Bayern unter Trainer Jupp Heynckes und Sportdirektor Sammer das Triple. Mit Pep Guardiola (FC Barcelona) als Heynckes-Nachfolger gelang Sammer ein Transfer-Coup auf der Trainer-Position. Es sollte der große Wurf an Europas Spitze sein. Doch das Projekt scheiterte international. Guardiola, der in drei Jahren sieben nationale Titel holte, erfüllte die großen Erwartungen in der Champions League nicht. Im Sommer 2016 ging nicht nur Guardiola, der seinen Vertrag nicht verlängerte, sondern auch Sammer. Der hatte zuvor noch die Rückkehr von Mats Hummels und die Verpflichtung von Carlo Ancelotti eingefädelt und den Verein dann um Vertragsauflösung gebeten. Am 10. Juli gab der Club die Demission Sammers bekannt und stellte am nächsten Tag den Italiener als Guardiola-Nachfolger vor.
Nachdem die Position jetzt also über ein Jahr nicht besetzt war, nachdem Philipp Lahm ablehnte und auch Max Eberl nicht aus Mönchengladbach zu den Bayern wollte, wurde der ehemalige Mittelfeldmotor "Brazzo" vorgestellt. Er reiht sich ein in die kleine Liste der Sportdirektoren. Ob er es schafft, sich nachhaltig auf der Position zu etablieren, wird vor allem mit dem internationalen Auftreten der Mannschaft zusammenhängen.
National können sich die Bayern wie wahrscheinlich in jedem der vergangenen Jahre nur selbst schlagen. Mit seinem Trainer Carlo Ancelotti ist er derweil auf Kuschelkurs. Salihamidzic lobte ihn in höchsten Tönen: "Ich habe ein super Gefühl mit Carlo. Er stellt die Mannschaft richtig ein. Er kitzelt aus den Spielern ihren Charakter raus. Es macht wirklich großen Spaß, mit ihm zusammenzuarbeiten". Die Spieler kitzeln will der Sportdirektor wohl auch selbst, wie die Zuschauer beim Supercup verfolgen konnten. Ob einem Hasan Salihamidzic von den Bayern-Verantwortlichen zugetraut wird, den Welttrainer Carlo Ancelotti in einer schlechten Phase auch mal öffentlich anzuzählen, bleibt dagegen zu bezweifeln.
Diese Verpflichtung wirkt für viele so, als hätten sich "KHR" und Hoeneß einen Sportdirektor in den Bayern-Stall geholt, der ihnen aus der Hand frisst. Einen Frühstücksdirektor sozusagen. Dass der 40-Jährige nicht die Wunschlösung war, ist allen Beteiligten klar. Dennoch sollt die breite Öffentlichkeit "Brazzo" nicht unterschätzen. Er kennt den Verein in- und auswendig, verkörpert das so wichtige Münchner "Mia san mia"-Gefühl und feierte mit den Bayern seine größten Erfolge als Spieler. Bei genauerem Betrachten macht diese Verpflichtung also doch mehr Sinn, als zunächst erwartet.
Für Hoeneß gilt stets das Credo: "Bevor Verantwortungen und Kompetenzen übertragen werden, muss innerhalb des Vereins erst etwas geliefert werden". Auf dem Platz hat Hasan Salihamidzic diese Aufgabe mit Bravour bestanden. Um die Bayern-Bosse als Sportdirektor zu überzeugen, werden andere Fähigkeiten gefragt sein. Den nötigen Fleiß und Ehrgeiz bringt er jedenfalls mit, den nötigen Stallgeruch auch. Außerdem wird es "Brazzo" nicht schaden, sich zuerst einige Dinge von Uli Hoeneß oder Karl-Heinz Rummenigge abzuschauen, denn wirtschaftlich gibt es wahrscheinlich keinen gesünderen Verein als den FC Bayern München.