Nach erfolgreicher Saison mit schwachem Abschluss will Hertha BSC zum Start der Bundesliga 2016/17 gegen den SC Freiburg den Negativtrend beenden.
Als Hertha BSC im März nach zwei gewonnenen Heimspielen gegen Schalke und Ingolstadt sein Punktekonto auf 48 Zähler erhöhte, schien sogar die Champions League möglich. Sicher schien Fans und Experten dagegen, dass die "Alte Dame" noch in der Spielzeit 2015/16 die Marke von 1.500 Bundesligapunkten knacken würde. Schließlich fehlten dazu nur noch vier Zähler aus sieben Spielen. Doch dann kam alles anders: die Blau-Weißen holten lediglich noch zwei Unentschieden und verpassten damit nicht nur die historische Marke, sondern schlussendlich auch den internationalen Wettbewerb.
So will man nun zumindest zum Ligastart 2016/17 die 1.500 Punkte gleich in Angriff nehmen mit einem Sieg zum Auftakt. Auf dem Papier stehen die Chancen dafür nicht schlecht, denn Hertha empfängt den Aufsteiger aus Freiburg (Sonntag, 15.30 Uhr). Doch in der Liga schlossen die Berliner die vergangene Saison mit sieben Partien ohne Sieg ab. Eine Serie, die von der Mannschaft als Ballast mit in die neue Spielzeit genommen wird. Ein Erfolgserlebnis gleich zu Beginn wäre also extrem wichtig, um den Negativtrend zu beenden.
Ungewohnt deutliche Kritik vom Trainer
Obwohl Pal Dardai seine Schützlinge in der Vorbereitung schon weiter sah als im vergangenen Jahr, haben deren Leistungen zuletzt im Umfeld für Verunsicherung gesorgt. Der Hertha-Trainer kritisierte sein Team nach dem Quali-Aus in der Europa League ungewohnt deutlich, auch im DFB-Pokal streifte man nur haarscharf an einer Blamage vorbei. Dazu stellte Dardai ebenso ungewohnt quasi seine gesamte Stammelf zur Disposition. Schließlich bevorzugte der Ungar bisher immer eine Grundformation, mit der er durch die Saison ging.
So kritisierte Dardai etwa, dass im Angriff eigentlich nur Vedad Ibisevic trifft. Der neue Kapitän gehörte beim Testspiel gegen Al-Jazira zu den wenigen Spielern, die nach der Bröndby-Pleite draußen bleiben durften und nicht mussten. In Abwesenheit des Torjägers trafen da zwar Julian Schieber und Genki Haraguchi, ansonsten war aber tatsächlich nur Ibisevic für das Toreschießen in der Vorbereitung zuständig. Dazu offenbarte die Defensive immer wieder Schwächen nicht nur beim 1:3 in Kopenhagen, sondern auch in den Tests gegen Alkmaar (0:3), Al-Jazira (3:2) oder Neapel (1:4). Zum Teil haarsträubende individuelle Fehler, aber auch generelle Abstimmungsprobleme begünstigten die Gegentreffer. Der "zweite Anzug" machte da gegen den Club aus Abu Dhabi keine Ausnahme, als Niklas Stark vor dem 1:1 ein Rückpass misslang und Neuzugang Allan einen Elfmeter verursachte.
Nach dem Intermezzo von Thomas Kraft als Torwart beim Rückspiel gegen Bröndby kehrte Rune Jarstein wieder als Nummer eins zwischen die Pfosten zurück und musste auch gegen Neapel wieder mit dem Kopf schütteln. Auch über sich selbst, denn der Norweger war maßgeblich am zwischenzeitlichen 1:3 mitbeteiligt. Da nutzte auch die Führung durch wen sonst Ibisevic nichts, am Ende wurde Herthas Hintermannschaft von den Italienern durcheinandergewirbelt, und die Köpfe hingen nach den Gegentoren wieder ganz schön unten.
Pal Dardai wird seine Stammformation im Hinblick auf das erste Bundesligaspiel also wohl doch nicht groß ändern (können), sondern eher über Training physisch wie psychisch mit seinem Kader arbeiten. Die beiden bisher einzigen Neuzugänge sind jedenfalls noch nicht so weit. Ondrej Duda plagte sich zuletzt mit Knieproblemen rum und musste aussetzen. Der slowakische Nationalspieler, der für fünf Millionen Euro von Legia Warschau verpflichtet wurde, sieht sich selbst als "Nummer zehn" und gilt als Wunschspieler Dardais. "Seine Ballannahmen und -mitnahmen, seine Läufe in die Tiefe, das wird uns helfen", ist sich der Ungar sicher. Ebenso sicher ist aber, dass der Hertha-Coach den 21-Jährigen nur aufstellen wird, wenn dessen Verletzung komplett auskuriert ist und er vorher genügend trainieren konnte.
Dem zweiten Neuen, Allan, geben die Verantwortlichen aus anderen Gründen Zeit. Mit 19 Jahren ist er noch jünger als Duda und muss sich daher noch eingewöhnen in der neuen Umgebung auch wegen fehlender Sprachkenntnisse. Der Brasilianer kommt als Leihgabe vom FC Liverpool, wo er allerdings noch keine Einsätze vorzuweisen hat. Reds-Trainer Jürgen Klopp höchstpersönlich empfahl Allan den Berlinern jedoch nicht ohne Eigennutz: in der deutschen Hauptstadt soll der vielversprechende Mittelfeldspieler Praxis sammeln, um dann nach einem Jahr wieder an die Anfield Road zurückzukehren. Eine Kaufoption wollten die Engländer jedenfalls nicht mit dem Leihgeschäft verbinden. Dennoch wollte Dardai den Teenager, dessen Spielintelligenz und Übersicht er schätzt: "Für sein Alter ist er sehr robust und bissig, außerdem hat er einen guten Schuss."
Freiburg kein Lieblingsgegner
Zumindest zum Aufgebot wird auch wieder Mitchell Weiser gehören. Der 22-Jährige galt als einer der Shootingstars bei Hertha BSC vergangene Saison. Von den Spielern, die sich die Kritik in der Vorbereitung zu dieser Spielzeit besonders zu Herzen nehmen durften, erfuhr Weiser noch einmal eine besondere Behandlung: Dardai nahm ihn zwischenzeitlich aus dem Mannschaftstraining und verordnete stattdessen Fitnessübungen. Sicherlich eine Maßnahme mit Demonstrationszwecken, die der Trainer aber nach einer Woche wieder aufhob. Auch Ex-Kapitän Fabian Lustenberger und Alexander Baumjohann fielen in Ungnade und wurden für den Neapel-Test aus dem Kader gestrichen.
Der Gegner zum Bundesliga-Start gehört dabei nicht unbedingt zu den Lieblingsgästen der Berliner: Im Olympiastadion ist die Bilanz gegen den SC Freiburg nur ausgeglichen. In den letzten vier Aufeinandertreffen behielt man nur ein Pünktchen an der Spree. Zuletzt setzte es im Februar 2015 eine 0:2-Niederlage es war Pal Dardais zweites Spiel als Chefcoach. Hertha rutschte auf Platz 17, punktgleich mit dem Team von Trainer Christian Streich, der heute immer noch auf der Bank des SCF sitzt.
Damals nahm die Sache noch ein gutes Ende zumindest für die Blau-Weißen aus der Hauptstadt. Hertha BSC blieb gerade so über dem Strich, während die Freiburger den Gang in die Zweite Liga antreten mussten. Ein weiterer ausschlaggebender Punkt wahrscheinlich für Vladimir Darida, nach Berlin zu wechseln. Der tschechische Mittelfeldspieler gehörte zu den Besten in Freiburgs Kader, Hertha konnte ihn für sich gewinnen. Ein Glücksfall: Denn auch wenn der fleißige Mittelfeldspieler aktuell ebenfalls leistungsmäßig noch Luft nach oben hat, so ist er doch aus dem Spiel der Dardai-Elf schon nach einem Jahr kaum wegzudenken.
Hagen Nickelé