Ralph Hasenhüttl war nicht die allererste Wahl als Trainer für RB Leipzig, doch der Österreicher hat sich als Glücksgriff entpuppt. Auch die Bayern-Bosse hat er beeindruckt.
Die meisten Trainer können nach Spielen überhaupt nicht abschalten. Dann gibt es aber auch welche, die versuchen es zumindest. Dazu zählt Ralph Hasenhüttl. Er hat eine im Fußballgeschäft höchst seltene Meditationshilfe: das Klavier. "Ich spiele abends oft zum Abschalten", sagt der Österreicher: "Ich hoffe nicht zum Leidwesen meiner Nachbarn."
Und weil Hasenhüttl derzeit in Leipzig bei RB angestellt ist, spielt er auch nicht irgendwas auf dem Klavier, sondern Werke von Johann Sebastian Bach. Das musikalische Genie verbrachte insgesamt 27 Jahre seines Lebens in Leipzig, zu jener Zeit auch Klein-Paris genannt. Bach war hier Leiter des Thomanerchores und Kantor der Thomaskirche, allerdings war er bei der Besetzung des Postens im Jahr 1723 nicht die erste und auch nicht die zweite Wahl gewesen. In der Ratssitzung soll sogar der Satz gefallen sein: "Da man die Besten nicht bekommen konnte, müsse man den Mittleren nehmen."
Abschalten am Klavier
Hier gibt es eine Parallele zu Hasenhüttl. Auch er war bestenfalls die dritte Wahl der RB-Bosse, die lange Zeit nach einem Nachfolger für Ralf Rangnick gefahndet hatten. Der Sportdirektor war nur aus der Not heraus auf die Trainerbank zurückgekehrt. Rangnick machte es perfekt, unter seiner Regie stieg der ehrgeizige und kritisch beäugte Emporkömmling in die Bundesliga auf und parallel suchte der Sportdirektor Rangnick seinen eigenen Nachfolger. Wunschkandidat Thomas Tuchel trieb jedoch ein seltsames Spiel und unterschrieb schließlich bei Borussia Dortmund. Der ebenfalls hochgehandelte Markus Weinzierl ging lieber zu Schalke 04 auch wenn RB heute darauf beharrt, Weinzierl zuerst abgesagt zu haben. Und über Tuchel sagt RB-Vorstandschef Oliver Mintzlaff heute: "Ich bin nicht traurig, dass es mit ihm nicht geklappt hat."
Denn Hasenhüttl hat sich als absoluter Glücksgriff entpuppt. Unter ihm haben die Leistungen der Leipziger nochmals an Qualität gewonnen, taktisch wie spielerisch. Der Österreicher passt mit seiner Spielidee perfekt zu den "Bullen", die mit Vollgas-Fußball jeden Gegner überrennen wollen. "Meine ehemalige Mannschaft wurde mal als Pressing-Monster von der Donau beschrieben", sagt der frühere Trainer des FC Ingolstadt: "Diese Arbeit gegen den Ball macht auch in Leipzig den Schwerpunkt aus." Nur: Hier stehen ihm weitaus talentiertere Spieler und Arbeitsbedingungen zur Verfügung. Dass die Leipziger in vielen Statistiken wie Laufdistanz und Anzahl der Sprints Liga-Topwerte erzielen, ist also kein Wunder. Dass RB aber als bester Aufsteiger der Bundesligageschichte und zumindest als halber Bayern-Jäger sportlich für Aufsehen sorgt, ist ein Verdienst von Hasenhüttl. Sein Kredo lautet: "Unser Star ist die Taktik."
Bayern Münchens Offensivstar Arjen Robben vergleicht den RB-Trainer sogar mit Pep Guardiola: "Man sieht seine Veränderungen sofort. Das ist ähnlich wie bei Pep." In der Tat ist Hasenhüttl taktisch flexibel, die "Bullen" können nicht nur anrennen, sondern sich auch zurückziehen und einen Vorsprung über die Zeit retten.
Robben sieht Parallele zu Pep
Hasenhüttl gilt auch als Motivationskünstler. Vor dem Sieg in Leverkusen (3:2) griff der Trainer tief in die Psycho-Trickkiste. In seiner Kabinenrede verglich er sein Team mit einem Eisberg, dessen wahre Größe man über Wasser noch nicht sehen kann. "Viel von dem Potenzial, das wir haben, war bisher noch nicht so sichtbar", sagte Hasenhüttl damals der "Bild"-Zeitung. Inzwischen aber haben alle gesehen, dass dieser Eisberg ein Schwergewicht im deutschen Fußballgeschäft ist. Und wohl für sehr lange Zeit auch bleiben wird. Vor Spielen lässt Hasenhüttl die Spieler auch Zusammenschnitte der besten Szenen des letzten Spiels schauen, um ihr Selbstvertrauen zu stärken. "Wir haben ja schon einiges richtig gemacht", sagt er, "das sollen sich die Jungs ruhig noch mal ansehen."
Bemerkenswert ist auch, wie souverän Hasenhüttl, der vor seiner Zeit in Ingolstadt nur unterklassig gearbeitet hat, in der Öffentlichkeit auftritt. Die vielen Diskussionen um das umstrittene Projekt RB kontert er charmant, auf die verbalen Angriffe der Topclubs aus Dortmund und München reagiert er mit einem Lächeln. Man kauft dem gebürtigen Grazer sofort ab, wenn er sagt: "Ich habe hier in Leipzig mein Glück gefunden."
Doch Hasenhüttl ist auch ehrgeizig, das Interesse anderer Spitzenvereine schmeichelt ihm. Als kürzlich in England das Gerücht aufkam, der FC Arsenal hätte ihn als möglichen Nachfolger von Arsène Wenger auf dem Zettel, sagte der RB-Trainer: "Der Artikel war nicht gerade rufschädigend. Es gibt Schlimmeres, als mit Arsenal in Verbindung gebracht zu werden."
Auch beim FC Bayern München steht er im Fokus. Präsident Uli Hoeneß selbst hatte den Namen ins Spiel gebracht und verraten, Hasenhüttl sei einer von drei Kandidaten für den Fall, dass der Rekordmeister nach Carlo Ancelotti wieder auf einen deutschsprachigen Trainer setzen will. Bei Hoeneß hätte Hasenhüttl gute Karten, denn der mag bekanntlich Leute mit Stallgeruch.
Hasenhüttl ließ seine Spielerkarriere bei der Zweiten Mannschaft der Bayern ausklingen, er führte damals die "Jungen Wilden" im Reserveteam um Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm und Zvjezdan Misimovic an. Bei möglichen Verhandlungen könnte Hoeneß auch eine Anekdote ins Spiel bringen: Ohne dessen Anruf bei der Hennes-Weisweiler-Akademie hätte Hasenhüttl im bereits ausgebuchten Trainerlehrgang 2005 wohl niemals einen Platz bekommen.
Den Job beim FC Bayern nennt Hasenhüttl ehrfurchtsvoll die "wirklich allerletzte Stufe" im Vereinsfußball. Die erklimmen zu wollen, schließt er nicht aus. "Wenn du als Trainer irgendwann in die Situation kommst, dass du das Gefühl hast, dass du bereit dazu bist. Und du hast auch noch die Energie dazu, das auch wirklich zu tun. Und du dann auch noch der Kandidat bist, der interessant für den FC Bayern ist. Wenn die drei Faktoren zusammenkommen, dann ist das schon immer ein Thema", sagte Hasenhüttl bei Sky. Sein Vertrag in Leipzig läuft bis Ende Juni 2019, der Club dürfte bestrebt sein, ihn bald zu verlängern vermutlich mit einer kräftigen Gehaltserhöhung für den Trainer. Schon sein aktueller Vertrag beinhaltet eine Meisterprämie, auch wenn er versichert, dass er die genaue Höhe nicht kenne. Eines sei aber klar: "Jeder Bundesligatrainer will mal Deutscher Meister werden."
"Jeder Trainer will mal Meister werden"
Auch mit den hohen Ambitionen passt Hasenhüttl perfekt nach Leipzig. Beim blutjungen Club, der erst 2009 mit den Millionen eines österreichischen Getränke-Unternehmens (Red Bull) hochgezogen wurde, wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Dass innerhalb des Vereins alle offen für innovative Ideen und kostspielige Großprojekte sind, erleichtert Hasenhüttl die Arbeit. "RB ist innovativ, bodenständig, modern und nachhaltig. Der Club ist einfach sexy", sagte der 49-Jährige kürzlich dem Express. Und RB füllt in Leipzig, der fußballbegeisterten Stadt, aus der der allererste deutsche Fußballmeister hervorgegangen ist (VfB Leipzig), eine Lücke. Auch das gefällt Hasenhüttl: "Fußball hat in Leipzig eine ungeheure Wucht. Die Menschen in der Region haben jahrelang darauf gewartet, dass in dieser Stadt mit diesem tollen Stadion wieder erstklassiger Fußball gespielt wird."
Hasenhüttl hat mit seinem Team in Leipzig wieder eine Fußballeuphorie entfacht. Das Projekt wird innerhalb der Stadtgrenzen weitestgehend als Gewinn betrachtet, und auch außerhalb von Leipzig nimmt die Akzeptanz zu. Mittlerweile sehen drei Viertel der Fußballfans in RB eine Bereicherung für die Bundesliga (unabhängige Umfrage von SLC Management GmbH). Das hat vor allem mit der attraktiven Spielweise unter Hasenhüttl zu tun. Als Spieler war er mit seiner Größe von 1,91 Metern eher fürs Rustikale zuständig. Als Libero ausgebildet und später zum Stoßstürmer umgeschult, warf Hasenhüttl in Österreich, Belgien und der Zweiten Liga in Deutschland vor allem seinen wuchtigen Körper ins Getümmel. Und er war stets der verlängerte Arm seines Trainers auf dem Platz. "Meine Frau hat oft gesagt, dass ich mal ein viel besserer Trainer werde, als ich Spieler war", erinnert sich Hasenhüttl: "Ganz Unrecht hatte sie nicht."
Jörg Soldwisch