Kevin-Prince Boateng ist oft gescheitert. Niemand traute ihm nach seiner verpatzten Liaison mit Schalke und der darauf folgenden wenig erfolgreichen Rückkehr zum AC Mailand noch etwas zu. Mittlerweile spielt er auf Gran Canaria für UD Las Palmas und war zwischenzeitlich sogar Tabellenführer mit dem Inselclub.
Seine Kritiker, die nach der Bekanntgabe seines Wechsels unkten, der so oft gescheiterte Fußballer sei nun endgültig an seiner Endstation angekommen, sind mittlerweile verstummt und das bereits nach wenigen Spielen. Denn zu spektakulär verlief der Saisonstart. Sowohl gegen den FC Valencia als auch gegen den FC aus Granada zeigte Kevin-Prince Boateng seine Torgefährlichkeit, seine Variabilität, die ihn an guten Tagen schon immer zu einem sehr guten Mittelfeldspieler gemacht haben. "Er hat gezeigt, dass er nicht als Tourist auf die Insel gekommen ist", urteilte die Tageszeitung "Marca" jüngst. Zwischenzeitlich stand er mit seinem neuen Verein sogar an der Tabellenspitze. Vor den großen Vereinen aus Barcelona und Madrid. Anschließend plagten Boateng kleine Verletzungssorgen, dem Team war dies anzumerken. Dennoch verlief der Start vielversprechend. Boateng ist gereift, er ist sozusagen "Reif für die Insel".
Immer noch
Verletzungssorgen
Hier, rund 1.300 Kilometer vom spanischen Festland entfernt, blüht er wieder auf. Die Freude scheint zurück, wird wieder nach außen getragen. In großer Regelmäßigkeit lässt Boateng seine Fans auf Twitter an seinem neuen Glück teilhaben. Der Tenor dabei: "Ich spiele dort, wo ihr Urlaub macht." Vom Stadion sind es nur sechs Kilometer bis zum Playa de las Alcaravaneras, einem golden schimmernden Sandstrand. Die kühle Atlantikluft macht die hohen Temperaturen des Sommers erträglich.
Auch privat läuft es besser als je zuvor: Im Juni hat er seiner langjährigen Freundin, der Italienerin Melissa Satta, das Ja-Wort gegeben. Auch den Kindern gefällt es auf Gran Canaria. Die Skandal-Zeiten haben wieder einmal Pause, und er scheint die richtige Entscheidung getroffen zu haben. "Für Spaß und Sport sollte man durchaus auf Geld verzichten", sagte Boateng nach seinem Wechsel dem "Kicker" und verriet, dass er unter anderem gut dotierte Angebote aus Dubai abgeblockt habe. Die Message: Er will noch mal angreifen.
Dass er das auch kann, danach sah es vor wenigen Monaten ganz und gar nicht aus. Auf Schalke ging der viel zitierte Skandal-Profi, wie er gekommen war mit einem riesigen Medienecho. "Von der Körpersprache her ist er nicht so, dass er uns hilft und eine positive Aura hat. Verständlicherweise beschäftigt er sich nur mit sich selbst und sprüht nicht vor positiver Energie, das können wir in den letzten 14 Tagen nicht gebrauchen", begründete Schalkes damaliger Manager Horst Heldt die Suspendierung.
Obwohl er in Gelsenkirchen noch einen Vertrag bis 2016 hatte, gab es dort keine Zukunft mehr für ihn. Boateng hielt sich beim AC Mailand fit. Er versuchte, wieder bei seiner alten Liebe Fuß zu fassen. Hier feierte der Großneffe von Helmut Rahn vor seinem Wechsel zu Königsblau die erfolgreichste Zeit seiner Karriere, avancierte bei den Rossoneri zum Star. Doch anders als in den Jahren 2011 bis 2013 konnte sich Boateng beim zweiten Mal nicht durchsetzen, der Club bot ihm keinen neuen Vertrag mehr an die Zukunft war ungewiss
Beim AC Mailand reifte er zum
Klasse-Spieler
Auch aufgrund seiner Verletzungsanfälligkeit war seine weitere Laufbahn als Profi in den Top-Ligen alles andere als sicher. Schon während seiner Zeit auf Schalke machten ihm immer wieder große Kniebeschwerden zu schaffen. Im August 2015, als er den Abflug aus Deutschland in Richtung Sporting Lissabon machen wollte, flog er dort durch den Medizincheck.
Es fand sich kein Verein, der den Mittelfeldspieler verpflichten wollte. Bis UD Las Palmas ihn mit einem Einjahresvertrag ausstattete. "Es handelt sich sicherlich um den wichtigsten ausländischen Spieler, der sich in den vergangenen Jahrzehnten dem Club angeschlossen hat", verkündete der Verein nach der Vertragsunterschrift.
Bisher hat Boateng die Clubverantwortlichen nicht enttäuscht. Beim Auftaktsieg beim Europa-League-Sieger FC Valencia erzielte Boateng ein sehenswertes Kopfballtor. Auch im zweiten Saisonspiel glänzte er auf der linken offensiven Außenbahn. Beim furiosen 5:1 gegen den FC Granada brachte Boateng sein Team mit einem Kopfballtor zum 2:1 auf die Siegerstraße. "Das zweite Tor war spektakulär und ich glaube, es war auch der Schlüssel. Er hat es nicht mit dem Kopf erzielt, sondern mit der Seele. Deshalb habe ich so gejubelt", sagte sein Trainer Quique Setién.
"Ich fühle mich wieder wohl, habe hier Abstand zum großen Fußball-Trubel des Festlandes und kann den Sport wieder genießen", sagte Boateng und ergänzt: "Ich bin froh, mich so entschieden zu haben. Es kamen Angebote aus Dubai, aber eben auch aus Gran Canaria. Ich wollte noch einmal in einer starken Liga spielen und kann das hier auf der Insel in aller Ruhe tun. Hier sind nur wenige Journalisten und Fans beim Training, und ich spüre ein großes Vertrauen."
Kevin-Prince Boateng wirkt angekommen auf der Ferieninsel, auch wenn er wieder Verletzungsprobleme hat. Dieses Mal hat er sich das Wadenbeinköpfchen geprellt und kann derzeit nur wenig trainieren. Passiert ist die Verletzung beim 5:1-Sieg gegen Granada. Bei seinem Kopfballtreffer sprang der Keeper der gegnerischen Mannschaft in ihn hinein. Boateng lief aber zunächst an den Spielfeldrand und ließ sich ein T-Shirt mit einer aufgedruckten Grußbotschaft an die Hinterbliebenen der Erdbebenopfer in Italien reichen, das er in die Kameras hielt. "Ich hatte mir vorher überlegt, wie ich mein Mitgefühl ausdrücken kann. Das war mir wichtig", sagt der Fußballprofi, der wenige Minuten später wegen der schmerzenden Verletzung ausgewechselt werden musste.
Wenige Momente, die wie ein Spiegelbild der Karriere Boatengs wirkten. Der großartige Fußballer, der für spektakuläre Szenen steht. Der auffällige Charakter, der immer wieder mit Aktionen überrascht, die sich aus dem Mainstream der Fußballstars abheben. Aber da ist auch das stete Ringen mit Verletzungen, die ihn durch inzwischen elf Jahre Profifußball immer begleitet haben. Nun muss er sich ein weiteres Mal an die Mannschaft herankämpfen. Während auf dem Platz Kombinationen einstudiert werden, strampelt Boateng in einem Container am Rand auf dem Ergometer.
Nicht nur bei seinem Verletzungspech bleibt sich Boateng treu. Dem Ghanaer droht wegen seines angesprochenen Jubels ein Nachspiel. Jetzt droht ihm für diese Aktion eine Strafe von bis zu 3.000 Euro. Das wird er als Fußballprofi, der gerade seinen dritten Frühling erlebt, verkraften können. Auch wenn er nicht mehr nur für das große Geld spielt, zwei warme Mahlzeiten kann er sich durchaus leisten. "Prince" ist einer der Fußballer die unter einem schlechten Image leiden. Doch warum eigentlich? Den Grundstein für sein "Bad Boy"-Image legte Kevin-Prince, als er 2010 im englischen Pokalfinale Michael Ballack rüde vom Platz trat und damit dessen WM-Träume beendete. Gedanken darüber macht sich der Deutsch-Ghanaer keine. "Darüber bin ich hinweg. Ich meine, da zeigen Leute mit dem Finger auf mich, die mich gar nicht kennen. Warum sollte mich so etwas stressen oder nerven?", sagt Kevin-Prince Boateng.
Vom Bad Boy
zum Familienmensch
Nicht nur deshalb leidet er unter der schlechten Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Als er damals mit seinem Berliner Kollegen Patrick Ebert nach einer durchzechten Partynacht durch die Berliner Straßen zog und reihenweise Autos demolierte, spielte er den ganzen Boulevardblättern in die Karten.
Boateng hat das Kicken auf den Straßen und Bolzplätzen Berlins gelernt. Sich durchsetzen, ungemütlich sein, vorneweg gehen genauso sieht er sich während seiner Zeit als Profi, wie er in seiner Autobiografie "Ich, Prince" betont.
Es scheint so, als ob er jetzt endlich die Rolle ausfüllen kann, für die ihn eigentlich die Königsblauen damals nach Schalke geholt hatten. Ohne Skandale. Der einstige Bad Boy scheint zum Familienmensch geworden zu sein. Jetzt muss nur noch der Körper mitspielen.
Philipp Häfner