Die Olympiasaison lief für Stabhochspringer Raphael Holzdeppe nach einer Verletzung im Frühjahr 2016 nicht wie geplant. In Rio de Janeiro scheiterte der ehemalige Weltmeister schon in der Qualifikation. Inzwischen ist der Zweibrücker wieder fit und hat für die Deutschen Meisterschaften und die Hallen-EM große Ziele.
Der Post ließ zunächst Schlimmes erwarten. "Scheiße...leider verletzt bei der Anfangshöhe aufhören müssen. Hoffentlich nix Großes!" mit dieser Nachricht auf Twitter versetzte Raphael Holzdeppe seinen Fans Anfang Februar einen großen Schrecken. Sollte sich der Stabhochspringer etwa erneut verletzt haben? Würde sich die Geschichte aus dem Vorjahr wiederholen, als sich Holzdeppe ebenfalls in der Hallensaison einen Anriss des Außen- und Innenbandes im Sprunggelenk sowie der Syndesmose im Absprungbein zugezogen hatte, die ihn monatelang außer Gefecht setzte und ihn letztlich seine Olympiaform gekostet hatte? Einen Tag später gab der 27-Jährige jedoch Entwarnung: "Keine große Verletzung", schrieb er. Dem FORUM-Magazin verriet er später: "Ich bin beim Wettkampf in Clermont-Ferrand bei der ersten Höhe auf der Latte gelandet. Das hat höllisch wehgetan, aber es waren zum Glück nur ein paar blaue Flecken. Dieses Mal bin ich glimpflich davongekommen."
Beim ISTAF Indoor in Berlin ging Raphael Holzdeppe am vergangenen Freitag schon wieder an den Start. An diesem Wochenende stehen nun die Deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig auf dem Programm. Ausgerechnet in Leipzig: Schon im Februar 2016 fanden dort die nationalen Titelkämpfe statt, bei denen sich Holzdeppe beim Einspringen so schwer verletzt hatte. Der Zweibrücker glaubt aber nicht, dass ihn die Erinnerung an das tragische Ereignis aus dem Vorjahr in irgendeiner Weise hemmen wird. "Es überwiegt die Vorfreude", so Holzdeppe. "Ich habe mehr gute als schlechte Erinnerungen an Leipzig, deshalb reise ich mit einer positiven Grundanspannung dorthin." In der Arena will sich der Weltmeister von 2013 und Vizeweltmeister von 2015 endlich seinen ersten deutschen Hallenmeistertitel bei den Erwachsenen sichern. Denn trotz aller internationaler Erfolge: Dieser Triumph fehlt ihm noch in seiner Sammlung. Zuletzt stand Holzdeppe in der Halle 2008 ganz oben auf dem Treppchen damals allerdings noch bei den Jugendmeisterschaften.
Deutscher Titel fehlt in der Sammlung
Es war das Jahr, in dem Raphael Holzdeppe erstmals ins Rampenlicht sprang. 2008 wurde er Juniorenweltmeister, qualifizierte sich für die Olympischen Spiele in Peking und belegte dort als 19-Jähriger im Finale Rang acht. Obendrauf gab es die Wahl zum Leichtathleten des Jahres. Es war der Startschuss für eine glanzvolle Karriere, zu dessen Höhepunkten neben den schon erwähnten WM-Medaillen vor allem der dritte Platz bei den Olympischen Spielen 2012 in London (Großbritannien) zählt. Seine Bestleistung steht bei 5,94 Metern nur fünf Deutsche sprangen in der Halle oder im Freien jemals höher. Doch es gab auch Rückschläge: In der Saison 2014 plagten ihn technische Probleme, die er nie in den Griff bekam; zudem wurde der Pfälzer in all den Jahren immer wieder durch kleinere Verletzungen ausgebremst.
Um eine Operation war er jedoch stets herumgekommen bis zu jener Verletzung im vergangenen Winter. Ausgerechnet im Olympia-Jahr musste der Sportler des LAZ Zweibrücken erstmals unters Messer. "Ich habe trotzdem relativ gefasst auf die Diagnose der Ärzte reagiert", erzählt er. Diese hätten ihm erklärt, dass der kaputte Fuß zwar auch ohne OP verheilen würde, aber dann womöglich nicht mehr so belastbar wäre wie vor der Verletzung. Wenn Holzdeppe rechtzeitig zum Saisonhöhepunkt wieder in Form kommen wollte, sei ein Eingriff deshalb die beste Wahl. "Es gab also nur diese eine Option. Das hat die Entscheidung leicht gemacht. Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, um verschiedene Alternativen abzuwägen, hätte mich die ganze Sache wahrscheinlich gedanklich mehr mitgenommen", sagt er.
Die Olympiateilnahme stand allerdings bis zuletzt auf der Kippe. Die Deutschen Meisterschaften in Kassel musste Holzdeppe ebenso ausfallen lassen wie kurz darauf die EM in Amsterdam; der Auftritt beim Meeting in Leverkusen endete mit einem Salto Nullo. Trotz fehlender Norm wurde er dennoch für Rio de Janeiro nominiert und zahlte das Vertrauen kurz vor dem Abflug nach Brasilien mit einem Sprung über 5,70 Meter in Mannheim zurück. Doch es war nur ein kurzer Hoffnungsschimmer: Bei Olympia scheiterte Holzdeppe ebenso wie die beiden anderen deutschen Teilnehmer, Tobias Scherbarth und Karsten Dilla, bereits in der Qualifikation.
In diesem Jahr heißt es nun: alles auf Anfang. Viel verändert hat Raphael Holzdeppe im Training nicht, das Programm ist fast dasselbe wie im Vorjahr. Mit einer Ausnahme: Im Herbst wurde noch ein spezielles Kraftprogramm für den Fuß vorgeschaltet, um diesen zusätzlich zu stärken. "Ich habe riesengroße Lust wieder zu springen", so Holzdeppe. Das Sprunggefühl sei zum Glück relativ schnell wiederhergestellt: "Ich mache jetzt schon so lange Stabhochsprung, mit vielen Tausend Sprüngen, da ist so etwas längst abgespeichert." Was jedoch verloren gegangen war, ist die Wettkampfroutine: das Einspringen, die Wartezeiten zwischen den einzelnen Versuchen, die besondere Atmosphäre vor Publikum. "Ich muss meinen Wettkampfrhythmus erst noch finden", sagt Holzdeppe. "Aber ich habe das Gefühl, dass es mit jedem weiteren Wettkampf besser wird." Zum Saisonauftakt beim Neujahrsspringen in Merzig war ihm die fehlende Routine noch anzumerken. Fast hätte er bei der Anfangshöhe drei Fehlversuche fabriziert, doch im dritten Anlauf schwang er sich dann doch hinüber. Anschließend kam er jedoch immer besser in den Wettbewerb und gewann den Wettkampf schließlich mit 5,58 Metern. Zwei Wochen später in Cottbus steigerte sich Holzdeppe auf 5,73 Meter, gut genug für Platz zwei hinter dem polnischen Sieger Piotr Lisek. "Ich bin bislang sehr zufrieden", sagt er. Der 27-Jährige wähnt sich auf einem guten Weg zurück zu alter Stärke. "Der Spaß ist wieder da."
Die Stabhochspringer, das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen, machen derzeit ja eine kleine Krise durch. Zwar gibt es immer noch Spitzenleistungen zuletzt beispielsweise durch Lisa Ryzih, die in Karlsruhe mit 4,67 Metern europäische Jahresbestleistung bei den Frauen sprang und nur knapp am deutschen Hallenrekord scheiterte. Doch in der Breite hat das Leistungsniveau zuletzt abgenommen die Zeiten, in denen ein halbes Dutzend Springer 5,80 Meter und mehr überquerten, sind vorbei. Björn Otto hat im Herbst seine Karriere beendet, Malte Mohr kämpft nach seiner Verletzung noch immer um Anschluss. Mit Florian Gaul rückt jedoch ein jüngerer Springer nach, auch Karsten Dilla, Carlo Paech und Tobias Scherbarth haben ihr Potenzial schon mehrfach bewiesen. "Wenn wir als Team insgesamt gesund bleiben, dann haben wir immer noch eine sehr gute Mannschaft", meint Raphael Holzdeppe daher. "Ich bin mir ganz sicher, dass wir im Sommer erneut Norm-Erfüller als Startplätze für die Weltmeisterschaften haben werden."
"Große Lust wieder zu springen"
Zunächst steht aber ein anderer Höhepunkt ins Haus: Anfang März findet in der serbischen Hauptstadt Belgrad die Hallen-EM statt. Um sich sicher dafür zu qualifizieren, sind 5,78 Meter gefordert. "Diese Höhe möchte ich in diesem Winter auf jeden Fall noch springen, am liebsten sogar über 5,80 Meter", sagt Raphael Holzdeppe. Doch selbst wenn ihm das in Leipzig nicht gelingen sollte, stehen die Chancen gut, dass der Schützling von Trainer Andrei Tivontchik dennoch in Belgrad an den Start gehen kann. Erreichen europaweit weniger als zwölf Springer die Norm, wird das Feld mit den besten zwölf Springern der Bestenliste aufgefüllt und Holzdeppe ist aktuell die Nummer zwei auf dem Kontinent. Besser ist nur der Pole Piotr Lisek, der nach seinem Erfolg in Cottbus auch beim Meeting im Potsdamer Einkaufszentrum Stern-Center triumphierte und dabei als zehnter Springer in der Halle die magische Sechs-Meter-Marke überqueren konnte. "Er springt in diesem Winter auf einem konstant hohen Niveau", meint Holzdeppe. Er hat jedoch auch den französischen Weltrekordler und Olympia-Zweiten Renaud Lavillenie noch nicht abgeschrieben, auch wenn dieser bislang nicht die ganz großen Höhen verbuchen konnte. "Mit ihm muss man immer rechnen", sagt er. Holzdeppe peilt selbst ebenfalls eine Medaille an. "Das ist mein Anspruch bei jeder internationalen Meisterschaft", so der Zweibrücker. "Wenn ich einen Wettkampf absolviere, dann will ich immer das Bestmögliche herausholen."
Jan Philip Häfner