Diesen Sommer feiert der Backpack ein furioses Comeback in der Herrenmode. Und dennoch gibt es noch immer jede Menge kritische Stimmen zu diesem inzwischen wieder sehr beliebten Accessoire.
Noch vor wenigen Jahren nahmen Erwachsene Rucksäcke allenfalls auf Berg-, Trekking- oder Wandertouren mit. Als modisches Accessoire oder Statement-Piece waren Backpacks hingegen seit Beginn der 2000er absolut out. In der Ladys-Fashion wurden sie 2014 von König Karl aus der Versenkung geholt, als er für Chanel coole Rucksäcke mit aufgespraytem CC-Logo wieder auf den Laufsteg gehievt und in Windeseile Promis wie Rihanna oder Cara Delevingne davon überzeugt hatte, sich die Tasche auf den Rücken zu schnallen, um dadurch freie Hände für lebenswichtige Dinge wie das Smartphone zu gewinnen.
Auch bei den Herren der Schöpfung hat der Rucksack seit etwa drei Jahren wieder viele Freunde gefunden, weshalb es in diesem Sommer kaum einen Menswear-Designer gibt, in dessen aktueller Kollektion nicht mindestens ein Backpack enthalten ist von Armani und Balmain über Givenchy und Gucci bis hin zu Valentino oder Versace. Von daher kann durchaus von einem großen Comeback des Rucksacks gesprochen werden, der auf dem besten Weg ist, die textile Beulenpest aus mit Geldbeutel, Schlüsselbund, Brieftasche oder Mobiltelefon überladenen Hosen- und Jackentaschen auszurotten.
Einfach praktisch: Zwei Freie Hände
Doch es gibt immer noch viele Kritiker des praktischen Lifestyle-Accessoires. "Erwachsene Männer, die einen Backpack mit beiden Riemen schultern", war vor einigen Monaten noch in der "Zeit" zu lesen, "wirken wie der Betriebstrottel, dem Mami noch die Butterbrote schmiert. Die meisten tragen den Rucksack deshalb an nur einem Riemen. Davon kriegt man allerdings einen Haltungsschaden. Sicher gibt es einen Zusammenhang zwischen Rucksackliebe und dem Aufstieg des Osteopathen zum Trendberuf." Ähnlich süffisant hatte sich schon die "Süddeutsche Zeitung" geäußert. "Während, jetzt mal als Beispiel, Krawatten und Manschettenknöpfe nur im Fall eines schweren Fehlgriffs (großflächige Blumenmuster, Comicfiguren, Totenköpfe) die Massen bewegen, ist das bei einem Rucksack anders. Ein Rucksack ist ein Statement. In der Rangliste der polarisierenden Männer-Accessoires teilt er den Spitzenplatz mit dem Siegelring ... Nach althergebrachtem Stilverständnis gibt es also nur zwei Gelegenheiten, bei denen ein Rucksack für einen Mann angemessen ist: Er ist auf dem Weg zur Schule und hat seinen 13. Geburtstag noch vor sich. Oder er bezwingt einen Berg. Einen echten Berg, mit Felsen und Gipfelkreuz und der ständigen Gefahr durch wild grasende Kühe."
Das klingt alles andere als begeistert, aber selbst die "Süddeutsche Zeitung" musste in einem anderen Beitrag konzedieren, dass "Rucksäcke in Hipsterhausen" nicht zuletzt dank des unaufhaltsamen Fahrradkultes angesagt sind, "in jenen Großstadtvierteln, wo die Menschen besonders viel Wert auf ihr Äußeres und ihren Avantgardismus legen. In diesem Hipsterhausen hat der Rucksack den Jutebeutel abgelöst. Erleichtert wurde der Übergang zwischen Tüte und Sack durch das kurze Intermezzo des Turnbeutels. Gut möglich, dass der Zeitenwandel beim Stadtgepäck mit zunehmenden Sitzschäden und wachsendem Körperbewusstsein zu tun hat (Rücken!).
Viel wahrscheinlicher ist allerdings, dass die Stylisierung des Radelns schuld daran ist. Wer schon einmal eine Stofftasche in seine Fahrradspeichen verheddert und sich anschließend über seinen Retro-Rennlenker geworfen hat, weiß, was gemeint ist. Der Rucksack ist also wieder tragbar was nicht unbedingt an ihm selbst liegt, sondern am Zeitgeist. Denn die neuen Rucksäcke sind noch immer tendenziell eckig, ihre Farben noch immer tendenziell langweilig. Ein Rucksack kann Statussymbol sein oder praktisch, manchmal beides. Er gehört zu den Typen, die innere Werte verkörpern. Viel mehr zum Beispiel Schönheit ist von ihm nicht zu erwarten."
Das veränderte Mobilitätsverhalten vieler Großstädter ist mit Sicherheit ein wesentlicher Faktor für den Hype um den Backpack. "Denn zwei freie Hände braucht es auch", schreibt die "Wirtschaftswoche", die im Rucksack sogar ein "Symbol der neuen Arbeitskultur" sieht, "um entspannt Fahrrad zu fahren. Kaum ein junger Berliner, Kölner oder Münchner hat noch ein eigenes Auto, wozu denn auch ...? Ob Hollandrad, Carbon-Drahtesel, Retro-Rennrad oder Fixie-Biker: Wer jung und dynamisch ist, fährt Rad, nicht Audi R8. Der Spruch, dass nur in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist stecke, gilt im Berufsleben mehr denn je. Klar, dass ein lässig über die Schulter geworfener Rucksack diesem Lebenswandel mehr entgegenkommt als der steife Aktenkoffer. Er schont auch den Rücken. Der Rucksack wird so zum Erkennungszeichen der Fitten und Agilen."
Kein Wunder, dass er sich daher zunehmend auch bei Führungskräften in Wirtschaft und Politik immer größerer Beliebtheit erfreut. Beileibe nicht nur bei den Digital-Nomaden des kalifornischen Silicon-Valley, wo Rucksäcke neben Kapuzen-Sweatshirts schon längst zur Grundausrüstung und zum coolen Transport von Tablets oder Laptops genutzt werden. Jeder wird sich noch an den früheren griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis erinnern, der selbst in Brüssel mit diesem Accessoire aufgetaucht war. Auch sein Amtsnachfolger Euklid Tsakalotos pflegt stets mit Rucksack unterwegs zu sein. Ebenso der frühere Deutsche Bank-Geschäftsführer Anshu Jain, der frühere Commerzbank-Chef Martin Blessing, der Fiat-Boss Sergio Marchionne oder der britische Brexit-Vorreiter Boris Johnson.
Früher mit Edding individualisiert
Der scheinbar unaufhaltsame Vormarsch des Rucksacks auch im beruflichen Umfeld gefällt Etiketten- und Stilexperten vom Schlage eines Bernhard Roetzel ganz und gar nicht: "Zum Büro-Outfit ist der Rucksack ein Stilbruch, ich klettere ja auch nicht mit Aktentasche auf die Zugspitze." Doch selbst Roetzel muss dem Zeitgeist Zugeständnisse machen: "Ein Rucksack zum Anzug oder zum Kostüm passt in die Zeit. Er ist Symbol von Sport, Freizeit und Abenteuer."
Allerdings dürfte es sich von selbst verstehen, dass im Berufsleben auftauchende Backpacks möglichst hochwertig, dezent in der Farbwahl und möglichst wenig sportiv sein sollten. Das Material sollte aus Leder sein oder zumindest aus einem festen Segeltuch-Stoff. Die Form klassisch und schlicht, ohne Extrataschen. Leuchtendes Neon ist ebenso verboten wie Mehrfarbiges. Schwarz, Braun oder Grau gehen immer, kühne Herren können sich auch mal an Ochsenblutrot oder Tannengrün heranwagen. Selbst Gelb ist diesen Sommer möglich dank neuer Modelle von Bally. Toll gefielen uns aber auch die edlen Stücke von Dior Homme (rot), Kenzo, Longchamp, Louis Vuitton, Marc Jacobs, Philipp Plein (mit riesigem Labellogo) oder Prada.
Selbst bei günstigeren Modellen für den Freizeitbereich sind gedeckte Farben auf dem Vormarsch. Ein Renner sind hier beispielsweise die Rucksäcke der Marke Herschel in schlichtem Design mit Extrafach für Laptop und Sonnenbrille oder der absolute Favorit der Großstadt-Radfahrer: der kastenförmige Rucksack mit einem kleinen Fuchs als Emblem des schwedischen Labels Fjällräven Kranken.
Selbst die auf reine Funktionalität spezialisierten Anbieter wie Mammut, North Face oder Deuter verzichten immer häufiger auf grelle Farben und optisch aus dem Rahmen fallende Hightechmaterialien. Geheimtipps für Freizeit und wenig Geld sind die Rucksäcke des dänischen Labels Rains oder von Ucon Acrobatics darunter ein pfiffiges Roll-Top-Modell mit geräumigen Packtaschen, das ursprünglich nur bei Fahrrad-Kurieren zum Einsatz kam. Das Modell "Austin" des früheren Backpack-Pioniers Eastpack ist nicht zu vergessen.
Apropos Eastpack: Ab Ende 1994 waren die Kunstfaser-Rucksäcke dieses Labels mit einem großen Fach hinten und einem kleinen vorne in Deutschland Kult. In diversen Farben wie Dunkelblau, Beige, Weinrot oder Khaki, meistens das Modell "Padded Pakr" oder der "Wyoming" mit dem Lederboden. Träger und Rückseite waren leicht gepolstert, bequem waren sie trotzdem nicht, weil kaum jemand sie auf dem Rücken trug. Sie baumelten meist dank maximal geweiteter Träger irgendwo am Hinterteil. Wer sich von der Masse abheben wollte, bemalte seinen Eastpack mit einem Edding.?Seine erste Hochzeit hatte der Rucksack zwei Jahrzehnte zuvor erlebt. Allerdings nicht als modisches Accessoire, sondern als Zeichen politischen Protests. Anhänger der Friedensbewegung hatten dafür riesige, abgenutzte Bundeswehrrucksäcke mit Peace-Zeichen bekritzelt. Mitte der 1980er-Jahre wurden Trendsportarten wie Skaten populär, neben Stoffbeuteln waren funktionale Rucksäcke angesagt, wie sie Jack Wolfskin damals schon im Sortiment hatte. Miuccia Prada hatte 1984 erfolgreich einen kleinen, schwarzen Nylonrucksack mit großem Logo in Gestalt eines auf den Kopf gedrehten, silberfarbenen Dreiecks in der Fashion-Welt lanciert.
Mit der Jahrtausendwende war es um den Rucksack still geworden. Laptoptaschen oder die dreieckigen Bodybags mit integrierten Handyhalterungen sollten ihm mehr als eine Dekade lang die Show stehlen. 2012 brachte ihn Alexander Wang zurück auf den Laufsteg. Ein Jahr später waren Backpacks auch schon wieder im Sortiment von Louis Vuitton, Kenzo oder Hermès vertreten.
Von Peter Lempert