Bra Tops oder Bralettes, die Kreuzung zwischen BH und Tanktop, sind der überraschendste Trend des Sommers. Die knappen Teile werden nicht mehr nur drunter, sondern gerne auch als neues It-Layering-Piece drüber oder solo auf nackter Haut als Eyecatcher getragen. Also schnell zuschlagen!
Der Bralette hat dem klassischen BH den Rang abgelaufen. Zumindest wenn frau dem aktuellen Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des US-Magazins "Fast Company" Glauben schenken mag. 2,7 Millionen Damen hatten mitgemacht. Vier von fünf Ladys hatten angegeben, keine BHs mit gefütterten Cups mehr zu tragen, sondern stattdessen dem Bralette den Vorzug zu geben. Die Zeit der Push-ups, mit denen lange Zeit die Brüste noch um mindestens zwei BH-Größen voller geschummelt wurden, Stichwort "Bombshell Bras" von Victorias Secret, scheint nun also endgültig abgelaufen zu sein.
Optimal nur für Frauen mit kleinem Dekolleté
Der Bralette ist im Umfeld der Damenunterwäsche nichts anderes als ein BH, der weder über Bügel noch Pads oder gepolsterte Cups verfügt. Er ist aus hauchzartem Stoff gefertigt, hat feine Träger und ist meist in Triangel-Form geschnitten (mehr oder weniger ein Stoffdreieck). Er ist viel bequemer als ein BH und häufig dekorativ mit wunderschöner Spitze oder offenen Nähten versehen. Es gibt ihn meist in den gängigen Kleidergrößen XS bis XL. Im Vergleich zu BHs sind Bralettes einfach herzustellen, weil bei ihnen die technischen Komplikationen in Gestalt von Bügeln und Wattierungen entfallen. Bralettes haben allerdings den Nachteil, dass sie eigentlich optimal nur für Damen mit kleinem Dekolleté geeignet sind. Bei großem Busen können sie keinerlei stützende Hilfe bieten. Von daher dürfte es ziemlich schwierig sein, in diesem Fall ein passendes Bralette-Modell zu finden.
Bereits vergangenen Sommer war der Bralette, mit dem schon seit 2013 zunächst noch recht vorsichtig an die Tradition der klassischen Crop Tops, der bauchfreien Oberteile der 80er- und 90er-Jahre, angeknüpft wurde, endgültig aus der Lingerie-Abteilung in den normalen Fashion-Bereich vorgedrungen. In der aktuellen Sommersaison gibt es nun kaum mehr einen renommierten Designer, der in seinem aktuellen Sortiment nicht mindestens ein Bralette-Teil führt. Kein Wunder, schließlich haben es ja in jüngster Zeit auch Kleider aus dem intimen Boudoir in den Streetstyle oder auf den Catwalk geschafft, Stichwort "Lingerie-Look". Von daher mag frau die Bralettes nur als naheliegende Fortsetzung oder auch Erweiterung des Lingerie-Trends ansehen. Zu beachten ist allerdings, dass sich die Designer bei den neuen Bralettes in Sachen Schnitt und Material jegliche Freiheiten nehmen. Von trägerfreien Carmenblusen-Lösungen (wie bei Roberto Cavalli) bis hin zu Leder- oder Rüschenumsetzungen. Die "Vogue" bezeichnete es als unausweichlich, dass die bauchfreien Teile und Bustiers der vergangenen Saisons irgendwann so weit zusammenschrumpfen mussten, dass von ihnen quasi nicht mehr viel übrig bleiben würde. Eben nur noch ein winziger Bralette.
Wie ihn laut "Vogue" beispielhaft Joseph Altuzarra mit seinen rüschigen, floral geschmückten Pieces zu high waisted Bleistiftröcken oder Alexander Wang mit spitzengeschmückten, äußerst Lingerie-ähnlichen Neon-Teilen zu Shorts in New York präsentiert hatten. Anthony Vaccarello hatte in Paris seine Bralettes und die nackte Haut bei Saint Laurent immerhin größtenteils von Blazerjacken bedecken lassen. Bei Paco Rabanne oder John Galliano schimmerten die Bralettes deutlich sichtbar unter hauchdünnen, transparenten Stoffhüllen durch. Von Dior gar nicht zu sprechen, bei dem Bella Hadid auf dem Laufsteg einen sexy Bralette- und Höschen-Auftritt unter einem Hauch von Nichts hinlegte.
Fehlt eigentlich nur noch die dritte Variante, wie Bralettes nach Meinung der Designer im Alltag getragen werden sollten: nämlich als rein dekoratives Accessoire über Oberteilen wie Sweater, T-Shirt oder Pulli. Ob das irgendeinen Sinn macht, außer dass die so präsentierten Bralettes garantiert ein Blickfang sind, muss jede Frau für sich entscheiden. Das kann mitunter etwas schräg wirken, wenn beispielsweise Miuccia Prada rot-weiß karierte Bralettes über gestreiften Hemden oder gar fedrig-plüschige Bralettes über hochgeschlossenen Blusen präsentiert (bei Miu Miu waren die Bralettes über Sweater angezogen). Wenn bei Céline schwarze, die Brustwarzen deutlich nachformende Bralettes über weißen Kleidern oder Blusen gezeigt werden. Wenn bei Kenzo Fetisch-ähnliche Glimmer-Lack-Bralettes über weißen Blusen zur Schau gestellt werden. Wenn bei Alexander McQueen an Leder-Bustiers erinnernde Bralettes mit Renaissance-artigen Kleider vermischt werden. Wenn bei Christian Siriano, ähnlich wie bei Prada, eine längs gestreifte Bluse von einem eigentlich nur störenden Bralette-Stoff-Fetzen horizontal zerschnitten wird. Da loben wir uns fast die Moschino-Lösung, bei der der Bralette einfach als Print in ein Sweat-Shirt eingearbeitet ist.
Immerhin setzt die Layering-Variante nicht soviel Mut oder Selbstvertrauen voraus, wie es das Tragen eines Bralettes, am besten kombiniert mit hochgeschnittenen Röcken oder Hosen, als alleinigem Oberteil voraussetzt. Auf dem Laufsteg, beispielsweise bei Victoria Beckham oder Tory Burch mag das ja angehen. Aber im Alltag? Wagen Sies doch einfach mal.
Von Peter Lempert