Was passiert, wenn Malen mit natürlichen Farben und Pinseln in die digitale Welt übertragen wird? Was nützen die digitalen Werkzeuge? Macht es Sinn, ein nicht gerade billiges Kaufprogramm zu nutzen? Ein Test im digitalen Kunstatelier und bei einem Digitalkünstler.
Wirklich wundervoll ist der herbstliche Sonnenuntergang über einer leicht diesigen Landschaft. Ebenso das Foto vom Kind, das einen Schneemann baut. Bezaubernde Ansichten, die man gerne als Gemälde festhalten würde. Warum eigentlich nicht? Malen und Zeichnen werden als kreativer Ausgleich zur kalten Arbeitswelt der Algorithmen immer beliebter. Auch die Verfremdung selbst aufgenommener Fotos in Richtung Kunstwerk lockt Laien. Mit digitalen Mitteln fällt die Entfaltung der eigenen Talente oft leichter. Alles, was man dazu braucht, ist ein digitalisiertes Künstleratelier aus Software und sogenanntem Stifttablett. Der Traum vom digitalen Malen lässt sich bei der Software teils sogar kostenlos erfüllen. Etwa mit der App "Zeichen Pad". Zum Nulltarif sind die Funktionen dann aber leider nur marginal.
Anders mit einer Profisoftware zum Malen und Zeichnen am Computer, die von Künstlern auch für Amateure aufbereitet wurde und entsprechend ansehnlichere Möglichkeiten bietet. Dicke Ölfarben, zerfließende Aquarellfarben und strukturierte Pinselstriche sind Kennmarken des digitalen Malprogramms Corel Painter 2017. Man kann die Charakteristika auf der digitalen Leinwand nicht fühlen, aber sehr gut sehen. Mit bis zu 425 Euro für die reguläre Vollversion ist die Software mit Kauflizenz aber nicht gerade billig. Ihr Vorteil: Sie ist für Profis ebenso wie für semiprofessionelle Künstler oder ambitionierte Hobbymaler geeignet und spart echte Farben und Pinsel. Vereinfachung und mehr Power hat sich die neue Variante auf die Palette geschrieben. Feinfühliger Farbauftrag mit dem "Pinsel", also dem Stift auf dem Tablet. Eine Version für jedermann soll das jüngste Painter sein, mit mehr Werkzeugen als früher, mit Textur- und Interaktiv-Techniken sowie der Möglichkeit, Fotos zu gemalten Kunstwerken umzugestalten, Photoshop optimal zu integrieren und das alles bei einem hohen Arbeitstempo.
High-End-Produkt bedarf viel Einarbeitung
Painter 2017 im Test eines hoch motivierten, aber gerade erst mit dem digitalen Malen beginnenden Amateur: Die Installation ist völlig problemlos, ein Huion-Pro-1060-Plus-Tablet nimmt direkt den zeichnerischen Kontakt auf. Wenn man zwischendurch im Painter-Programm mit der Maus navigiert und auswählt, hat man bei der Rückkehr zum Malstift auf dem Stifttablet allerdings Probleme, auf dem angezeigten Zeichendokument seine Orientierungspunkte zum Malen wiederzufinden. Auch läuft man Gefahr, über den Bildrand hinaus zu malen beziehungsweise seinen Malbereich falsch einzuschätzen, nachdem man die Zoom-Tasten des Tablets benutzt hat.
Schnell wird klar: Das zuvor ausprobierte Malen mit dem kostenfreien Entwicklerprogramm "Zeichen Pad" auf einem kleinen Fire HDX-Allzweck-Tablet bringt dem Anfänger schnellere Erfolge und zum Beispiel eine selbst gestaltete Geburtstagskarte ohne Aufwand.
Das High-End-Produkt Corel Painter 2017 bedeutet mit seinen vielen Möglichkeiten und Optionen für den Unerfahrenen zwangsläufig längeres "Erforschen", verhilft dafür zu ungleich größeren Kreativ-Erlebnissen. Auch bietet das Programm komplett andere Möglichkeiten als Schmalspur-Zeichenprogramme, wie das im Office-Paket mitgelieferte Paint. Mit Letzterem lässt sich bei Bedarf ein wenig zeichnen, skizzieren, auch ein Herz oder eine andere Form einfügen. Dicker und dünner, in verschiedenen Farben, mit Pinsel oder Stift. Für Malerei in irgendeinem künstlerischen Sinn fehlen jedoch die Tools. Selbst das kleine "Zeichen Pad" bietet mehr als Microsoft Paint.
Experimentieren macht viel Spaß
Die Hardware ist beim Corel Painter Nebensache. "Ein ganz einfaches Tablet genügt für meine professionellen Skizzen und Zeichnungen", verrät Borislav Mitkov, Mitgestalter beispielsweise des Videospiels "Prince of Persia". Im "Arts n Boards", in Münchens Künstlerviertel Schwabing, wird er von Grafikern und anderen Bildgestaltern beim Livezeichnen mit Fragen nach digitaler Kunsttechnik überschwemmt. Der Konzept-Künstler aus Sofia wechselte 2003 von der analogen zur digitalen Kunst und war erstaunt, wie natürlich sich das anfühlt. Traditionelle Kunst wird überliefert, digitale Kunst neu definiert, beispielsweise mit Partikel-Malwerkzeugen, dynamischen Sprenkeln und Audioumsetzung.
Auch für seine Grafik-Novelle "Crusaders" greift Mitkov zum softwarebasierten Kunstatelier. Damit steht er nicht allein: Auch Joel Payne, Bildender Künstler bei Walt Disney, ersetzt die Holzstifte durch digitale Malwerkzeuge. Ähnlich Hector Sevilla Luiján, ein Manga-Künstler. Oder Tim ONeill, ein Fotokünstler. Obwohl Künstler, haben sie alle das gleiche Problem: Sie müssen oft fließbandmäßig schnell arbeiten. Ob sie nun Spielcharaktere, Comics, Filmszenen malen, Storyboard- oder Konzept-Künstler sind.
"Oft wache ich auf und habe eine genaue Vorstellung, wie ein bestimmter Charakter aussehen muss. Wenn es mir gelingt, ihn genauso umzusetzen, bin ich glücklich. Dann kommt aber die Abstimmung mit dem Kreativ-Direktor. Und der hat oft eine ganz andere Idee, und alle Arbeit war für den Papierkorb", erzählt Mitkov und wird bestätigt von Grafik- und Kunstkollegen in den Reihen vor ihm. Power und Vereinfachung sind deshalb wichtig für die Profis. "Immer schnell sein" ist die Richtschnur im gar nicht so gemütlichen Künstleralltag von Mitkov.
Der Stellenwert von zügigem und einfachem, effektstarkem Handling zeigt sich aber auch beim Hobby-Einsatz von Amateuren, die gerne schnell schöne Ergebnisse sehen wollen. Da lohnt sich auch beim Entspannungshobby eine Steigerung des Arbeitstempos, damit die Lust nicht zum Frust wird. Lasuren einsetzen, als wäre man ein alter niederländischer Künstler, Fotos mit Texturen überziehen, mit tollen Pinseln und Bürsten-Effekten malen, ohne herum zu klecksen oder das Wohnzimmer zu verschmutzen: Das macht Spaß!
Wie arbeitet man wie ein Profi aus der "Gaming Industry", der Typen für digitale Spiele gestaltet? "Ich beginne mit Schwarz und Weiß. Dann hauche ich den Charakteren Leben ein", verrät der Konzept-Künstler. Zeit, auf den Kuss der Muse zu warten, hat er keine. "Oft muss ich die Zeichnungen innerhalb weniger Stunden eines einzigen Tages liefern. Der Art-Direktor wartet darauf", erzählt der Künstler, der trotzdem noch Zeit für seine Familie erübrigen will.
Die Software dient dem Bulgaren dabei auch als Forscher-Werkzeug. "Manchmal habe ich nur sehr wenige Infos zu den Charakteren, die ich für ein Spiel zeichnen soll." Dann erkundet der Künstler Mimik, Optik und Gestik der zu gestaltenden Gestalten mit den Zeichen-Tools experimentell.
Für sechs neue Spiele-Persönlichkeiten beispielsweise hat er einen Tag zum Erforschen, Schattieren und allen weiteren Arbeitsschritten bis zur Vorlage beim Art-Direktor. "Ich versuche, meine traditionelle Technik mit der digitalen zu mischen", berichtet Mitkov, während er eine Figur auf einem A5-Tablet skizziert. "Mit Corel Painter 2017 geht das jetzt sehr einfach und quasi perfekt, für die Comic-Serie, für alles." Während er arbeitet, hört der Zeichner aus Sofia gerne Filmmusik: "Mein Workflow ist dann genau der gleiche wie mit traditionellen Mitteln."
Modernes Malen nach Zahlen
Leicht gesagt für den Profi. Für den ambitionierten Anfänger ist das schnelle Zappen auf die Malwerkzeuge, Hintergründe und Möglichkeiten zweifellos fordernder. Es funktioniert aber überraschend intuitiv oder wird durch die zugehörigen Tutorials gut angeleitet. Wer eine fortgeschrittene und zeitgemäße Variante von "Malen nach Zahlen" anhand eigener Ideen beziehungsweise Fotos mit sehr hilfreichen und leicht korrigierbaren Tools bevorzugt, muss ein wenig investieren. Er hat aber länger etwas zum Freuen als an einem Vorzeige-Smartphone, das spätestens nach zwei Jahren als veraltet gilt.
Annegret Handel-Kempf
INFO: Tipps zu Stifttablets
Die Wahl des Stifttablets hängt stark von den konkreten Anforderungen ab. Etwa, wie häufig und wie intensiv es genutzt wird, oder wie detailreich die Arbeit ist, die damit gemacht werden soll. Mit vielen Tablets kann sehr viel präziser und intuitiver gearbeitet werden, als etwa mit einer Maus.
Für Einsteiger, Hobby-Künstler und Gelegenheitsnutzer: Das "Intuos" von Wacom ist ein Stifttablet für alle, die ihre kreative Seite weiter entwickeln wollen. Einfach zu bedienen, mit zwei Express-Keys für die am häufigsten benutzen Funktionen. Der Stift ist leicht und handlich und verfügt zusammen mit dem Tablet über 1.024 Druckstufen.
Hier werden Softwarepakete gleich mitgeliefert. Das "Intuos" gibt es als Draw, Art (etwa 90 Euro), Photo, Comic/Manga und neu als 3D-Version.
Das Intuos Art zum Beispiel kommt mit dem Programm Corel Painter Essentials 5, das Intuos 3D
(rund 200 Euro) exklusiv mit dem neuen ZBrush Core. Im Download-Teil gibt es zudem praktische Tipps und Tricks und "How to"-Tutorials. Die Tablets sind ansonsten identisch.
Für Einsteiger und Profis: Alternative zu den Tablets des Markführers ist das Huion NEW 1060 PLUS Grafiktablet mit zwölf Express-Tasten und Integriertem Card-Reader (82 Euro). Mit acht GB-SD-Karte, auf 64 GB erweiterbar und 2.048 Druckstufen. Das Tablet hat umfangreiche Einstellmöglichkeiten, ist aber auch für Einsteiger sehr geeignet. Photoshop und Co. machen keine Probleme. Gut sind zwölf frei zuweisbare Tasten. Bei der Treiber-Installation und Inbetriebnahme kommt zeitweise der Eindruck auf, auch die deutsche Anleitung würde Chinesisch sprechen.
Für Profis: Der Stift der Intuos-Pro-Tablets (etwa 180 bis 480 Euro) ist ergonomisch geformt für langes, intensives Arbeiten. Das Tablet soll mit 2.048 Druckstufen ein natürliches Gefühl für präzises und detailreiches Arbeiten fördern. Die anpassbaren Express-Keys und der Touch Ring ermöglichen schnellen Zugriff auf die wichtigsten Software-Verknüpfungen. Gedacht ist es für die tägliche Nutzung im professionellen Umfeld. Noch feiner: Die Stiftdisplays der Cintiq-Reihe (400 bis 800 Euro).