Callcenter locken mit angenehmen Arbeitsbedingungen Fachkräfte ins Saarland. Das ist auch bitter nötig, denn der Ruf der Branche hat in den vergangenen Jahren gelitten.
Einen guten Ruf hat die Callcenter-Branche hierzulande keinen. Schlechte Bezahlung, Arbeiten zu Unzeiten, hohe Fluktuation unter den Mitarbeitern und ein Gefühl, wie in einer Legebatterie am Arbeitsplatz zu sitzen, so die landläufige Meinung, wie es in einem Callcenter aussieht. Erschwerend kommt hinzu, dass Verbraucher Callcenter mit lästigen Werbeanrufen gleichsetzen. Und wenn der ratlose Bürger mal Hilfe braucht, weil er eine Gebrauchsanleitung oder Abrechnung nicht versteht, dann greift er zum Telefon, wählt die angegebene Servicenummer und hofft, dass er eine freundliche Mitarbeiterin am anderen Ende der Leitung erwischt.
Da verwundert es kaum, dass die Mitgleider der Branche mittlerweile deutlich mehr in die Waagschale werfen müssen, damit sie als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden.
Callcenter müssen dem Arbeitnehmer heute mehr bieten
Immerhin scheint zumindest im Saarland die Callcenter-Branche besser als ihr Ruf zu sein. Seit 20 Jahren ist sie im Land fest verankert, 40 Unternehmen bieten heute über 4.000 Arbeitsplätze, aufgrund der Grenzlage gibt es eine Vielzahl mehrsprachiger Mitarbeiter. Mit 520.000 Beschäftigten in ganz Deutschland und einem jährlichen Umsatz von über 21 Milliarden Euro stellt die Callcenter-Branche nach Angaben ihres Bundesverbands CCV inzwischen auch eine ernstzunehmende Wirtschaftsmacht dar. In der globalisierten digitalen Welt dürfte die Nachfrage nach Callcenter-Dienstleistungen außerdem weiter steigen, wenn man den Trend-Studien und Umfragen der Branche glaubt. Schließlich leben wir in einer Informations- und Wissensgesellschaft mit verändertem Arbeits- und Freizeitverhalten. Der Griff zum Hörer am Wochenende zwecks Beratung, Urlaubsplanung oder Einholen einer Produktinfo, das Schreiben einer E-Mail oder SMS von unterwegs oder am späten Abend für Terminvereinbarungen sind für die meisten von uns längst Alltag und werden kaum infrage gestellt. Kundenzufriedenheit ist im globalen Wettbewerb ein wichtiges Kriterium. Callcenter können dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Außerdem lagern immer mehr Unternehmen ihren Kundenservice aus die Kosten für eine eigene Callcenter-Abteilung im Unternehmen sind oft zu hoch.
Trotzdem leidet die Branche unter ihrem schlechten Ruf. Jene Kostengründe und der starke Wettbewerb führen dazu, dass auch Callcenter-Angestellte am Telefon schlecht bezahlt werden. Mehr als 25.000 Euro im bundesdeutschen Schnitt jährlich sind kaum drin, so die Statistik. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sieht die Arbeitsbedingungen gleichfalls kritisch. Prägend für die Branche seien prekäre Arbeitsverhältnisse, wobei vor allem befristete Arbeitsverträge und die Beschäftigung über Zeit- und Leiharbeitsfirmen dominieren, sagt Thomas Müller, Bezirksgeschäftsführer bei Verdi für die Region Saar-Trier. "Ein Großteil der Beschäftigten arbeitet in Teilzeit, häufig auf eigenen Wunsch, aber auch aus dem Arbeitgeberinteresse heraus, Randzeiten abzudecken. Hohe Fluktuation infolge von Unsicherheit und Unzufriedenheit der Beschäftigten über von Arbeitgebern veranlasster prekärer Beschäftigung verursachen im Vergleich zu anderen Dienstleistungsbereichen eine eher instabile und häufig wechselnde Belegschaft", so Müller weiter.
Dabei bietet die Branche auch viele Vorteile: Teilzeitarbeit, Einstiegsmöglichkeiten für Quereinsteiger, Studienabbrecher und Ungelernte, Jobs für Studenten aber auch Karrierechancen und Aufstiegsmöglichkeiten. Mit diesen Argumenten startete zum Beispiel der Kommunikations-Dienstleister Summacom aus St. Ingbert kürzlich eine Joboffensive und sucht nun 100 neue Mitarbeiter, die sich über das Internet bewerben können. Voraussetzung: eine Affinität zur Kommunikation, Dienstleistungsmentalität und Serviceorientierung. Alter, Herkunft und Vorbildung spielen dabei keine Rolle. "Bezahlung über dem Branchendurchschnitt, gute Sozialleistungen, Weiterbildung, vernünftige Einarbeitungszeiten und ein gutes Betriebsklima sorgen dafür, dass wir eine sehr geringe Fluktuation bei unseren Mitarbeitern haben", betont Geschäftsführer Martin Schimpf. Der aus dem Sparda Telefonservice hervorgegangene Dienstleister beschäftigt bereits über 400 Mitarbeiter am Standort. Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit liege bei sieben Jahren.
Mit dem Servicecenter der Zukunft will sich Arvato CRM Solutions in Heusweiler-Eiweiler von den Wettbewerbern abheben. In einem auf elf Monate angelegten Modellprojekt will der zum Bertelsmann-Konzern gehörende Dienstleister jetzt neue Maßstäbe für die Branche setzen. In einer modern gestalteten Arbeitsumgebung ohne feste Arbeitsplätze und eigenverantwortlicher Schichtplanung konnten sich 20 Kundenberater mit ihrem Laptop und kabellosen Headsets frei bewegen, sich mal auf dem Sofa lümmeln und dabei die Calls beantworten. Mit Legebatterien-Gefühl im Großraumbüro hatte das nichts mehr zu tun. Angaben eines Unternehmenssprechers zufolge ist das Team hoch motiviert, der Krankenstand niedrig und die Fluktuation bei null gewesen. Die gemachten Erfahrungen sollen nun an anderen Standorten mit anderen Auftraggebern getestet werden. Auch nach Ende des Pilotprojekts sei das Team noch in den gleichen Räumlichkeiten für denselben Auftraggeber tätig, schwerpunktmäßig im Chat und perspektivisch in den sozialen Netzwerken. Arvato CRM Solutions Deutschland ist weltweit tätig und beschäftigt am Standort Eiweiler rund 500 Mitarbeiter.
Weniger Sonntagsarbeit
Die Branche tut sich schwer bei der Suche nach geeigneten Mitarbeitern und geht nun neue Wege, um Fachkräfte zu erreichen. Doch Ungemach droht jetzt auch noch von Seiten der Politik, den Gewerkschaften und der Kirche. Sie wollen massiv die Sonn- und Feiertagsarbeit in Callcentern per Gesetz einschränken, obwohl ein Großteil des Umsatzes und der Anrufe an Wochenenden gemacht wird. Die Sonntagsarbeit in Callcentern steht auf dem Prüfstand und soll neu geregelt werden. In Hessen beispielsweise gilt ein Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen in Callcentern, ausgenommen sind Notfalldienste. Dr. Enrico Rennebarth vom Branchenverband CCV verlangt deshalb endlich mehr Rechtssicherheit und damit Planungssicherheit vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales. "Eine bundeseinheitliche Rechtsverordnung in der Debatte um Sonn- und Feiertagsarbeit muss her, damit telefonischer Kundenservice in und aus Deutschland erhalten bleibt." Ein Verbot im Saarland würde die Branche massiv treffen, befürchtet Martin Schimpf, denn potenzielle Auftraggeber suchen Callcenter-Dienstleister auch nach ihrer Erreichbarkeit aus: 24 Stunden am Tag, an 365 Tagen im Jahr. Das benachbarte Ausland könnte sich genüsslich die Hände reiben, denn dort gilt anderes Recht und damit nicht unbedingt ein Verbot für Sonn- und Feiertage. "Die Umsetzung des aktuell diskutierten Verbots wird die Branche vor große Herausforderungen stellen", so ein Sprecher von Arvato. Hiermit wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit die Abwanderung von Aufträgen ins deutschsprachige Ausland verbunden. Unklar sei auch, welche Geschäftsvorfälle weiterhin am Sonntag bearbeitet werden dürften.
Verdi-Vertreter Müller geht mit den Arbeitgebern dabei hart ins Gericht: "Die geäußerte Absicht, Arbeitsbereiche wegen fehlender Beschäftigungsmöglichkeiten am Sonntag ins Ausland verlagern zu müssen, empfinden wir als neoliberales Druckmittel gegenüber Gewerkschaft, Beschäftigten und Politik, um Profitgier auszuleben. Von diesen Arbeitgebern erwarten wir eine Abkehr von dieser Haltung und gleichzeitig die Bereitschaft, gemeinsam mit Verdi, Belegschaften und Betriebsräten gute und sichere Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen und langfristig zu erhalten."
Die Fronten scheinen verhärtet zu sein. Der saarländische Umwelt- und Verbraucherschutzminister Reinhold Jost, in dessen Ressort der Arbeitsschutz angesiedelt ist, geht jedenfalls davon aus, dass eine praxisgerechte Lösung in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe für alle Beteiligten angestrebt wird. "Die Sonntagsruhe hat einen arbeitsmedizinisch nachweisbaren höheren Erholungswert. Bei einer Neuregelung wird ein vernünftiger Interessenausgleich zwischen Sonntagsruhe der Beschäftigten und den Bedürfnissen der Bevölkerung nach Serviceleistungen angestrebt."
Armin Neidhardt