Die Zulieferindustrie steht vor einer Zeitenwende: In diesem Jahr zeigten die Meldungen zweier Schwergewichte, Bosch und ZF, dass die automobile Zukunft nicht ohne harte Einschnitte, vor allem für die Arbeitnehmer, erreichbar ist.
Motoren, Getriebe, Elektrik, Bremsen egal, welches Bauteil, die deutsche Zulieferindustrie ist in jeder Hinsicht Weltspitze. Noch. Denn die Elektromobilität droht der klassischen Benzin- und Dieseltechnologie, für die die deutschen Autobauer stehen, über kurz oder lang den Rang abzulaufen. Nach dem durch den Finanzcrash bedingten Knick 2008 ist die deutsche Zulieferindustrie wieder beim Umsatz von 2007 angelangt weiter geht es aber nicht ohne Einschnitte. Die werden langsam sichtbar. Die Beschäftigtenzahlen sind zwar über die vergangenen zehn Jahre gleich geblieben, seit einigen Jahren wachsen sie sogar. Doch das könnte sich bald ändern.
Beispiel Bosch: Im vergangenen Jahr vermeldete der Branchenriese Rekorde. 70 Milliarden Euro Umsatz schlugen 2015 im Stuttgarter Weltmarktführer zu Buche, für 2016 wurden noch einmal bis zu fünf Prozent mehr Umsatz erwartet. Dennoch soll die gesamte Belegschaft des Autozulieferers weniger werden: in Gmünd protestierten Mitarbeiter gegen den geplanten Abbau von 760 Stellen bei Bosch Automotive Steering; 50 Mitarbeiter sollen bei Bosch Rexroth in Augsfeld gehen, 260 im Bosch-Werk Göttingen.
Mitte des Jahres kursierte die Zahl 1.000 für den saarländischen Standort Homburg, letztlich sollen 210 Stellen bei den sogenannte mobilen Anwendungen, also etwa Steuerungen für Baggerschaufeln, wegfallen, zusätzlich zu 200 Stellen bei einem nicht mehr ausgelasteten Werk für Motor-Reinigungssysteme. Das generelle Problem liegt zum einen in der Ausrichtung des Homburger Standortes: Bosch baut hier Dieseltechnologie. Die gilt mittlerweile nicht nur als Technik von gestern, der Marktanteil von Diesel-Fahrzeugen nimmt auch durch den VW-Abgasskandal Schaden. Nach Angaben des Centers for Automotive Research (CAR) ist der Anteil verkaufter Dieselfahrzeuge seit zwei Jahren kontinuierlich im Sinken begriffen, obwohl der Verband der Automobilwirtschaft nicht müde wird, die Sparsamkeit und Effizienz der Motoren zu lobpreisen. Die meisten Diesel werden noch im Premium-Segment verkauft, Volkswagen und Audi sind hier die Spitzenreiter gut für Bosch, die aus dem Saarland heraus vor allem den französischen PSA-Konzern (Peugeot, Citroen) und den Volkswagen-Konzern mit Dieseleinspritzanlagen beliefern.
Milliardenumsätze der Weltmarktführer
Wie lange Volkswagen noch auf den Diesel setzt, ist allerdings unklar. Der kürzlich vorgestellte "Zukunftsplan", den der Konzern als Reaktion auf den Skandal veröffentlichte, zeigt, dass sich der Konzern mittlerweile des technologischen Umbruchs bewusst ist erst bedurfte es allerdings jenes Milliarden-Desasters, das das Image der deutschen Industrie insgesamt massiv beschädigt hat. Dass Volkswagen künftig auf Digitalisierung und Elektromobilität setzt, bedeutet jedoch auch für die Zulieferer in Deutschland einen deutlichen Einschnitt: Dudenhöffer spricht von 20.000 Jobs, die alleine durch Volkswagens Zukunftsplan in Gefahr sind, 75.000 durch die Neuausrichtung der Zulieferer insgesamt.
Zum anderen hat auch jener Skandal Bosch hart getroffen, soll der Konzern doch beim VW-Abgasbetrug durch Softwaremanipulation kräftig mitgeholfen haben. Die Folge ist der massive Vertrauensverlust in jene Technologie, der mittlerweile beim Kunden angekommen ist, so Automobilexperte Dudenhöffer. Und jetzt droht auch noch von Seiten der EU ein finanziell dickes Problem: Bosch, Nummer eins der Autozulieferer weltweit, soll mit der Nummer zwei, Continental, Preise abgesprochen haben. Continental hat deshalb schon vorsorglich seine Gewinnerwartungen für das laufende Jahr gekappt, um auf die zu erwartende Kartellstrafe reagieren zu können.
Doch damit ist das Dilemma von Bosch nicht ausgestanden. Bereits im vergangenen Jahr setzte das Management den Rotstift an der problembehafteten Industriesparte und damit auch an Bosch Rexroth an der Konzern befindet sich mitten im Umbau, den Konzernchef Volkmar Denner seit vier Jahren in Richtung E-Mobilität und Vollvernetzung vorantreibt.
Das gleiche gilt für ZF. Auch der Getriebehersteller muss wie Bosch seine Produkte und die Produktion verändern, was Arbeitnehmer verunsichert und sie Geld kostet im Juni wurde bekannt, dass der Friedrichshafener Autozulieferer seinen Angestellten Zulagen streichen und Zeitkonten strecken will. Auch hier trotz rasant gestiegenem Rekordumsatz, 30 Milliarden im Jahr 2015 nach zuletzt 18 Milliarden ein Jahr zuvor; allerdings will ZF ebenso wie Bosch sparen, um sich zukunftsfit zu machen. Deshalb hat man den US-Konkurrenten TRW geschluckt und damit einen Sprung unter die Top Ten der weltweiten Autozulieferer geschafft. Und die Einkaufstour ist noch nicht vorbei, kürzlich lieferte sich ZF ein knallhartes Bietergefecht mit dem schwäbischen Bremsen-Schwergewicht Knorr um den schwedischen Haldex-Konzern, den ZF allerdings im Oktober aufgegeben hat.
Getriebe werden bald museumsreif sein, wenn Elektromobile die Straßen beherrschen, und deshalb plant der Konzern schon jetzt seine Zukunft ohne. Den ersten Vorgeschmack gab es in diesem Jahr auch für die überraschten ZF-Mitarbeiter im Saarland. Statt allerdings alleine auf den elektromobilen Wandel in der Zulieferbranche zu setzen, will sich ZF diversifizieren und gleichzeitig neue Märkte erschließen. Deshalb wurde in der Industriegetriebe-Sparte zugekauft von Bosch Rexroth. Dennoch setzt ZF nach Angaben von Konzernchef Sommer Wert darauf, in der künftigen E-Mobilität mitzuspielen, und zwar in Sachen Sicherheit, autonomes Fahren und Effizienz.
Zulieferer ZF entwickelt Mobilitäts-App
E-mobil zu sein heißt für ZF allerdings auch, mobile Anwendungen anzubieten. Zu diesem Zweck hat die "ZF Denkfabrik" in Friedrichshafen zum Beispiel die App "uflip" entwickelt, in die nun auch der deutsche Fernbus-Platzhirsch Flixbus miteingestiegen ist. Die App soll der persönliche Reisebegleiter sein, der Fahrten plant, Parkplätze, Tankstellen oder Busverbindungen sucht. ZF scheint sich darauf einzulassen, dass das Auto der Zukunft nicht nur kühler Technik bedarf, sondern ein neuartiges "Erleben" bieten soll und stößt abseits des Kerngeschäftes in die Welt digitaler Services vor, die dem Anwender, also dem Fahrer oder dem Reisenden, einen Mehrwert bieten sollen.
Das ist auch das Ergebnis einer Studie der Management- und Strategieberatung Oliver Wyman. Je schneller Unternehmen der Zulieferindustrie auf die digitale Herausforderung reagieren und je größer sie sind, desto erfolgreicher agieren sie, so die Beratung in ihrem jüngsten "Automotive Report". Lars Stolz, Partner und Leiter Automotive Supplier Team bei Oliver Wyman: "Unsere aktuelle Benchmark-Studie belegt, dass die Unternehmensgröße bei deutschen Zulieferern eine signifikante Rolle für ihre wirtschaftliche Performance spielt." So kommen hiesige Zulieferer mit mehr als fünf Milliarden Euro Umsatz in dem von den Beratern beobachteten Zeitraum auf ein Wachstum von durchschnittlich knapp 16 Prozent pro Jahr. Zulieferer, kleiner als eine Milliarde Umsatz, weisen ihrerseits ein solides Wachstum von durchschnittlich fast 10 Prozent auf. Mittelständische Unternehmen mit einem Umsatz zwischen einer und fünf Milliarden Euro hingegen kommen nur auf ein Wachstum von durchschnittlich etwa 5 Prozent jährlich. "Große mittelständische Zulieferer stehen vor einer ganz grundsätzlichen Frage", so Stolz. "Will ich in meinem Segment verharren oder gegen die ganz Großen konkurrieren?" Digitalisierung und Wachstum, beides Strategien, mit denen nun auch Bosch oder ZF in die Zukunft vorstoßen wollen. Jetzt, da sogar IT-Firmen wie Apple in die Autozulieferbranche einsteigen wollen, wird die Konkurrenz noch größer, talentierte Fachkräfte zu finden. Deshalb wird die Ausbildung bestehender Fachkräfte umso wichtiger denn nur so kann großflächiger Kahlschlag bei den Arbeitsplätzen im Sinne der Arbeitnehmer künftig vermieden werden.
Falk Enderle