Reno Jünemann ist der Pantoffelkönig von Berlin. In seinem Betrieb stellt er als Einziger in der Hauptstadt bequeme Hauslatschen her.
Zu Reno Jünemann geht es in den Keller hinunter. In bester Lage, mitten im hippen Berliner Stadtteil Mitte, liegt das Pantoffeleck. Einen Steinwurf nach rechts kommt man zum Kaffee Burger, hier hat Wladimir Kaminers Russendisko ihren Anfang genommen, einen Steinwurf nach links geht es zum exklusiven Soho House, in dem Filmstars wie George Clooney gerne übernachten, wenn sie nach Berlin kommen. Und mittendrin: Jünemanns Pantoffeln.
Sein Laden ist so etwas wie das Gegenprogramm zu den hippen Cocktailbars und edlen Restaurants in der Nachbarschaft. "Wir sind sehr konservativ mit unseren Pantoffeln", sagt der gut gelaunte Firmenchef und ergänzt grinsend: "Andere nennen das altmodisch". Und in der Tat: Seit 109 Jahren stellen die Jünemanns Pantoffeln her. Urgroßvater Bernhard hat damals in Magdeburg in der eigenen Wohnung damit angefangen, der Großvater ist dann nach Berlin umgezogen. Seit 1981 liegt Jünemanns Pantoffelladen in der Torstraße, oder wie sie zu DDR-Zeiten hieß, der Wilhelm-Pieck-Straße.
Pantoffeln seien damals sehr gefragt gewesen, erzählt Reno Jünemann von seiner Jugend, als er dem Vater im Betrieb geholfen hat. "Nach der Schule bin ich sofort in die Werkstatt gegangen und habe dort erst die Hausaufgaben gemacht und dann bei kleinen Arbeiten mitgeholfen. So bin ich reingewachsen", erinnert er sich. Jünemann weiß noch, dass es zu DDR-Zeiten sieben Pantoffelmacher in Berlin gab. Nach der Wende mussten sechs von ihnen innerhalb weniger Jahre schließen. Auch bei Jünemanns lief das Geschäft damals alles andere als gut. Neun von zehn ihrer Kunden sind nach der Wende weggeblieben. Zur neu gewonnenen kapitalistischen Konsumwelt passte das kleine Geschäft im Keller nicht mehr. "Wir waren jahrelang pleite", erinnert sich der Chef heute. Ans Aufhören hat Reno Jünemann aber auch damals nicht gedacht: "Ich hätte es nicht übers Herz gebracht, den Laden zu schließen, der seit vier Generationen in unserer Familie ist." Überhaupt: Familie. Die hält Jünemanns Laden am Laufen. Der inzwischen 78 Jahre alte Seniorchef hilft in der Hochsaison im Winter immer noch mit, die Schwiegermutter macht die Buchhaltung, die Cousine steht an der Stanzmaschine. An der Wand hängen Familienfotos, über den Bildschirmschoner des Computers laufen Bilder der beiden Töchter. Gemeinsam also hat man die Krise der 90er-Jahre überstanden, danach wurde alles besser. Wie im Märchen, in dem der tapfere Ritter irgendwann doch belohnt wird, ging es im neuen Jahrtausend für Jünemann und seine Pantoffeln aufwärts. Gründe dafür gab es viele. Einer davon war, so Jünemann, das Produkt selbst das sei eben einfach gut: "Den Pantoffel braucht man ja nicht mehr neu zu erfinden, der ist ja schon perfekt."
Nach der Schule
in die Werkstatt
Ohnehin funktioniert Jünemanns Laden gerade deshalb, weil er nicht mit der Zeit geht, einen angenehmen Kontrapunkt setzt zur aufgeregten Hektik unserer Tage. Selbst die Muster, die er für seine Kollektion verwendet, sind seit Jahren dieselben. Am besten geht der Klassiker, das hell- und mittelbraun karierte "Kamelhaarmuster". Karos seien generell gefragt, die strahlten Gemütlichkeit aus, sagt Jünemann. Aber auch seinen Ladenhütern hält der 45-Jährige die Treue. Die "grauen" liefen gerade schlecht, sagt er. Sie deswegen aus dem Sortiment zu nehmen, käme ihm aber nicht in den Sinn.
Nur ein einziges neues Muster hat Jünemann in all den Jahren in seine Kollektion aufgenommen und auch das nicht, weil er plötzlich experimentierfreudig geworden wäre. Sein Lieferant hatte einfach noch ein paar Meter Stoff übrig und sie ihm geschenkt. "Probier das mal aus, vielleicht wollen das die Leute", hatte er gesagt. Weil den Kunden das neue Design gefiel, verkauft Jünemann seitdem auch graue Latschen mit lustigen lila Punkten.
"Aus der Mode halte ich mich eigentlich raus", betont er trotzdem. Fast philosophisch wirkt seine Begründung dafür. "Alles was modern ist, kann auch wieder aus der Mode kommen", sagt Jünemann. Mit seinen Hausschuhen kann ihm das nicht passieren.
Inzwischen seien seine Pantoffeln schon so sehr aus der Zeit gefallen, dass sie schon wieder "in" seien. "Manche Leute finden Pantoffeln so schräg oder hässlich, dass es für sie schon wieder cool wird." Jünemann lacht und erklärt mit weit ausholenden Handbewegungen, wie einmal ein paar Rocker bei ihm Pantoffeln gekauft hätten. Im Stile eines Komikers erzählt er, wie einer der harten Typen seinen beiden Kollegen von den Vorteilen eines Jünemann-Pantoffels vorgeschwärmt habe.
Auch in New York angesagt
Schon längst kaufen nicht mehr nur Rentner bei ihm ein. Der Online-Handel hat Jünemanns Latschen zum Exportgeschäft gemacht. Gerade eben habe er ein Paket Richtung New York auf den Weg gebracht, sagt der stolze Pantoffelmann. Oft aber kämen die Touristen auch zu ihm in die Torstraße. Für viele gehört das Pantoffeleck genauso zu einem Berlin-Trip wie die Currywurst bei Konnopke. Besonders Japaner schätzen seinen Laden. Sie kommen aus einer Kultur, in der richtiges Handwerk nach wie vor hoch im Kurs steht. Das hat Folgen: "Ich stehe in einem japanischen Reiseführer und sogar im japanischen Fernsehen ist schon über mich berichtet worden."
Der richtige Aufschwung für Jünemann kam aber durch das deutsche Fernsehen. 2003 war er bei "Was bin ich?", dem heiteren Beruferaten, zu Gast. Ihm gegenüber im Rateteam saß damals unter anderem auch Ex-Minister Norbert Blüm. Es half nichts, trotz Politikerunterstützung hat damals keiner Jünemanns Beruf erraten. Sein Gewinn waren 50 Mark und ein Sparschwein. Der eigentliche Gewinn stellte sich aber in den Monaten nach der Sendung ein. "Sie können sich nicht vorstellen, was hier los war", erzählt er. Und es huscht ihm ein Lächeln über das Gesicht, so als sähe er die Kunden, die für seine Pantoffeln anstanden, nochmals vor sich. Jahre später war Jünemann noch einmal im Fernsehen. Bei Günther Jauchs "Wer wird Millionär" war der Gewinn deutlich größer. Mit 125.000 Euro ging er damals nach Hause und mit einer riesigen Werbung für sein Geschäft. Wenn man sich mit Reno Jünemann unterhält, merkt man schnell, dass er so sagt er selbst "nicht auf den Mund gefallen" ist. "Ich plapper so vor mich hin, das ist fürs Fernsehen immer gut", schätzt Jünemann sich richtig ein. Und: "Dem Jauch ist doch egal, ob ich gewinne oder nicht, Hauptsache die Show stimmt." Und Showtalent, das hat Reno Jünemann. Doch bevor jetzt jemand vom Fernsehen anruft und ihn verpflichten will: Jünemann ist Pantoffelheld mit Leib und Seele. Schon als kleiner Knirps wollte er Pantoffelmacher sein, und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Rasso Knoller