Die Kreisstadt Merzig möchte sich als "Smart City" für den ländlichen Raum positionieren auch für Autofahrer. Denn das Saarland will beim automatisierten Fahren ganz vorn mitmischen. Forscher haben deshalb in Merzig ein Testfeld für den vernetzten Verkehr eingerichtet.
Verkehrsforscher Andreas Otte steuert den weißen Testwagen aus der Bahnhofstraße in der Merziger Innenstadt. An der Kreuzung zur Lothringer Straße stoppt er. Die Ampel zeigt Rot. Als das Signal auf Grün springt, fährt er wieder an. Zahlreiche Daten, die das Auto dabei von sich gibt, werden weitergeleitet. Vom Beifahrersitz aus bedient Testfeldleiter Florian Petry das Display auf dem Armaturenbrett. Gas geben, Bremsen, Blinken. Per W-Lan sendet der Wagen diese Informationen an einen unscheinbaren grauen Kasten auf einem Schildermast an der Kreuzung. Wie Fühler ragen dort zwei kurze Antennen in den Himmel. Von dort gehen die Signale per Mobilfunk zum Innovationscampus in Saarbrücken zur Auswertung. Die Apparaturen werden ergänzt durch drei Videokameras. Die liefern den Forschern Daten, mit denen sie die Informationen aus dem Auto abgleichen können. Ziel ist es, mit den so gesammelten Informationen den Weg für intelligente Verkehrssysteme zu bereiten. "Wir schaffen die notwendigen Voraussetzungen dafür, dass sich das Auto in Merzig zurechtfindet und auch freie Parkplätze finden kann", konkretisiert Forschungsleiter Prof. Horst Wieker.
Der Professor für Verkehrstelematik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft hat eine These: "Das automatisierte Fahren wird letztendlich die Demokratisierung der Mobilität auch im Alter ermöglichen." Das sei vor allem in ländlichen Gegenden wichtig, die aufgrund der hohen Kosten nicht durch Busse und Bahnen umfassend versorgt werden könnten. Erst das zumindest teilweise selbstfahrende Auto werde noch lange die Fahrt etwa zum Einkaufen oder zum Arzt und damit das Altwerden zu Hause ermöglichen. Das Saarland hat besonders mit Bevölkerungsschwund und Überalterung zu kämpfen. Unter einer Million Menschen leben noch im kleinsten deutschen Flächenland und das mit rapide abnehmender Tendenz.
"Demokratisierung der Mobilität"
Als Testfeld für das Autofahren von morgen hat Prof. Wieker Merzig ausgewählt. Seit zwei Jahren läuft in der saarländischen Kreisstadt das Projekt Item von Wiekers "Forschungsgruppe Verkehrstelematik". Für die Forscher bietet die 30.000-Seelen-Gemeinde im Nordwesten des kleinsten deutschen Flächenlandes ideale Bedingungen. Zum einen ist Merzig ein Zentrum für den ländlichen Saargau, zum andern hat der Ort teils mit Verkehrsproblemen wie eine Großstadt zu kämpfen. Morgens und abends staut sich der Verkehr in der engen Innenstadt. Denn direkt an der Fußgängerzone vorbei verläuft die Hauptdurchgangsroute der Pendler zwischen der Hochwaldregion zur nahegelegen A8 Richtung Saarbrücken und Luxemburg.
Gespräche über die Ausweitung der Sendeeinheiten auf Busse oder städtische Fahrzeugen laufen noch. Als nächste Erweiterung soll laut Wieker an den Kreuzungen weitere Sensorik installiert werden. Etwa um eines Tages einem Auto sagen zu können: "Da wird gleich ein Fußgänger hinter dem Bus hervorlaufen. In solchen Situationen haben die Auto-Sensoriken keine Chance zu reagieren", so Wieker.
Die saarländische Landesregierung sieht eine riesige Chance für das Autoland. Das von der Politik ins Leben gerufene Netzwerk Automotive Saarland gibt es bereits seit 2006, im vergangenen Jahr wurde die "Autoregion" gegründet: Ziel des Netzwerkes ist es, die Unternehmen im Saarland, Rheinland-Pfalz, Luxemburg und im französischen Lothringen als "Kernindustrie unserer Großregion im Weltmarkt zu positionieren und präsentieren", wie es auf der Webseite des Vereins heißt. "Am Anfang waren es 15, inzwischen sind bereits 45 Unternehmen in dem Verbund. Und es werden immer mehr", freut sich Geschäftsführer Armin Gehl. Insgesamt sind laut Gehl 600 Unternehmen in der Region aktiv. Darunter gibt es "Major Player" wie BMW, Mercedes, Continental, Eberspächer, Magna, Johnson-Controls oder Voit sowie eine Vielzahl von mittelständischen Zulieferern. Zusammen beschäftigen sie laut Gehl rund 200.000 Menschen in der Region, etwa 50.000 allein im Saarland.
"Damit aus Visionen Realität wird", hat auch Saar-Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) die Arbeitsgruppe "Connected Cars" ins Leben gerufen. Ihr gehören Experten aus Software- und Telekommunikationsunternehmen sowie Forschungseinrichtungen, wie die Telematikforscher von der HTW und des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), an. Ein erstes Ergebnis haben sie im November vorgelegt. Eine von der Scheer Group entwickelte Studie trägt den Titel: "Smart Mobility für das Saarland Identifikation von Chancen und Handlungsempfehlungen für eine digital vernetzte Mobilität". Das hat auch größere Unternehmen beeindruckt. "Insgesamt bietet sich das Saarland für Smart-Mobility-Konzepte an", erklärt Julia Herpel von der Telekom-Tochter T-Systems. In der Studie werde darauf verwiesen, dass das Saarland mit 0,62 Autos pro Einwohner nach Nordrhein-Westfalen die zweithöchste Fahrzeugdichte habe. Zudem gebe es einen starken Pendlerverkehr. Die Großregion insgesamt gilt mit mehr als 200.000 Pendlern täglich als die Region mit den größten Pendlerströmen in Europa.
Merzig selbst sieht das HTW-Testfeld für sich als großen Gewinn und will sich weiter als "Smart city" etablieren. Die Politik steht hinter dem Projekt. "Es hat keine einzige Datenschutzbeschwerde wegen der Kameras gegeben", freut sich Bürgermeister Marcus Hoffeld (CDU). Den Bürgern der Stadt sei schon frühzeitig die Bedeutung der Forschung erklärt worden. Das Testfeld sei vor allem ein großer "Imagegewinn für die Kreisstadt, deren Name aufgrund der bundesweiten Ausstrahlung des Projekts in die komplette Republik transportiert wird." Erst vor ein paar Tagen hat Hoffeld in einem Brief an Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) für seine Stadt als "Standort für Modellvorhaben" geworben. Das Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur (BMVI) hat im Sommer ein "Förderprogramm zum automatisierten und vernetzten Fahren auf digitalen Testfeldern" aufgelegt.
Verkehrssysteme für ländliche Räume entwickeln
Bis 2020 sollen Projekte mit insgesamt 80 Millionen Euro unterstützen werden. Damit wolle Dobrindt den "Erfolg des digitalen Testfelds Autobahn auf der A9 auf Städte ausweiten", heißt es im Berliner Ministerium. Das BMVI hat in einem ersten Schritt sechs Städte ausgewählt, in denen innerstädtische Testfelder errichtet werden sollen: Ingolstadt, München, Braunschweig, Dresden, Düsseldorf und Hamburg. Weitere Kommunen könnten hinzukommen. Die eingereichten Projekte würden noch geprüft, erklärt ein BMVI-Sprecher. Auch die HTW-Forscher wollen dabei sein und haben Mittel für Tests in Merzig beantragt. Während etwa Hamburg vor allem wegen seiner Logistik interessant sei, wäre das Saarland "hervorragend dafür geeignet, Verkehrssysteme für ländliche Räume zu entwickeln".
Einen ersten größeren Erfolg in Sachen Bekanntheit kann Merzig schon verbuchen. T-Systems will im kommenden Jahr eine neue "Smart parking"-App testen zuerst in der Kreisstadt. Durch die Anwendung auf dem Smartphone soll die lästige Parkplatzsuche im Schnitt dauert sie nach Erhebungen bis zu vier Minuten bald der Vergangenheit angehören. Wie die appgesteuerte Parkplatzsuche funktioniert, demonstrierten die HTW-Forscher mit einem ihrer Testwagen. Am Parkplatz angekommen, öffnet sich eine Schranke automatisch, weil das Auto bereits identifiziert wurde. Der Fahrer lenkt den Wagen auf den reservierten Platz, ein Sensor auf dem Boden signalisiert dem System, dass dieser jetzt belegt ist. Wenn er wieder fährt, kann der Fahrer per App bequem bezahlen.
Ob die App auch für Merzig taugt, ist noch offen. Die Stadt wirbt auf ihrer Internetseite damit, dass ein Großteil der 1.900 Parkplätze nichts kostet. Auf einem von 800 der Plätze müssen Autofahrer gerade mal 60 Cent pro Stunde bezahlen und das auch nur montags bis freitags. Die Parkplatzreservierung will sich die Telekom indes natürlich bezahlen lassen.
Jörg Fischer